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Ein merkwürdiger Politiker

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Ein merkwürdiger Politiker wurde in Preßburg nach einem Staatsakt zu Grabe getragen: Alexander Dubcek, Symbol des „Prager Frühlings". Merkwürdig im Sinn des Wortes: des Merkens würdig. Ein Mann, der bis zu seinem 17. Lebensjahr in der Sowjetunion (Zentralasien) lebte. Sein Vater war als Arbeitsloser dorthin ausgewandert. Ein Mann, der an der Moskauer Parteihochschule studierte und sich nach seiner Rückkehr in der Parteihierarchie hochdiente. 1968 bis '69 wurde er dann Erster Sekretär der tschechoslowakischen KP.

In dieser kurzen Zeit wurde Duböek zu einer historischen Figur. Er war ein Funktionär, der herzlich lächeln konnte, der sich seiner Tränen nicht schämte, als er von Moskau zurückkam und nicht wahrhaben wollte, daß der Traum vom „Sozialismus mit menschlichem Antlitz" nicht verwirklicht werden konnte. Da waren die Besatzer schon im Land, da hatte er die Demütigung des Diktats des berüchtigten „Moskauer Protokolls" schon hinter sich.

Dubcek, der merkwürdige Politiker, hatte viel guten Willen, wenig Ehrgeiz und ein Reservoir an Vertrauen, das auch die Moskauer Führung einschloß, die ihm schon längst mißtraute, als er der Demokratiebewegung freie Hand gab. Er hatte damit keine Erfahrung und ahnte nicht, daß es ein bisserl Demokratie nicht gibt.

Als die Journalisten ihre neuen Freiheiten lustvoll nützten, beklagte sich Dubcek: „Warum tun sie mir das an? Unter Novotny hätten sie sich gefürchtet. Wissen sie denn nicht, daß sie mir damit schaden?"

Er selbst wußte um seine Rolle nicht Bescheid: Er war ehrlich, einfach und nicht machtbewußt. Zuerst unterschätzte der charismatische Dubcek, der nichts von einem Volkstribunen an sich hatte, seine Möglichkeiten -dann, als die von Moskau verordnete „Normalisierung" begann, überschätzte er sie. „Wißt ihr denn wirklich nicht, mit wem ihr es zu tun habt?", fragte ihn der ungarische Parteichef Jänos Kädär nach einem langen Gespräch vor dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes.

Alexander Dubcek glaubte an das Ideal des Sozialismus, und das Volk glaubt ihm, weil er eine Art glaubwürdiger Idealist war. Als die Prager Führung nach dem Einmarsch nach Moskau gebracht wurde, um das Scheitern des „Prager Frühlings" unter erniedrigenden Bedingungen zu sanktionieren, erlitt Dubcek einen Nervenzusammenbruch.

Am Beginn der „samtenen Revolution" tauchte er dann wieder auf. Aber das Symbol des „Prager Frühlings" war nur noch eine Erinnerung, auch wenn Alexander Dubcek Parlamentspräsident wurde. Noch immer redete er vom Sozialismus. Aber immer weniger klatschten ihm Beifall.

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