6837462-1975_23_05.jpg
Digital In Arbeit

Svoboda — die verspielte Freiheit

19451960198020002020

Er diente dem österreichischen Kaiser Franz Joseph I. und kämpfte dann unter den Fahnen des russischen Zaren Nikolaus IL gegen den österreichischen Kaiser Karl. Als Dreiundzwanzig-jähriger kämpfte er gegen die Rote Armee Trotzkys und als Fünfzigjähriger in den Armeen Stalins. Er diente der tschechoslowakischen Republik unter T. G. Masaryk und wurde als Offizier des Nachfolgers Masaryks, Edvard Benes, von den Sowjets unter Stalin gefangengenommen und interniert. Sechs Jahre später stellte er sich auf die Seite Stalins und gegen Benes. Er machte sich 1948 um die kommunistische Machtübernahme in Prag verdient und wurde drei Jahre nachher Opfer des siegreichen Regimes. Im Auftrag der Kommunistischen Partei posierte er als „Parteiloser“, aber erst 21 Jahre später, nach der Invasion seines Landes durch die Truppen des Warschauer Paktes, schilderte er diese Rolle dem Plenum des ZK der gleichen Partei, um nicht verstoßen zu werden. Er unterstützte Dubceks Reformen, aber er präsidierte auch der Liquidation des „Prager Frühlings“ und der Verfolgung seiner Anhänger. Er, Ludvik Svoboda, 1915 wegen seiner „außerordentlichen Deutschkenntnisse“ zum Gefreiten des k. u. k. österreichisch-ungarischen Infanterieregiments Nr. 81 befördert, später Armeegeneral, Präsident der „volksdemokratischen“ Tschechoslowakei und „Held der Sowjetunion“, ist nun, durch Krankheit amtsunfähig geworden, zurücktreten und hat die Präsdientschaft Gustav Husäk übergeben müssen, der seine führende Rolle in der KPC auch als Staatsoberhaupt beibehält. Volksdemokratischer Staat und kommunistische Partei sind damit auch in der Tschechoslowakei eins geworden.

19451960198020002020

Er diente dem österreichischen Kaiser Franz Joseph I. und kämpfte dann unter den Fahnen des russischen Zaren Nikolaus IL gegen den österreichischen Kaiser Karl. Als Dreiundzwanzig-jähriger kämpfte er gegen die Rote Armee Trotzkys und als Fünfzigjähriger in den Armeen Stalins. Er diente der tschechoslowakischen Republik unter T. G. Masaryk und wurde als Offizier des Nachfolgers Masaryks, Edvard Benes, von den Sowjets unter Stalin gefangengenommen und interniert. Sechs Jahre später stellte er sich auf die Seite Stalins und gegen Benes. Er machte sich 1948 um die kommunistische Machtübernahme in Prag verdient und wurde drei Jahre nachher Opfer des siegreichen Regimes. Im Auftrag der Kommunistischen Partei posierte er als „Parteiloser“, aber erst 21 Jahre später, nach der Invasion seines Landes durch die Truppen des Warschauer Paktes, schilderte er diese Rolle dem Plenum des ZK der gleichen Partei, um nicht verstoßen zu werden. Er unterstützte Dubceks Reformen, aber er präsidierte auch der Liquidation des „Prager Frühlings“ und der Verfolgung seiner Anhänger. Er, Ludvik Svoboda, 1915 wegen seiner „außerordentlichen Deutschkenntnisse“ zum Gefreiten des k. u. k. österreichisch-ungarischen Infanterieregiments Nr. 81 befördert, später Armeegeneral, Präsident der „volksdemokratischen“ Tschechoslowakei und „Held der Sowjetunion“, ist nun, durch Krankheit amtsunfähig geworden, zurücktreten und hat die Präsdientschaft Gustav Husäk übergeben müssen, der seine führende Rolle in der KPC auch als Staatsoberhaupt beibehält. Volksdemokratischer Staat und kommunistische Partei sind damit auch in der Tschechoslowakei eins geworden.

