1989er-Gedenken anders als gedacht

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20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs wird in Österreich mehr und freudiger dieser Revolutionen gedacht als in den ehemaligen Ländern des Ostblocks. Dort hat man die damals verteilten rosaroten Brillen schon lange enttäuscht abgelegt. Und 2009 beschäftigt mehr als 1989.

Zwanzig Jahre nach der französischen Revolution sei auch nicht viel von deren Segen zu spüren gewesen, sagt der ungarische Schriftsteller György Dalos und rechtfertigt damit die gedämpfte Stimmung in den ehemaligen Ostblockstaaten zwanzig Jahre nach dem Wendejahr 1989. Dalos' Vorschlag: "Uns bleibt nichts anderes, als auf die Zukunft zu warten. Ich habe 60 Jahre auf die Zukunft gewartet."

Dalos hat bei der am vergangenen Sonntag zu Ende gegangenen Leipziger Buchmesse sein 1989er-Buch "Der Vorhang geht auf - Das Ende der Diktaturen in Osteuropa" (C.H. Beck Verlag) präsentiert. In den Jahren nach der Wende habe sich herausgestellt, so der Autor, dass die sieben Länder des Ostblocks sieben Welten sind, und er beklagt, dass "wir ehemaligen Ostblockstaaten praktisch nicht mehr miteinander sprechen". Für Dalos wäre das aber wichtig, weil man aufgrund der gemeinsamen Geschichte viele Mentalitätsähnlichkeiten entdecken würde. Gegenwärtig ist die vorrangige Gemeinsamkeit das gemeinsame Desinteresse an der gemeinsam er- und durchlebten Revolution vor zwanzig Jahren.

Die Versprechen nicht gehalten

"Es wird schon einige offizielle Feiern geben", sagt der Tscheche Jan Tamas, "aber die große Mehrheit der Leute hat heute andere Sorgen, als sich an damals zu erinnern." Tamas ist Vorsitzender der Humanistischen Bewegung und Sprecher der Allianz gegen die Stationierung von US-Radarstationen in Tschechien (siehe FURCHE, Nr. 10, 5. März). Die "rosaroten Brillen", mit denen man nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes 1989 in die Zukunft geschaut hat, "sind verschwunden", sagt Tamas. Am politischen System in Tschechien lässt er wenig Gutes, da es mit seiner "Diskriminierung von kleinen Parteien die Demokratie auf den Kopf stellt". Zusammenfassend konstatiert er eine "Desillusionierung" unter den Tschechen. Und er glaubt zu wissen, warum dem so ist: "Das neue System war nicht fähig, die Versprechen zu halten!"

Mit welcher Geschwindigkeit der Umbruch vor 20 Jahren über den Ostblock hinweggefegt ist, lässt sich exemplarisch am besten an einem Tschechen darstellen: Im Jänner 1989 wurde der Dramatiker und Bürgerrechtler Vaclav Havel noch bei einer Demonstration festgenommen und vier Monate inhaftiert. Am 29. Dezember wählte ihn das tschechoslowakische Parlament zum Präsidenten. Dazwischen lag die "Samtene Revolution": Mit Schlüsseln in ihren erhobenen Händen hatten im Herbst 1989 die (damals noch) Tschechoslowaken am Prager Wenzelsplatz ihrer Unzufriedenheit über die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Zwänge Luft gemacht, die ost-kommunistische Vergangenheit im wahrsten Sinne des Wortes zu- und die west-demokratische Zukunft aufgesperrt. Mitte Dezember 1989 wurde von tschechoslowakischer Seite mit dem Abbau des Eisernen Vorhangs begonnen.

Zu dem Zeitpunkt war an der österreichisch-ungarischen Grenze die einstige Todeszone bereits Geschichte. Schon am 27. Juni 1989 mussten der österreichische Außenminister Alois Mock und sein ungarischer Amtskollege Gyula Horn lange suchen, um noch einige Meter des Drahtverhaus zu finden, die sie symbolträchtig durchschneiden konnten. Offiziell hatte der Abbau des Eisernen Vorhangs auf ungarischer am 3. Mai 1989 begonnen - inoffiziell war das Schleifen der Grenzbefestigungen aber schon seit 1987 ein Thema.

Nicht den Kommunismus stürzen

Ursprünglich wollte man damit nur die Lebensverhältnisse in der Grenzregion normalisieren, erklärte der Landeskommandant der ungarischen Grenzwache, Janos Szekely, kürzlich bei einer Gedenkveranstaltung in der Ungarischen Botschaft in Wien. Als wir den Abriss vorschlugen, so Szekely, "hatten wir keineswegs vor, den Kommunismus zu stürzen". Heute sieht er aber, dass "das Durchschneiden jedes einzelnen Drahtes ein Stück am Rad der Geschichte gedreht hat".

