Urzidil - © Foto: picturedesk.com / ÖNB-Bildarchiv

­Johannes Urzidil: Weltmann aus Prag

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Vor 50 Jahren, im November 1970, starb der böhmische Erzähler ­Johannes Urzidil in Rom. In seinen ­immer noch aktuellen ­Schriften treffen Tradition und kosmopolitische Geistesgegenwart aufeinander.

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Vor 50 Jahren, im November 1970, starb der böhmische Erzähler ­Johannes Urzidil in Rom. In seinen ­immer noch aktuellen ­Schriften treffen Tradition und kosmopolitische Geistesgegenwart aufeinander.

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Er war das, was man im vorigen Jahrhundert einen Altösterreicher genannt hat. Geboren 1896 in Prag, war Johannes Urzidil in jungen Jahren noch Bürger der Habsburgermonarchie gewesen. Später, als Literat, wurde er ein Altösterreicher, wie er im Buche steht: übernational verbindlich, in Sprache und Gedankengängen der austriakischen Ausdrucksweise verbunden, literarisch und kulturell einer großen mitteleuropäischen Tradition verpflichtet.

Seine Heimatstadt Prag war für Urzidil später, in der von den Nazis aufgezwungenen Emigration, „Die verlorene Geliebte“, wie einer seiner schönsten Erzählbände heißt. In dem stark autobiographisch getönten Erinnerungsbuch findet sich gleich zu Beginn die Reminiszenz des Knaben an die zahlreichen Heldenbilder in Kalenderansichten, die den verehrten Kaiser im fernen Wien einmal als Krieger „im Kugelregen einer Schlacht bei Santa Lucia“, dann wieder „tollkühn auf einem schwankenden Floß inmitten türmender Wellen bei der Überschwemmung in Ungarn“ oder auch „in älpischer Tracht als Gemsjäger in Ischl“ zeigten. Bei tschechischen Nationalisten indes galt der Kaiser, den sie abfällig „Prochazka“ nannten, nicht eben viel, hatte er sich doch, wie Urzidil schreibt, „nicht zum König von Böhmen krönen lassen“.

Der „Prager Kreis“

Das war die Welt, in die der Sohn eines deutschböhmischen Eisenbahningenieurs und einer vom Judentum zum Katholizismus konvertierten Pragerin hineingeboren wurde. Die Mutter starb, als der Knabe vier Jahre alt war. Der Vater vermählte sich nochmal, und der Sohn litt fortan unter dem hartherzigen Gebaren der Stiefmutter, was das Erinnerungsbuch nicht verschweigt. Den Untergang der Donaumonarchie bedauerte Urzidil, der im Ersten Weltkrieg noch die Uniform eines österreichisch-ungarischen Soldaten getragen hatte, im Rückblick als den Zerfall einer supranationalen Ordnung, in der er sich frei und selbstgewiss bewegt hatte.

Im Roman „Prager Triptychon“ – ebenfalls ein Zentralwerk des Erzählers – beschwor Urzidil ein „hinternationales“ Bewusstsein: „Hinter den Nationen – nicht über- oder unterhalb – ließ sich leben und durch die Gassen und Durchhäuser streichen.“ Am Scheitern der Doppelmonarchie indes war die Unfähigkeit des Staatsgebildes abzulesen, den Anforderungen eines zeitgemäßen demokratischen und sozialen Gemeinwesens nachzukommen.

Die mitteleuropäische Metropole Prag war für Urzidil vor allem die zentrale Begegnungsstätte für jene Dichterrunde, der Max Brod den Namen „Prager Kreis“ verliehen hat. Neben Brods Freund Franz Kafka gehörten ihm etwa auch Paul Kornfeld, Franz Werfel, der blinde Dichter Oskar Baum oder Ludwig Winder, der erste Biograph des Thronfolgers Franz Ferdinand, an.

Flucht vor den Nazis

Als jüngstes Mitglied stieß Urzidil 23-jährig zu der Gruppe, die wegen ihres Treffpunkts im ­Café Arco von Karl Kraus die „Arconauten“ genannt wurde. In seiner Hommage „Da geht Kafka“ führte Urzidil etliche Jahrzehnte später die nachgeborenen Leser in Kafkas Lebenswelt und in das literarische Prag der 1920er Jahre ein.

In seinen Anfängen war der Autor als Lyriker und Expressionist hervorgetreten. Mit dieser Zeit setzte er sich in einer bis ins Makabre ausschweifenden Schwejkiade im Mittelteil seines „Triptychon“-Romans auseinander: Die Geschichte vom ruhelosen „österreichisch-jüdischen Revenant“ Weißenstein Karl persifliert, flackernd zwischen Schein und Sein, das Bohèmeleben eines Dichters, „der wirklich gelebt hat und gleichzeitig eine Romangestalt Urzidils und wohl auch ein selbstbezichtigendes Selbstporträt ist“, wie Claudio Magris feststellte.

Als Presseattaché diente Urzidil ab 1922 in der Deutschen Gesandtschaft Prag. 1933, nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland, verlor er als „Nichtarier“ unverzüglich die Stelle. Er wich nach Nordböhmen aus, in das Herkunftsland seines Vaters. Dort spielt „Grenzland“, eine seiner berührendsten Geschichten, die vom tragischen Tod eines Naturkinds erzählt.

Durch die Heirat mit der Lyrikerin Gertrud Thieberger, der Tochter einer alteingesessenen ­Prager Rabbinerfamilie, war ­Urzidil nach dem Einmarsch der Nazis in Prag doppelt gefährdet. Mit knapper Not entkam das Ehepaar 1939 über Italien zunächst nach England und 1941 nach New York. Dort bestritt der Schriftsteller seinen Lebensunterhalt als Lederkunsthandwerker. Später wurde er amerikanischer Staatsbürger und arbeitete regelmäßig in der österreichischen Abteilung der „Stimme Amerikas“ mit.

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