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Dubceks Feld wird nicht mehr gepflügt (I)

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Historiker werden es einmal nicht leicht haben, entsprechende Phasen in der Entwicklung der Tschechoslowakei nach, ihrer Bedeutung zu werten. Welche Daten werden entscheidendere Meilensteine in der Geschichte der Tschechoslowakei darstellen: Die Entfernung Novotnys als Parteisekretär am 3. Jänner 1968 und die Wahl von Alexander Dubcek? Der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei am 21. August 1968 oder der Abgang Dubceks als Chef der KPTsch und seine Ersetzung durch Dr. Gustav Husäk am 17. April 1969?

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Historiker werden es einmal nicht leicht haben, entsprechende Phasen in der Entwicklung der Tschechoslowakei nach, ihrer Bedeutung zu werten. Welche Daten werden entscheidendere Meilensteine in der Geschichte der Tschechoslowakei darstellen: Die Entfernung Novotnys als Parteisekretär am 3. Jänner 1968 und die Wahl von Alexander Dubcek? Der Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in der Tschechoslowakei am 21. August 1968 oder der Abgang Dubceks als Chef der KPTsch und seine Ersetzung durch Dr. Gustav Husäk am 17. April 1969?

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Diese Fragestellung ist nicht ganz richtig, und so können es auch die Antworten kaum sein. Innerpolitisch sind der Abgang Novotnys Ende 1967 und die Machtergreifung Husäks im Frühling 1969, aber vor allem die dazwischenliegenden 450 Tage der Ära Duböeks zweifellos erstrangig. Der 21. August hingegen hat eine zweifache Bedeutung; es geht hier nicht allein um das brutale Eingreifen kommunistischer Länder in die Geschicke eines anderen kommunistischen Landes; die hier vorexerzierte ..Breschnjew-Doktrin“, diese letztlich auch für Moskau selbst nicht ungefährliche Doktrin einer beschränkten Souveränität innerhalb des Konzerts der kommunistischen Länder, hat weit über die Tschechoslowakei hinaus eine Bedeutung und ist — mit umgekehrten Vorzeichen — etwa mit der Tito-Initiative im Jahre 1948 vergleichbar. Darüber hinaus dürfte sie, was immer später auch gekommen sein mag. einen Schlußstrich unter die 120jährige Geschichte des 'Panslawismus bedeuten.

Gibt es eine Xra Dubcek?

So wenig auch die externen Folgen des 21: August trotz des inzwischen durchgeführten Moskauer Gipfels bereits abzuschätzen sind, die inner-tschechische und innerslowakische Abklärung ermöglicht schon heute ein relativ klares Bild. Sowenig man von einer „Ära Novotny“ sprechen kann — auch wenn er zwölfmal so lang an der Macht war wie Dubcek —, sowenig kann man bei den 450 Tagen, die Duböek zur Verfügung standen, von einer „Ära Duböek“ sprechen, und dies um so mehr, •als diese Zeit noch durch den ■21. August in zwei sehr unterschiedliche Phasen geteilt war. Die Ende 1967 abgeschlossene Ära war praktisch die des Stalinismus, in den die kommunistische Tschechoslowakei sozusagen hineingeboren worden war; es war gleichzeitig die Gottwald-Zeit (eine Tatsache, auf die sich heute kaum jemand getraut hinzuweisen). Lediglich ein etwas merkwürdiger „Nachruf“ des kommunisti-

schen slowakischen Dichters Novo-rruesky auf Duböek scheint dies anzudeuten, wenn er sagt, daß „weder Duböek noch Novotny die Schöpfer •und Träger jenes Systems waren, das sie mit ihren Namen repräsentieren“. Nach Gottwalds plötzlichem Tod unmittelbar nach der Liquidierung seines innerparteilichen Hauptgegners Slänsky im Jahre 1953 und dem Zwischenregime eines Zäpo-tocky als Staatspräsident, bei dem Novotny schon als Parteichef fungierte, bedeuteten die 15 Jahre unter Novotny die Phase des Spätstalinismus der Tschechoslowakei. Novotny, bis zuletzt Idol der kleinen Funktionäre, gehörte geistig tatsächlich zu •ihnen. Unfähig, die Zeichen der Zeit zu erkennen, machte er nur kleine und kleinste Schritte weg vom Stalinismus. Gewiß gab es keine Monsterprozesse und wenig Todesurteile mehr; immerhin aber noch genug politische Verurteilte — und vor allem kaum echte Rehabilitierungen. Das führte dazu, daß sich praktisch die noch unter Gottwald Verurteilten — wie etwa Novomesky, aber auch Husäk, um nur die Prominentesten zu nennen — weniger als Opfer Gottwalds denn als solche Novotnys fühlten. War schon Novotnys Haltung den eigenen Parteigenossen gegenüber zwielichtig, so wurde dies erst recht im Verhalten anderen Gruppen, etwa der Kirche, gegenüber gichtbar. Es gab keinerlei Rehabilitierungen, kein Aufrollen der damaligen Prozesse, der falschen Zeugenaussagen, der vielfältigen Formen der Gewalt. Gewiß gab es beim Ende der Novotny-Zeit keine verhafteten Bischöfe und kaum noch verhaftete Priester. Sie alle aber waren formlos entlassen, bestenfalls durch den Präsidenten begnadigt worden — nicht anders wie altgewordene Verbrecher, die ihren Teil abgesessen hatten, aber weiterhin als Verbrecher angesehen wurden.

230 Tage „Demokratie“

In einer Zeit, da man mit viel Erfindungsgabe und propagandistischem Aufwand die Partei- und Staatsführung unter Dubcek als

„rechtsgerichteten Opportunismus“, als „sogenannte Reformer“, als „antisozialistische und antisowjetische Gruppe“ bezeichnet, ist es tatsächlich notwendig, sorgsam eine Antwort auf die Frage zu suchen, was das „Experiment Dubcek“ sein wollte und wie es eingeordnet gehört. Dabei soll gar nicht geleugnet werden, daß bei diesem gewaltsam abgebrochenen Experiment eine Reihe von Fragezeichen verbleiben — und zwar nicht nur uotier kommunistischer Betrachtungsweise.

Zweifellos war das Bestreben nach einer irmerparteilicben Demokratisierung, nach einer Humanisierung und Demokratisierung des Staates, nach einem humaneren Kommunismus, nach einer sichtbaren Rechts-staatüichkeit erklärtes Ziel einer langsam zusammenwachsenden Reformergruppe, der Dubcek den Namen gab, die aber auch unerwartet schnell mit dem Namen General Svobodas verknüpft wurde, daneben mit anderen Personen, die heute im Schatten stehen (Cisaf, Smrkovsky) und anderen, die völlig in Ungnade gefallen sind, wie Sik, Hühl oder Kriegl. Und min setzte jener Prozeß ein, mit dem Hand in Hand die Neuzeichnung des Dubcek-Bildes als •gutwilliger und gutmeinender Schwächling erfolgte: der kausale Zusammenhang von Redemokrati-sierung und Pressefreiheit (die über Nacht da war), die Bereitschaft zahlreicher und maßgeblicher KP-Funktionäre, die demokratische und humanitäre Tradition der Tschechen (die gewiß nicht für alle Zeitabschnitte ihrer Geschichte, so vor allem nicht für die Hussiten-Kriege oder die zwanziger und vierziger Jahre galt!) in ein zu wandelndes kommunistisches System einzubauen Die damals im Frühjahr 1968 in Prag sehr wohl diskutierten Fragen nach der künftigen Führungsrolle der KP. nach Opposition. Ja nach einer „formierten Opposition“ bewegte bald Ost-Berlin und Moskau mehr als Prag, das zuversichtlich war, „seinen Weg“ finden und gehen zu können, und gerade in dieser Situation von Ost-Berlin aus als ..k. u. k. Kommunismus“ charakterisiert wurde.

Noch weniger Gedanken machten sich viele Ignoranten im Westen, die reichlich verfrüht darüber triumphierten, daß die Tschechoslowakei wieder das „demokratische Herz“ Europas ei, daß von den Prager

neuen Männern ja eigentlich doch niemand „so richtig Kommunist“ sei, obzwar dies alle, voran der slowakische Dichter Mnacko. permanent und unüberhörbar wiederholten. All diese triumphierenden, übertriebenen, unwissenden Berichte und Kommentare, die die Ansätze zu einer Redemokraitisieruing schon als vollendete Demokratie, die erste Rehabilitierungsmaßnahme als beispielhafte Rechtsstaatlichkeit, die zaghafte Fühler einer nicht völlig liniengetreuen Außenpolitik schon als neuen Triumph einer traditionsreichen tschechischen Außenpolitik bezeichneten, gehörten mit zu den wichtigsten Totengräbern Duböeks und seines Experiments. Aber auch

die Begabung der Tschechen zu einer weltweiten Propaganda beschleunigten das Ende. Die immer wieder auftauchende These, das tschechische Experiment werde beispielhaft sein und im Ostblock Schule machen, wurde vor allem für Ostdeutschland mehr als das innertschecbische Experiment das „rote Tuch“. Schließlich hat der Enthusiasmus weiter Teile der (auch niichtkommu-nistischen) Öffentlichkeit wohl dazu geführt, daß Duböek mit Recht sagen konnte, noch nie habe sich die Bevölkerung derart um einen kommunistischen Führer geschart; gerade diese soontane Zustimmung weckte aber gleichzeitig das Mißtrauen in Mockau. Ost-Berlin. Budapest und Warschau, deren Exponenten nie oder bestenfalls — wie etwa Oomulka — vorübergehend Idol der Bevölkerung ppworden waren, die sonst die Bevölkerung im günstigsten Fall an der Stange zu halten vermochte und denen eine solche Spontanität und Begeisterung eher susppkt erschien.

Der 21. August beendete zweifellos d'ese erste Phase des Reformkurses. Nur auf zwei Sektoren konnte die Arbeit halbwegs weitergeführt werden: auf dem wichtigen Sektor der Rechtsstaat! ichkeit. auch wenn hier nur noch schlicht und einfach Rehabilitierungen bekanntgegeben wurden, während früher — denken wir nur an das Buch Löbels über den ..Slänskv-Prozeß“ — alle hur möglichen Enthüllungen über die Justiz der Gottwald-Novotn-Zeit an der Tagesordnung waren. Das zweite war die Föderallsierunig der Tschechoslowakischen Republik — inzwischen wohl zu einem Randproblem degradiert, das zudem nur den Slowaken ein Herzensanliegen war, während dip Tschechen bis zum heutigen Tag darin nicht viel mehr als e'ne Aufolujsterung und eine weitere Rürokratisierung sehen. Der Demo-krajtisierungswrozeß (auch auf dem Sektor der Presse) war zweifellos sichtbar abgestorjut, auch wenn man nach dem endgültigen Abgang Dubceks, also nach dem 17. April 1969, erst so richtig sehen konnte, was es alles aus der Ära Dubcek noch zu demontieren gab.

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