Der ungarisch-österreichische Journalist Paul Lendvai moderierte besagte 1989er-Erinnerungen und zitierte dabei ein altes polnisches Bonmot: "Was ist das Schwierigste zum Voraussagen? - Die Vergangenheit!" In Ungarn sei das heute noch so, sagte Lendvai und fragte, neben den Diskussionsteilnehmern Franz Vranitzky und Wolfgang Schüssel sitzend, wann es im politisch verfeindeten Ungarn möglich sein werde, dass er neben zwei Spitzenrepräsentanten gegnerischer Lager werde sitzen können: "In Jahren? Jahrzehnten? …"

"Wenn man die Scheiße in den Köpfen der Leute einfach abschalten könnte, würde ich den ganzen Tag lang nichts anderes tun", schreit Paula im rumänischen Film "Stop the tempo". Drei junge Rumänen lernen sich in einem Bukarester Club kennen. Frustriert über ihr Leben, gefangen zwischen Jobs und Langeweile, und geschüttelt von einer Identitätskrise, die das ganze Land erfasst hat, suchen sie nach dem ultimativen Kick. Mit ihren temporeichen, schmerzhaft realitätsnahen Filmen und Theaterstücken gilt die 31-jährige Autorin Carbunariu seit einigen Jahren als große rumänische Nachwuchshoffnung. Ihr Thema: die Unsicherheit im post-kommunistischen Rumänien - heute.

Touristenattraktion Diktatur

Damals, am Weihnachtstag 1989 wird der rumänische Staats- und Parteichef Nicolae Ceausescu von einem Standgericht verurteilt und gemeinsam mit seiner Frau hingerichtet. Dramatischer Showdown des Wendejahrs. Zwanzig Jahre danach tagt in Ceausescus gigantomanischem Parlamentspalast in Bukarest das rumänische Abgeordnetenhaus und der Senat. Doch das nach dem Pentagon zweitgrößte Gebäude der Welt macht nicht die demokratische Gegenwart zur Touristenattraktion Nr. 1, sondern die diktatorische Vergangenheit ist für Touristen anziehend wie ein Magnet - 1989 zum Trotz.

Den rumänischen Jugendlichen hingegen wird eine große Unwissenheit gegenüber der diktatorischen Vergangenheit unterstellt. Bis dato gebe es keine für junge Menschen aufbereitete Geschichte des Kommunismus, kritisiert Carmen Bendovski, die Leiterin des Rumänischen Kulturinstituts in Wien. Und im rumänischen Lehrplan sind dieser Periode gerade einmal acht Stunden in der gesamten Schullaufbahn gewidmet.

Um die Wissenslücken über Rumänien wenigstens in Österreich zu schließen, gibt es allerdings ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm des Kulturinstituts in Wien und anderswo im Land. Ein wenig erinnern dieser und andere 1989er-Erinnerungs-Marathons an die im Vorjahr getätigte Aussage des Tschechen Antonin Liehm, der meinte, dass der Prager Aufstand 1968 vierzig Jahre danach in Österreich weit mehr ein Thema sei als in Tschechien selbst. 2009 scheint sich Liehms Analyse erneut zu bestätigen. Österreich feiert und gedenkt 1989 mehr als Rumänien, Ungarn … oder auch Tschechien.

"Das große Gedenkjahr an das Jahr der Befreiung ist es eigentlich nicht", konstatiert auch Florian Haug, Direktor des Österreichischen Kulturforums in Prag. Die Tschechen sind es laut Haug gewohnt, "vor der Geschichte einen großen Bogen zu machen". Denn mit jeder Interpretation gehe auch ein Stück Selbstbeschädigung einher. "Darum ist es besser", so Haugs Resümee nach dem Blick in die tschechische Seele, "man beschäftigt sich nicht zu viel mit diesen Themen."

Ganz unbehelligt von ihrer Geschichte will der Kunstforum-Leiter die Tschechen aber nicht davonkommen lassen. In Ausstellungen, Lesungen, Workshops und Filmvorführungen wird die jüngere und ältere Geschichte Tschechiens thematisiert - und die Beziehung zu Österreich. Haug will zeigen, dass "hier nicht jeder Stein tschechisch spricht". Und einen Wunsch hat er auch: "Die Tschechen sollen ihre Vergangenheit annehmen, damit sie die gemeinsame Zukunft in der EU annehmen können." Ein Wunsch, der für die anderen Ex-Ostblockstaaten und heutigen EU-Länder gleichermaßen gilt.

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