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Der Nur-Repräsentant

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Was viele vor Wochen noch für unmöglich gehalten hatten, daß nämlich der seit J968 amtierende. Staatspräsident Vaclav Svoboda, ein 78jäh-riger, verbrauchter Mann, wiedergewählt werden könnte, ist Tatsache geworden. Unentschieden blieb zweifellos das Tauziehen zwischen — zugegebenermaßen — sehr wenigen Kandidaten, das eine Wiederwahl noch als die beste Lösung erscheinen ließ. Man konnte sich offenbar auch nicht darauf einigen, den Posten, entsprechend der Praxis der anderen Ostblockländer, ganz aufzulassen, weil er für die Bevölkerung eine fast mythische Bedeutung hat, aber auch, weil er im tschechisch-slowakischen Proporz der höchsten Ämter eine gewisse Rolle spielt.

Allerdings war die tatsächliche Funktion eines Staatspräsidenten im Verlauf der letzten 55 Jahre manchem Wandel unterworfen: unter Masaryk war das Präsidentenamt, trotz mancherlei Einschränkungen, die gemacht werden mußten, so etwas wie eine „moralische Anstalt“, unter Benes eine eminent politische Funktion, die von ihm oft recht unglücklich gehandhabt wurde. Hacha in der Resttschechoslowakei und im sogenannten Protektorat war anfänglich so etwas wie ein Abwehrschild, später der „Watschenmann der Nation“. Gottwald, der erste kommunistische Staatspräsident, schmückte seine ernstrangige Parteifunktion eigentlich nur noch mit der Präsidentenwürde aus; für den müden und verbrauchten Parteiprominenten Zapotocky war das Amt noch eine letzte Belohnung und unter Nowotny wurde der Posten eines Parteisekretärs, ähnlich wie bei Gottwald, durch die Präsidentenwürde gestärkt — wenn auch nicht restlos abgesichert. Svobodas väterliche Erscheinung war anfänglich eine glanzvolle Repräsentanz für die überwiegend junge Gruppe des Prager Frühlings, seit zwei Jahren allerdings nur noch eine politisch bedeutungslose hohe Repräsentanz — was sich auch in Zukunft kaum ändern wird.

Bei alldem ist es merkwürdig, welche Tragik fast ausnahmslos mit den Hausherren der Prager Burg verbünden war. Staatsgründer Masaryk hatte seinen Kummer vor allem im familiären Bereich — seine Frau starb im Wahnsinn — und sein Nachfolger Benes trat zweimal, 1939 und 1948, zurück. Zuletzt, weil er die neue kommunistische Verfassung nicht mehr unterzeichnen wollte. Er starb noch im selben Jahr. Hacha, Präsident der Resttschechoslowakei und des „Protektorates“, starb knapp nach Kriegsende in einem Prager Gefängnis und ein polnischer Schriftsteller erklärte, daß Hacha, einst Stellvertretender Präsident des Wiener Verwaltungsgerichtshofes, zeitlebens ein taktvoller Mann gewesen sei, daß er auch gewußt habe, wann er sterben müsse, um seinem Volk zu ersparen, einen Präsidenten dem Henker übergeben zu müssen. Nicht erspart blieb dies dem Präsidenten der Slowakei, Msgr. Tiso, den Benes — noch im Vollbesitz der Macht — nicht begnadigte. Der erste kommunistische Staatspräsident, Gottwald, starb kurz nachdem er an der Liquidierung seines prominenten Parteifreundes, des KPTsch-Generalsekre-tärs Slansky, hatte mitwirken müssen. Als einziger starb eigentlich Zapotocky ohne tragische Umstände. Bei Novotny war die Abdankung als Staatspräsident nach seiner Entfernung als Parteisekretär der zweite Sturz, doch kann er als erster Fall dieser Art in der kommunistischen Zeit, als Pensionist seine Tage verbringen. Als Svoboda vor fünf Jahren Staatspräsident wurde, war das Leben des damals 74jährigen schon von Tragik erfüllt gewesen: Verlust der Heimat, Hinrichtung des einzigen Sohnes durch die Nationalsozialisten, Sturz des Armeegenerals und Kriegsministers auf den Posten des Sekretärs einer Kolchose. Aber auch als Staatspräsident blieb ihm bitteres Schicksal nicht erspart: schwierigste Verhandlungen im Kreml nach dem Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes und nach Verhaftung der meisten Männer der Prager Führungsschicht; aber auch dann, 1969, die Tatsache, seinen bisherigen Freunden bei deren Sturz nicht helfen zu können.

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