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ANTONIN NOVOTNY GLÜCK UND ENDE

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Mögen auch die westlichen Demokratien mancherlei Schattenseiten, Entartungserscheinungen und Skandale haben, daß man — wie dies eben in Prag geschieht — neben mancher anderen bisherigen Prominenz den früheren langjährigen Parteichef und Ministerpräsidenten Široky und den bisherigen ZK-Sekretär und Staatspräsidenten Novotny nicht nur von der Mitgliedschaft im ZK, sondern sogar auch in der Partei, der KPTsch suspendiert, ist gewiß keine alltägliche Sache. Wohl sind Schauprozesse auch in kommunistischen Ländern nicht mehr allzusehr beliebt; die bevorstehenden Parteiverfahren werden gewiß manches ans Tageslicht bringen — sicher weit mehr als allein schon in den letzten Wochen in reichem Ausmaß publiziert wurde.

Was alles Novotny zur Last gelegt werden kann, ist an sich schon seinem Lebenslauf zu entnehmen. Er, der in der NS-Zeit den brutalen Gebrauch und den offenkundigen Mißbrauch der Macht in vierjähriger KZ-Haft in Mauthausen am eigenen Leib gespürt hat, hat diesen Mißbrauch nicht abgestellt, als er selbst am Schalthebel stand. Vielleicht ist diese Formulierung („den Mißbrauch der Macht nicht abgestellt“) genau das, was man ihm zu Recht vorwerfen wird, denn mit der schwärzesten Zeit eines Stalinismus in der Tschechoslowakei ist sein Name nicht mehr verbunden. Hier betätigte sich vor allem Gottwald (gestorben 1953) aktiv; hier waren anschließend aber auch široky (als Parteichef und auch als Ministerpräsident) und Zapotocky (gestorben 1957) als Staatspräsident zuständig. Der einzige lebende Spitzenfunktionär aus dieser Zeit, der heute 66jährige široky, erlitt eben dasselbe Schicksal wie Novotny. Vorher jedoch hatte man ihm schon bei seinem Ausscheiden als Regierungschef am 20. September 1963 parteiamtlich „Unfähigkeit" bescheinigt, ein etwas ungewöhnliches Zeugnis für einen Mann, der mehr als zehn Jahre Ministerpräsident der Tschechoslowakei war.

Immerhin begann auch Novotnys Spitzenkarriere mit dem Tode Gottwalds im Jahre 1953. Mag er auch bis dahin prominente Posten innegehabt haben. Jetzt, 1953 wurde er Erster Sekretär des ZK der KPTsch. Er war überhaupt der erste Mann auf diesem neugeschaffenen Posten. Hier werden also die ent- scheidensten Vorwürfe einsetzen. Hat man ihm bisher vorgeworfen, zu schleppend, zu lustlos, zu effektlos die Rehabilitierung verurteilter Genossen behandelt zu haben, so wird man jetzt vermutlich hinzufügen, daß er als leitender Erster Parteisekretär sehr wohl noch an verschiedensten Maßnahmen beteiligt war oder sie zumindest nicht abgestellt hat.

Man wird dabei in Prag einige Vorwürfe kaum aufs Tapet bringen, die aber zumindest im Ausland laut und klar ausgesprochen werden müssen: daß nämlich in jenen Jahren — und zwar auch nach 1953 — nicht nur Kommunisten entfernt, abgeurteilt, drangsaliert und gefoltert wurden, sondern auch alle anderen Bevölkerungsgruppen ähnlichen oder schlimmeren Zwangsmaßnahmen unterworfen waren. Greifen wir nur eine Gruppe heraus, die Katholiken und die Vertreter der Katholischen Kirche, so setzten hier die Zwangsmaßnahmen vor allem 1949 ein, sie waren aber 1953 noch keineswegs abgeschlossen, und sehr viele dieser Maßnahmen fallen gerade in das Jahr 1953, aber auch noch in das Jahr 1954. Es lief also unter Novotny vorerst einmal alles weiter, womit Gottwald und Široky, gewiß aber auch der dann hingerichtete und inzwischen wieder rehabilitierte Slänsky (als Generalsekretär der KPTsch) oder Zapotocky (als Staatspräsident) begonnen hatten.

Novotnys schon seit 1953 sehr starke Rolle wurde vier Jahre später noch verstärkt. Am 19. November 1967, sechs Tage nach dem Tode von Antonin Zapotocky wurde er nach Beneš, Gottwald und Zapotocky der vierte Präsident der Zweiten Tschechoslowakischen Republik, gleichzeitig der dritte kommunistische Staatspräsident. Seit dieser Zeit, seit 1957, also durch volle zehn Jahre, lag alle Macht bei ihm, seit dieser Zeit trug er auch die ganze Verantwortung. Gewiß war es nur noch die Zeit des abklingenden Stalinismus, es war aber eben auch jene Zeit, in der in der Tschechoslowakei keine echte Entstalinisierung durchgeführt wurde. Das war auf Grund der Vergangenheit des Hauptakteurs, eben des jetzt völlig entmachteten Novotny auch gar nicht möglich. K. M. H.

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