Werbung
Werbung
Werbung

Svoboda war eine Kuriosität im Ostblock. Die Symbolkraft des höchsten Amtes in seinem Staate — die noch aus jener Zeit stammt, als der Gründer der Republik, T. G. Masaryk, die Erfüllung des historischen tschechischen Wunsches nach einem Patriarchaten Oberhaupt

eigener Zunge verkörperte —, Heß auch das Prager Regime bis jetzt davor zurückschrecken, die hierarchische Ordnung des Landes bis zur letzten Konsequenz dem sowjetischen Muster anzupassen. Doch das Oberhaupt eines kommunistischen Staates, das kaum je ein ideologisch fundiertes Lippenbekenntnis zum Marxismus-Leninismus abgegeben hat, dessen Patriotismus sich noch von panslawisti-schen und national pro-russischen Gefühlen nährte, das unbeschadet seiner totalen Identifizierung mit dem ideellen Höhenflug des „Prager Frühlings“ und die nachfolgende totale Ausmerzung dieser Epoche in Amt und Würden überlebte, lohnt Beachtung auch dann, wenn seine Erscheinung nur in jenen Kategorien gedeutet werden kann, nach denen die moderne tschechische Geschichte zusammenfassend als das Phänomen des „politischen Realismus“ klassifiziert wird. Svobodas Lebenslauf gleicht einer Exkursion in das letzte halbe Jahrhundert tschechoslowakischer Vergangenheit und illustriert überzeugend die Frage, wo die

Grenze zwischen Prinzipientreue und Anpassungsfähigkeit verläuft.

Ludvik Svoboda wurde am 25. November 1895 in der südmährischen Ortschaft Hroznadin geboren. Am 15. März 1915 rückte der zwanzigjährige Bauernsohn zum Iglauer Infanterieregiment ein, kam nach kur-

zer Ausbildung an die Ostfront und geriet am 8. September, nach drei Monaten Frontdienst, in russische Gefangenschaft. Wie tausende seiner Landsleute, die sich die Frage nach dem Sinn eines Krieges gegen das Land ihrer nationalen Träume, und Hoffnungen, Rußland, stellten, oder die auch nur der Trostlosigkeit der Gefangenenlager entrinnen wollten, meldete sich Svoboda zur tschechoslowakischen Legion, jenem Freiwilligenheer, das an der Seite der Entente gegen die Zentralmächte und für einen selbständigen Staat kämpfte. Als Legionär beteiligte sich Svoboda an den Kämpfen gegen die Österreich-ungarische und deutsche Armee, später dann am Kampf gegen die bolschewistische Revolution und Trotzkys Rote Armee, die in den tschechoslowakischen Einheiten nur „ein Werkzeug der konterrevolutionären und imperialistischen Intervention“ sah. 1920 kehrte Svoboda als Hauptmann in die neuerstandene Tschechoslowakei zurück. Er wurde demobilisiert, trat aber ein Jahr später in die tschechoslowakische Armee als Berufsoffizier ein. Es folgten 18 Jahre Friedensdienst, die

mit der tschechoslowakischen Kapitulation (1938) und der Besetzung der CSSR (1939) endeten. Im Sommer 1939 flüchtete der Zivilist und Oberstleutnant a. D. Svoboda nach Polen und wurde Kommandant der sich im polnischen Lager Male Bronowice formierenden tschechischen und slowakischen Freiwilligen. Nach dem Überfall auf Polen versuchte Svoboda mit seinem Bataillon nach Rumänien zu entkommen, wurde aber von den von Osten nach Polen einrückenden sowjetischen Truppen gefangengenommen und interniert. Solange der deutschsowjetische Freundschaftspakt noch galt, war Svobodas Lage nicht leicht und die Bewilligung, ein tschechoslowakisches Freiwilligeniheer aufzustellen, gab Moskau erst nach dem Ausbruch des Krieges mit dem Dritten Reich. Zuerst führte Svoboda ein Bataillon, später eine Division und schließlich ein Armeekorps. Mit diesen Einheiten nahm er an den Kämpfen bei Sikolovo und am Dukla-Paß teil.

Es war während dieser Zeit, daß Svoboda enge Bindungen an die tschechoslowakische Kommunistische Partei knüpfte und von der damaligen im Moskauer Exil lebenden Parteispitze für politische Funktionen vorgesehen wurde. Als „Parteiloser“ wurde er 1945 zum Verteidigungsminister in der Regierung der „Nationalen Front“ ernannt und so blieb es in den Tagen der kommunistischen Machtübernahme von 1948 für viele Militärs und Politiker in

Prag überraschend und unverständlich, daß in den kritischen Stunden die Armee auf Befehl des „parteilosen“ Svoboda in den Kasernen blieb und Benes, dem unentschlossenen Präsidenten und Oberbefehlshaber, das Heer nicht einmal als potentielles Gegengewicht zu den bereits kommunistisch kontrollierten Polizei-Arbeitermiliz- und Sicherheitsdiensteinheiten zur Verfügung stand. Erst 21 Jahre später fand Svobodas Verhalten eine Erklärimg, die keine Fragen mehr offenließ: in einer mehr als unterhaltsame Plauderei anmutenden Ansprache an das Plenum des Zentralkomitees der tschechoslowakischen KP im September 1969 beschrieb Svoboda — unter anhaltender Heiterkeit seiner Zuhörer —, wie er schon 1945 in Moskau mit der KP gemeinsame Sache gemacht und auf Wunsch ihres damaligen Führers, Klement Gottwald, die Rolle eines „Parteilosen“ übernommen habe, um diese erfolgreich weiterzuspielen und letztlich zum Erfolg des kommunistischen Februar-Putsches beizutragen. Manche jener Jahre zwischen der in Moskau vereinbarten Verschwörung

gegen die kränkelnde tschechoslowakische Nachkriegsdemokratie und Svobodas Auftritt vor dem ZK vermittelten zwar auch ihm einige unangenehme Erfahrungen mit unkontrollierter Macht, doch sie änderten nichts an seiner politischen Praxis.

Im April 1955, in einer Zeit, als die stalinistischen Säuberungen ihren Höhepunkt erreichten, wurde Svoboda seines Postens als Verteidigungsminister enthoben und nach einem kurzen Zwischenspiel als stellvertretender Ministerpräsident begann sich sein Abstieg zu beschleunigen: kurzzeitige Ernennung zum Präsidenten des Staatlichen Amtes für Kultur und Sport; Abberufung im September 1951; Verhaftung im November 1952. Nach Svobodas eigenen Worten verdankte er es nur einer persönlichen Intervention Stalins, daß man ihn nach einigen Wochen und ohne Gerichtsverfahren aus dem Gefängnis entließ. Doch trotz allerhöchster Fürsprache erfolgte keine Rehabilitierung und Svoboda erreichte den Tiefpunkt seiner Karriere als Buchhalter auf einer Kolchose.

Svobodas Rückkehr ins tschechoslowakische öffentliche Leben begann erst wieder nach Chruschtschows Amtsantritt: von 1955 bis 1959 war er Kommandant der Kle-ment-Gottwald-Militärakademie in Prag und mit der Ausbildung politischer „Aufklärungsoffiziere“ der Armee betraut. 1959 ging Svoboda in Pension. An seinem 70. Geburtstag, am 25. November 1965, wurde er „voll rehabilitiert“ und die Verlei-

hung des Ordens eines „Helden der Sowjetunion“ vervollständigte die endgültige Aussöhnung. Hätte es den „Prager Frühling 1968“ nicht gegeben, wäre Svoboda wahrscheinlich als zwar hochdekorierter, aber sonst unbeachteter General im Ruhestand und als einer der halbvergessenen Akteure des Februars 1948 gestorben. Doch der „Prager Frühling“, ebenso von den Bemühungen der Intellektuellen um einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, wie von dem elementaren und angestauten Unbehagen der Massen nach zwanzig Jahren eines erfolglosen und rücksichtslosen Regimes getragen, fegte als ersten den diskreditierten Staatspräsidenten Antonin Novotny weg. Die Reformer standen vor dem Problem, einen Kandidaten zu finden, der auch für die Konservativen in der eigenen Partei und für Moskau annehmbar wäre. Die Stunde Svobodas, eines idealen „Kandidaten des Kompromisses“ war gekommen. Seine Identifikation mit den liberalen Ideen des Jahres 1968 brachte ihm die Sympathien der Öffentlichkeit ein und der Enthusiasmus des „Prager Frühlings“

ließ Svobodas Rolle im Februar 1948 auch bei den Nichtkommunisten in Vergessenheit geraten. „Sypboda, Dubcek, Cernik!“ wurde nicht nur zum Slogan dag hoffnungsvollen tschechoslowakischen Sommers 1968, sondern auch jener traumatischen Tage nach der Intervention des Warschauer Paktes. Ein Slogan, der um so mehr Aussage besaß, als „Svoboda“ tschechisch „Freiheit“ heißt.

Im Gegensatz zu den reformistischen KP-Führern wurde Svoboda beim Einmarsch der Pakt-Truppen von den Sowjets nicht verhaftet Es schient sogar sein Verdienst und der Erfolg seiner Reise nach Moskau gewesen zu sein, daß es ihm gelang, trotz russischer Ablehnung Dubcek und Genossen an jenen Konferenztisch zu bringen, an dem in Moskau die widerstandslose Rückführung der Tschechoslowakei in die Ostblock-orthodoxie ausgehandelt, beziehungsweise den tschechoslowakischen Reformern aufgezwungen wurde. Bei seiner ersten Pressekonferenz nach der Rückkehr aus Moskau ließ Svoboda die noch in der Atmosphäre des liberaleren Journalismus der Dubcek-Ära ziemlich frei fragenden Reporter deutlich spüren, daß es keine Rückkehr zum „Prager Frühling“ geben werde. Unmißverständlich beschuldigte er die Vertreter der Massenmedien, daß sie und ihre „anarchische“ Berichterstattung das Höchstmaß an Schuld am Moskauer Mißtrauen gegenüber dem tschechoslowakischen Expenrüment, und so auch an der nachfolgenden militärischen Intervention trügen.

Svobodas persönliche Schwäche für starre Reglementierung, zusammen mit seiner ureigensten Überzeugung, daß nur die Freundschaft und das Bündnis mit der Sowjetunion die Garanten der tschechoslowakischen Unabhängigkeit bedeuteten, dürften einiges an seiner Hai-

tung nach der Invasion erklären: er präsidierte der Liquidation der tschechoslowakischen Reform und hieß die als „Normalisierung“ bezeichnete Modifikation seines Landes gut; er unterstützte durch die Autorität seiner Person und die Würde seines Amtes die langsame Liquidierung seiner ehemaligen Genossen; er behielt sein Amt auch dann, als man Dubcek über den Umweg eines Botschafterpostens in die Anonymität einer kleinen Beamtenstelle der Forstverwaltung in der slowakischen Provinz verbannte; er blieb Präsident und half Dubceks Nachfolgern insofern, das Land wieder fest in die Hand zu bekommen, als er für einen großen Teil der Bevölkerung noch eine Zeitlang die vergebliche Hoffnung symbolisierte, daß während seiner Amtszeit wenigstens etwas vop den Ideen des „Prager Frühlings“ überleben könnte.

Svoboda war die letzte jener führenden Persönlichkeiten des Ostblocks, die Moskau und dem Kommunismus unermeßliche Dienste geleistet haben — ohne je überzeugte Marxisten-Leninisten gewesen zu sein.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung