6796952-1971_15_08.jpg
Digital In Arbeit

Heinemann nach Bukarest

19451960198020002020

Der westdeutsche Präsident Heinemann wird Rumänien vom 17. bis 19. Mai offiziell besuchen. Zum erstenmal wird damit ein westdeutscher Staatschef einem osteuropäischen, kommunistischen Land eine Staatsvisite abstatten.

19451960198020002020

Der westdeutsche Präsident Heinemann wird Rumänien vom 17. bis 19. Mai offiziell besuchen. Zum erstenmal wird damit ein westdeutscher Staatschef einem osteuropäischen, kommunistischen Land eine Staatsvisite abstatten.

Werbung
Werbung
Werbung

Ostdeutschlands Staatspräsident Ulbricht wurde durch die Nachricht derart alarmiert, daß er zwei Wochen nach der Bekanntgabe einen Druck auf Bukarest ausgeübt und durchgesetzt hat, ihn noch vor Heinemann, in der zweiten Hälfte des April 1971, zu empfangen.

Ulbrichts Rumänienvisite war ursprünglich schon Anfang Dezember 1970 anläßlich der Unterzeichnung des neuen ostdeutsch-rumänischen Freundschaftsvertrages vorgesehen,

von den zwei Zentralkomitees jedoch mit Berufung aiuf Ulbrichts schlechten Gesundheitszustand auf unbestimmte Zeit verschoben worden. In Wirklichkeit bildeten politische Überlegungen den Hintergrund.

In den letzten Tagen des Februars 1971 wurde der Bonner Beauftragte, Paul Frank, in Bukarest von Ministerpräsident Maurer und Außenminister Manescu empfangen. Die Rumänen zeigten Verständnis für den westdeutschen Standpunkt im

Hinblick auf die geplante Europäische Sicherheitskonferenz, der gegenüber Bonn solange reserviert bleibt, wie kein Fortschritt in der Regelung der Berlin-Frage erzielt wird.

Auch die Ostpolitik wurde in Bukarest vom bilateralen Gesichtspunkt ebenso eingehend erörtert, wie die westdeutsche Ratifizierung des russischen bzw. des polnischen Vertrags. Wie aus rumänischer Quelle zu erfahren war, haben die rumänischen Verhandlungspartner Frank über die Konferenz der Warschauer- Pakt-Außenminister informiert. Rumäniens Botschafter in Bonn, Constantin Qancea, hat sogar das Schlußkommunique der Außenminister am 24. Februar Walter Scheel ausgehändigt und die Beschlüsse erläutert. Franiks Besuch war im übrigen die erste von den im Som mer 1970 beschlossenen rumänischwestdeutschen politischen Konsultationen. Andere sollen bald folgen… Anderseits trugen die Rumänen kurz vor der besagten Visite demonstrative Härte zur Schau. Ein Militärgericht verurteilte den hohen Leverkusen-Funktionär Rudolf Dre- sen wegen „Industriespionage“ zu zehn Jahre Gefängnis. Sein Partner, der rumänische Ingenieur Mircea Codreanu, bekam 25 Jahre, weitere zwei rumänische Ingenieure je zwei Jahre. Nach der Hinterlegung einer Geldstrafe von 205.000 DM wurde Dresęn jedoch freigelassen und aus dem Lande verwiesen. Die rumänische Presse war insofern konziliant, als der Name des westdeutschen Hauptangeklagten nicht erwähnt wurde. Um die Schwere des Spionagefalles aufzuzeigen, wurde Co- dreanus Aussage um so breiter ausgewalzt.

Auch in der Frage der erhofften freien Auswanderung der Banater Schwaben und der Siebenbürger Sachsen zeigt Bukarest unnachgiebige Härte und Unbeugsamkeit. Die Regierung vertritt den Standpunkt, daß die Volksdeutschen sich vor 800 Jahren in Rumänien niedergelassen haben, infolgedessen „rumänischen Ursprungs“ seien, wobei verschwiegen wird, daß damals ein rumänischer Staat gar nicht existiert hatte und die Siedlungsgebiete zu Ungarn gehörten.

Ceaucescu ging sogar soweit, daß er die geplante Massenauswanderung der deutschen Minderheit mit der „Fahnenflucht der Frontsoldaten“ verglich. Außerdem warnte er die Jugend, die wahren Verhältnisse „ln den kapitalistischen Ländern“ ken- nenaulernen.

Und zum erstenmal tauchte bei ihm die sonderbare Argumentation auf, daß man genauso die Familienangehörigen nach Rumänien bringen könnte. Rumänien ist nicht Polen, wo diese Frage anders gehand’habt und geregelt wird, infolgedessen sollten die Volksdeutschen Rumäniens auch im eigenen Interesse die falsche Aus Siedlungshoffnung begraben.

Eine Emigration kann nur sporadisch und in Einzelfällen auf Grund besonderer „menschlicher Gründe“ stattftnden, Ministerpräsident Maurer hat zwar im Juni 1970 in Bonn die Möglichkeit einer Familienzusammenführung aus humanitären Gründen nicht generell ausgeschlossen, er betonte jedoch, daß die Entscheidung darüber „Rumäniens souveränes Recht“ bleibt. So konnten Rumänien seit 1955 insgesamt 17.290 Volksdeutsche, meist alte und kranke Menschen, verlassen, davon 6107 Personen im Jahre 1970.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung