Schneisen im Stacheldraht

Werbung
Werbung
Werbung

Wie hat es ausgesehen mit Österreichs Entschlossenheit, zugleich im Westen verankert, Zone der Entspannung und Brücke zum Osten zu sein? Zeitzeugen erinnern sich, zeichnen ein großes Bild mit einigen unschönen Flecken.

Die waren ihnen viel zu fromm", antwortet die langjährige orf-Osteuropa-Korrespondentin Barbara Coudenhove-Kalergi auf die Frage, nach einer möglichen Zusammenarbeit des ögb mit der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarno´s´c in den 80er-Jahren. Öffentliche Beichten und Anführer Lech Walesa bei Protestkundgebungen mit einer Mutter-Gottes-Statue in Händen - da wendeten sich mit sehr wenigen Ausnahmen die österreichischen Gewerkschafter angewidert ab und blieben stattdessen ein treuer Partner des offiziellen und regimetreuen kommunistischen Gewerkschaftsbundes.

Das liebgewordene Bild vom neutralen Österreich, das während des Kalten Krieges die "europäischen Brüder und Schwestern" hinter dem Eisernen Vorhang stets nach besten Kräften unterstützte, bekommt auch einige unschöne Flecken, wenn man Zeitzeugen nach ihren diesbezüglichen Erinnerungen befragt.

Wirtschaft hatte Vorrang

Milan Horálek, tschechischer Dissident und nach der "samtenen Revolution" erster Sozialminister der neuen Republik, meint im Gespräch mit der Furche, dass die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Österreich und den damaligen Ostblockländern auf beiden Seiten absoluten Vorrang hatten. Für ihn als Wirtschaftswissenschafter, gegen den man wegen "anti-sozialistischem Vorgehen" 18 Jahre "Prag-Verbot" verhängt hatte, waren die aus Österreich geschmuggelten Wirtschaftsdaten aber immer wieder unverzichtbare Voraussetzungen seiner wissenschaftlichen Arbeiten.

Manfred Scheuch, Historiker und langjähriger Chefredakteur der Arbeiterzeitung wiederum sagt, dass "die sozialistische Regierung in Österreich sehr vorsichtig war, um ja mit den kommunistischen Machthabern gut auszukommen". Andere vertreten die Meinung, dass es insbesondere auf Seiten der Sozialdemokratie im Westen, darunter auch in Österreich zu lange die Hoffnung gab, der Kommunismus werde sich schon irgendwie mäßigen lassen und zu einer Art Sozialdemokratie verändern.

Ungeliebte Dissidenten

Coudenhove-Kalergi erzählt von Begegnungen zwischen österreichischen Managern der Verstaatlichten Industrie mit ihren tschechischen Visavis: "Die haben sich wunderbar verstanden, und in jeder Beziehung gut zusammengepasst - ein gewisser Opportunismus war da nicht zu leugnen, da haben die Österreicher schon gegenüber dem jeweiligen Regime Fleißaufgaben gemacht." Für die Journalistin steht jedenfalls fest: "Die Deutschen und Engländer waren bei der Unterstützung von Dissidenten viel besser." Bei österreichischen Politikern habe es eher eine "instinktive Abneigung gegeben" und man wollte an diesen Abweichlern nicht zu viel anstreifen - weder Sozialisten noch Konservative - Coudenhove: "Die övp braucht sich den Busek nicht auf den Hut zu stecken - denn der hat sein Ostblock-Engagement ja als privates Hobby betrieben".

In seinem Buch "Mitteleuropa" beschreibt Erhard Busek wie ihn 1968 der Zufall zeitgleich mit dem Einmarsch russischer Truppen nach Prag führte, wie er Botschafter Rudolf Kirchschläger bei dessen Hilfestellung für Flüchtlinge erlebte und wie ihn seine neu gewonnenen tschechoslowakischen Freunde aufforderten: "Du darfst uns nicht vergessen!" Busek: "So begann meine wirkliche Begegnung mit Mitteleuropa."

Paul Leifer, in den Achtzigern Botschafter in Belgrad, erinnert sich, dass der Wiener Vizebürgermeister Busek einmal mit einem Autobus voller Journalisten in die jugoslawische Hauptstadt reiste. Die österreichische Botschaft organisierte daraufhin einen Heurigen, wo es zum Gedankenaustausch mit Regimekritikern kam, persönliche Kontakte geschlossen und Einladungen nach Österreich ausgesprochen wurden. "Da sind gigantische Dinge passiert", blickt Leifer zurück: "Die jugoslawische Seite hat das zwar nicht gern gesehen, dagegen vorgegangen ist sie aber auch nicht."

"Die Beziehungen zu den einzelnen Ländern waren sehr unterschiedlich", sagt Botschafter Gerald Hinteregger: "Der schwierigste Nachbar war die Tschechoslowakei, da ist nach der Niederschlagung des Prager Frühlings das härteste Regime ans Ruder gekommen."

Tote Flüchtlinge an der Grenze

Hinteregger erinnert sich, dass es in seiner Zeit als Generalsekretär im Außenministerium von 1981 bis 1987 immer wieder zu sehr ernsten Grenzzwischenfällen gekommen ist, einmal sogar zwei Flüchtlinge erschossen wurden, woraufhin man die diplomatischen Beziehungen eingefroren hat, und es lange dauerte, bis sich die Beziehungen zur Çcssr wieder halbwegs normalisierten.

Ideologische Abgrenzung

Als ganz anders, als viel besser schildert Hinteregger das Verhältnis zum Nachbarn Ungarn: "Die sind in ihrer Öffnung gegenüber dem Westen sehr weit gegangen, da gab es alle möglichen Kooperationen." Als Sekretär von Außenminister Kreisky erlebte Hinteregger 1961 ein Treffen mit dem ungarischen Außenminister in Budapest, bei dem dieser an die gemeinsame Geschichte zwischen Österreich und Ungarn anknüpfte und ein Miteinander auch für die Zukunft propagierte. "Bei den Tschechen wurde uns bei jeder Gelegenheit, die gemeinsame Geschichte vorgeworfen", vergleicht Hinteregger. Großen Wert legt er darauf, dass bei aller Annäherung an kommunistische Regime der österreichischen Seite "stets die klare ideologische Abgrenzung wichtig war". Das sowohl von spö als auch von övp vertretene außenpolitische Credo lautete, sagt Hinteregger: "Den Eisernen Vorhang so weit wie möglich durchlässiger zu machen."

Schneisen in den Stacheldraht zu schlagen, ist auch laut Arnold Suppan das vorrangige Ziel der österreichischen Kultur- und Wissenschaftskontakte in den Ostblock gewesen - "und das wurde von unserer Politik gefördert". Der Leiter des Instituts für Osteuropäische Studien der Universität Wien will dabei vor allem den orf hervorheben, verweist auf die Sendung Club 2, die auch hinter dem Eisernen Vorhang gesehen wurde und Diskussionen und Aufbrüche ausgelöst hat. Oder Helmut Zilks Stadtgespräche im Prag der 60er-Jahre, die ersten Live-Sendungen aus dem Ostblock. Das Modell Österreich habe den Menschen in den kommunistischen Nachbarländern sehr gefallen, sagt Suppan: Neutralität, Mischwirtschaft - nicht kapitalistisch, nicht sozialistisch - "Österreich wurde als Vorbild gesehen".

Schaufensterfunktion

Auch der frühere Spitzendiplomat Otto Maschke betont die "Schaufensterfunktion Österreichs in dieser Zeit: "Dieser praktische Anschauungsunterricht über das Leben in einem freien Land, kann in seiner Langzeitwirkung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden." Anfang der Achtziger moderierte Maschke beim Madrider Treffen im Rahmen der ksze-Verhandlungen zwischen Ost und West den sogenannten "Korb III", in dem die humanitären Anliegen und die Menschenrechte behandelt wurden. "Nur wegen unserer Neutralität, konnten wir damals so fabelhaft mitspielen", sagt Maschke, "und zu einer wirklichen Entkrampfung zwischen den beiden Blöcken beitragen." Die Sowjets haben Österreich wegen der Neutralität "eine Unbedenklichkeitsbescheinigung" ausgestellt, sagt Maschke: "Mit uns dürfen sie reden, haben die Ungarn, die Tschechen, die Polen gewusst - und das haben sie gemacht und wir mit ihnen."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung