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Revisionist

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Schon ein paar Wochen vor dem ominösen 21. August herrschte in der CSSR Unruhe, ja fast eine Art Panik angesichts des nahenden Jahrestages des Einmarsches der Truppen des Warschauer Paktes (FURCHE 32/1989,Anm.d.Red.). Vaclav Havel wurde wieder einmal kurzfristig festgenommen und auch ein Brief des einstigen Parteichefs Alexander Dubcek sorgte für Nervosität.

Dubcek warnte die einstigen Genossen vor dem Untergang der Partei, wenn sie sich nicht zu Reformen nach dem Muster Polens oder Ungarns entschlössen.

Der Mann des „Prager Frühlings“ schien politisch schon tot zu sein - als er im Jänner 1988 durch ein Interview in der italienischen KP-Zeitung „L“ Unita “Aufsehen erregte: Er verglich die Grundsätze des „Prager Frühlings“ 1968 mit der heutigen Politik Gorbatschows.

In einem Aktionsprogramm forderten die Reformer damals die Demokratisierung des politischen Lebens, die Dezentralisierung der Wirtschaft, ideologische Offenheit und die volle Aufdeckung der stalinistischen Verbrechen.

Für die Herrscher im Kreml war das „Revisionismus“, der schließlich mit Militärgewalt unterdrückt wurde.

Als Michail Gorbatschow 1987 die ÖSSR besuchte, wurde sein Sprecher, Gennadi Gerasimow, gefragt, was denn der wesentliche Unterschied zwischen Gorbatschow und Alexander Dubiek sei, und Gerasimow antwortete: „Neunzehn Jahre.“

In zwei Jahren hat sich der Unterschied nicht vergrößert, aber die Lage ist für die Prager Führung nochbrisanter geworden: Gorbatschow weiß sehr genau, daß die Zeit drängt, er ist ungeduldig, ja manchmal klingt fast Verzweiflung durch, wenn er Veränderungen fordert. Immer wieder betont er, daß während der Phase der Umstrukturierung die Partei ihre Avantgarde-Rolle nur durch demokratische Methoden sichern und auch die Massen nur dadurch aktivieren könne.

Die Machthaber in Prag aber, die ihre Macht dem Sturz Dub-ceks verdanken, sind handlungsunfähig und verharren in einer geistigen Haltung, die Barbara Tuchmann als „die Torheit der Regierenden * charakterisiert hat.

Das einzige politische Mittel, zu dessen Einsatz sie noch fähig sind, ist die Repression. Sie ignorieren nicht nur die immer dringlicher vorgebrachten Wünsche der eigenen Bevölkerung, die das Beispiel Polens und Ungarns vor Augen hat - sie ignorieren auch Michail Gorbatschow. Der Kremlherr ist für sie ein Revisionist...

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