Erfolgreich gescheitert

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Das Jahr 1968 im europäischen Kontext. Ein hochkarätiges Symposium in der südmährischen Grenzstadt Znaim.

Niemals vor der Wende von 1989 seien Tschechen und Österreicher einander so nahe gestanden wie im Prager Frühling, meinte Botschafter Emil Brix, als Leiter der Kulturpolitischen Sektion im österreichischen Außenministerium einer der Podiumsdiskutanten, und bedauerte, dass das Jahr 1968 nicht jenseits aller Revolutionsromantik genützt werde, um die mittlerweile wieder aufgetretenen Irritationen aufzuarbeiten.

Zumindest bei dem Symposion in Znojmo, das am ersten Tag von Petr Brod, einem Sohn des früheren Prager Furche-Korrespondenten Leo Brod, moderiert wurde, ist die Chance aber ergriffen worden. Die Anreise von Außenministerin Plassnik aus Wien und ihrem "lieben Kollegen Schwarzenberg" aus Prag galt dabei auch dem Mährisch-Österreichischen Zentrum, das im Veranstaltungsort, dem großteils noch devastierten einstigen Prämonstratenserstift Klosterbruck (Louka), entstehen soll.

Wie sehr sich der Prager Frühling als Anknüpfungspunkt eines "Dialogs an einem Tisch" eignet, erwies sich nicht zuletzt an den präzisen Erinnerungen, die die Teilnehmer an den Tag des Einmarsches der Warschauer-Pakt-Truppen in der Tschechoslowakei haben. Botschafter Brix, damals elf Jahre alt, wurde "aus Fürstenfeld nach Wien evakuiert, weil es da sicherer war"; Bruno Aigner, heute Sprecher von Bundespräsident Heinz Fischer, befand sich auf dem Flug zu den Bermudainseln und befürchtete einen Durchmarsch der Okkupationstruppen nach Jugoslawien; und der Prager Historiker Jirí Hoppe, der am Tag nach dem Einmarsch geboren wurde, weiß aus den Erzählungen seiner Mutter, dass sie weinend zwischen Panzern zur Entbindung gefahren sei.

Unbestimmter Traum

Karl Schwarzenberg, der nach eigenen Worten "jetzt wieder zu Hause" ist und "gern an die Zeit in Österreich" zurückdenkt, rühmt vor allem die damalige "Offenheit zu helfen", weiters die Informationstätigkeit des ORF, der nach dem Einmarsch täglich Nachrichten in tschechischer Sprache sendete und die Relaisstation für die weltweite Berichterstattung über die Prager Ereignisse abgab, aber auch den "unvergesslichen Einsatz" Bruno Kreiskys und Rudolf Kirchschlägers.

Klas Daublebsky, 1968 Rudolf Kirchschlägers rechte Hand an der österreichischen Gesandtschaft und später selber Missionschef in Prag, berichtete von den Bemühungen, niemandem die Einreise nach Österreich zu verwehren, aber auch von der Angst des Wiener Innenministeriums vor einer Infiltration des Landes mit kommunistischen Spitzeln. Daublebsky erinnerte sich auch an die Parole Freiheit und Neutralität, die auf eine Schulwand neben der Gesandtschaft gekritzelt war: "Man wollte dem Westen näher kommen, indem man dem Vorbild Österreichs folgt." Der Einmarsch von DDR-Truppen hingegen habe unangenehme Reminiszenzen an das Jahr 1938 geweckt.

Petr Pithart, Erster Vizevorsitzender des tschechischen Senats, verband so wie der Diplomat Daublebsky den persönlichen Erfahrungsbericht mit scharfsinniger Analyse. Die Sechzigerjahre seien in der Tschechoslowakei das "letzte Jahrzehnt der Hoffnungen" gewesen, danach sei es klar gewesen, dass es "keinen besseren Sozialismus" geben werde. Die Studenten im Westen habe man als kindisch angesehen: "Wir fühlten uns nicht außerhalb des europäischen Stroms, aber wir bewegten uns in der Gegenrichtung." Gemeinsam sei den Revoltierenden von 1968 nur der "unbestimmte Traum des Unmöglichen" gewesen, die Inhalte hingegen seien völlig unterschiedlich gewesen.

Wie groß die Kluft im Verständnis des "Bruchjahres auf beiden Seiten" (Karl Schwarzenberg) in Ost und West bis heute ist, erwies dann vollends der zweite Tag des Symposions, an dem die Historiker das Wort hatten, unterbrochen nur von den Interventionen des unentwegten Antikapitalisten Peter Kreisky. Konzentrierte sich Karl Vocelka, Professor an der Wiener Universität und mit seinem Olmützer Kollegen Miloš Trapl der wissenschaftliche Motor des Unternehmens, in seiner Analyse der westlichen Gesellschaft auf deren mentale Befindlichkeit - Stichworte sexuelle Befreiung, Demokratisierung, Make Love not War, in Deutschland und Österreich auch Entnazifizierung -, so rechnete Jirí Hoppe gleich einleitend mit dem realen Sozialismus ab, der nicht einmal imstande gewesen sei, genügend Särge bereitzustellen.

1968 als Bruchjahr

Festmachen lässt sich die Divergenz der Anschauungen vor allem an der unterschiedlichen Bewertung der Person Alexander Dubceks, die sich bis heute nicht verändert hat. In den österreichischen Tageszeitungen des Jahres 1968 sei fast durchwegs Dubceks Sichtweise wiedergegeben worden, wies der Wiener Historiker Paulus Ebner in einem akribischen Vergleich nach. In den Augen Jirí Hoppes hingegen war der Bannerträger des "Sozialismus mit dem menschlichen Antlitz" ein Zauderer, der an den Widersprüchen seiner Grundeinstellung scheitern musste. Und während Wiener Studenten Ho - Ho - Ho Tschi Minh skandierten (auch Bruno Aigner bekennt sich dazu), hegten Prager Studenten durchaus Sympathien für die USA, die in Vietnam der Sowjetisierung Einhalt gebieten wollten.

Wenn nächstes Jahr an der Moldau eine Ausstellung an den Prager Frühling erinnert (das Znaimer Symposion verstand sich als Auftakt zum 40-Jahr-Jubiläum), wird sie die Ereignisse von 1968 also wohl kaum nostalgisch verklären. Was aber wirksam und Auftrag für die Zukunft bleibt, ist die Erinnerung an den Mut von Dissidenten beiderseits des Eisernen Vorhangs, verkrustete Strukturen aufzubrechen und politische Verantwortung wahrzunehmen. Insofern ist, so Karl Vocelka in seinem Resümee, die Revolution von 1968 "erfolgreich gescheitert".

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