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„. •. auch wir waren Verfolger“

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Wenn man heute die Klagerufe des Genossen Kohout über die permanenten Verletzungen der Menschenrechte in der Tschechoslowakei liest und hört, ist man nur zu gerne bereit, in ihm einen Tapferen zu sehen - und dafür seinen Anteil an dem Aufbau dieses menschenfressenden Molochs, der nach seiner Kehle greift, zu vergessen. Aber, Genosse Kohout -oder, um hier nicht einen Immerbesserwisser zu spielen - Genosse Mnacko, aber auch Genosse Dubcek und sogar Genosse Kriegel: die permanente Verletzung der Menschenrechte, die Herabwürgung der Menschenwürde, die Vergewaltigung aller Freiheiten ist nicht das Resultat des russischen Einmarsches in die Tschechoslowakei!

All diese Werte waren schon viel früher mit genagelten Stiefeln zertreten! Und dies durch dich, Genossen Kohout und Mnacko und Dubcek und sogar Kriegel! Und in viel brutalerer Weise, als es heute geschieht!

In der Zeit der Prozesse gab es fast zwei Millionen Mitglieder der KP in der Tschechoslowakei. Ich kenne nur einen Kommunisten, der aus Protest gegen die Satanisierung des Tito aus der Partei austrat, und nur drei KP-Mitglieder, die gegen die Verurteilung von Slansky und Husäk ihre Hand während irgendeiner Parteiversammlung gehoben haben! Vielmehr als diese drei dürfte es kaum gegeben haben. Und schon überhaupt keinen bei den Prozessen gegen die vermeintlichen Hochverräter aus dem geschlagenen bürgerlichen Lager.

Da hob kein Kommunist die Hand gegen die Todesurteile, nicht Genosse Kohout, nicht Genosse Mnacko, nicht Genosse Dubcek und nicht Genosse Kriegel! Der persönliche Bankrott der stellvertretend für alle KP-Mitglieder Genannten fing damals an.

Es wäre unangebracht, jemandem vorzuwerfen, daß er, wenn auch aus intimst persönlichen Gründen, zu den Selbstschutzmaßnahmen des Reformismus überging. Aber das Image, das wir uns dabei angelegt hatten, das Gesicht des furchtlosen Helden der Opposition, stimmte nicht. Die meisten Protagonisten des Prager Frühlings führte zu der Oppositionsrolle, die sie spielten, maßlose Angst um das nackte Dasein. Um dieser zu entgehen, griffen sie zu den Trotzmitteln. Oder, umgekehrt: In so mancher Auflehnungstat ist es angebracht, das Beschleunigungsmittel zum eigenen Untergang zu suchen.

Ich kenne - dank unzähligen politischen Skandalen, die ich provoziert habe - nur zu gut den bittersüßen Beigeschmack der Auflehnung. In jedem von ihnen sah ich den letzten. Nach jeder provokativen Tat zitterte ich um mein Parteibuch und den letz-

ten Rest der persönlichen Freiheit. Fast enttäuscht nahm ich wahr, daß sie nicht, wie gefürchtet, um halb drei Uhr morgens kamen. Und bei der nächsten passenden Gelegenheit suchte ich wieder den Plafond, an dem ich mir den Kopf zerschmettern würde.

Dies aus einem höchst persönlichen Grunde. Obwohl ich nicht gerade an einem Märtyrerkomplex leide, schämte ich mich dafür, nicht zu den Getretenen zu gehören. Nur durch einen solchen Bruch konnte man die beschämenden Bindungen zu dem entmenschlichten System

endgültig loswerden - wenn man den Mut zum Selbstmord nicht fand.

Solche Gedankengänge und Gefühle waren die treibende Kraft der immer dreisteren Oppositionsrolle der meisten Intellektuellen in der Tschechoslowakei. Durch die günstige Häufung der Umstände gelang es, das bestehende System zu schwächen, bis zu seiner Zerstörung. Dann aber, dann kam das Vakuum.

Es gab keinen Leitgedanken. Es rächte sich, daß wir eine Doktrin als Philosophie anzusehen gewillt gewesen waren. „Kommunismus mit menschlichem Gesicht“, das war das

Maximum, wozu wir uns durchgerungen hatten - ohne darüber nachzudenken, daß ohne rechtliche, moralische, gesetzliche Garantie diese Vision zur Floskel verurteilt war.

Dabei waren wir nicht einmal die Erfinder dieser Parole. Das polnische Volk ist in seiner jüngsten Geschichte schon zweimal der Fata-morgana der durch die KP garantierten Demokratisierung auf den Leim gegangen. Dubcek ist immer noch Dubcek, Weil man ihm die Zeit und Gelegenheit nicht gegeben hat, Go-mulka zu werden. Oder - man darf schon wagen, es auszusprechen -Gierek. Mit der Zeit hätte er sich zu einem solchen entwickelt, als Führer einer wie auch immer liberalen, progressiven, aber auf den Anspruch der Alleinregierung nicht verzichtenden Allmachtpartei.

Und eine KP, die auf den Anspruch der alleinbestimmenden und -regierenden Partei verzichtet, ist keine Kommunistische Partei mehr. Das wäre etwas anderes und Neues. Leider haben wir uns mit dem anderen und Neuen kaum auseinandergesetzt.

Das, was uns da vorschwebte, war den bis heute nicht verwirklichten Zielen der Sozialdemokratie viel näher als der Vorstellung einer kommunistischen Gesellschaft. Dies, zugegeben, käme der Bankrotterklärung der KP gleich, und dazu sich durchzuringen, hatten nur die wenigsten Kommunisten den Mut. Für jeden einzelnen hieß dies, Jahrzehnte seines Lebens abzuschreiben, und, verspätet, nach dem Sinn des Daseins zu suchen. Also flickte man lieber weiter an der Vision eines reformierten, demokratischen Kommunismus, eines mit menschlichem Gesicht, ohne die eher peinliche Frage, wie denn dieser im Ganzen und in Details aussehen solle, überhaupt zu berühren.

Eines dürfte wohl feststehen: Ein nur durch eine Partei gelenktes Gesellschaftssystem kann nie Garantien für eine demokratische Entwicklung schaffen. Schon deswegen nicht, weil die für den Gesetzesmißbrauch stets anfällige Partei zugleich auch den Gesetzeshüter spielen möchte und gezwungenermaßen auch müßte. Das hieße, von einem Gesetzesbrecher zu verlangen, seinen eigenen Polizisten und Richter zu stellen.

Demokratie ohne präzisierte Rechtssprechung ist keine. Demokratie ohne wirksames Kontrollsystem ebenso nicht. Es ist zu befürchten, daß alle auch noch so vielversprechenden Absichten der Dub-cek-Führung an dem Mangel, ja an der Unmöglichkeit der Schaffung eines wirksamen Kontrollsystems zunichte gemacht worden wären.

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