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RANDBEMERKUNGEN zurwoche

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BB. Diese Buchslaben, auf Hauswänden und Landstraßen hingepinselt, zeugten nur von einer Episode in dem Leben Burghard B r e i t n e r s, das in der vergangenen Woche jäh zu Ende ging. Es war kein Dutzendleben ... Den jungen Mediziner lockte schon früh die weite Welt und ihre Abenteuer. Aus der Studiersfube brach er bald zu ausgedehnten Reisen auf. Literarische Ambitionen kamen dazu. Das unfreiwillige Abenteuer des ersten Weltkrieges, das ihn als Plenni nach Sibirien verschlägt, bringt die große Bewährung. Der Arzt und Mensch Burghard Breit-ner besteht sie glänzend. Seine Antwort auf das Angebot einer vorzeitigen Entlassung: „Ich bleibe hier in Sibirien, bis der letzte Kriegsgefangene heimgekehrt ist, und nicht einen Tag früher...“ macht bald die Runde. Nach seiner Heimkehr wird er gleich Elsa Brandström als „Engel von Sibirien“ gefeiert. Die kommenden Jahrzehnte bringen reiche Arbeit und akademische Würden. Die literarischen Arbeiten kommen dabei nicht zu kurz. 1951 pocht die Politik an die Tür des Gelehrten, der sich einen wachen Blick über sein Fachgebiet hinaus bewahrt hat. Er soll als parteiloser Kandidat (ür das höchste Amt der Republik kandidieren. Sein Entschluß fand Kritiker, doch darf hier wohl nur der den ersten Stein werfen, der in ähnlicher Situation den Lockungen der Sirene widerstand. Bald aber sah sich Burghard Breiiner im Getümmel. Der Traum vom parteilosen Kandidaten wich der Realität. In ihrem harten Licht muhte sich nun Burghard Breitner als Aushängeschild jener sich ewig formierenden und umgruppierenden sogenannten ..Dritten Kraft“ erkennen. Immerhin vertrauten weit mehr Menschen seinem Namen, als jenem Lager. Das Mißverhältnis zwischen den Stimmen der „Breitner-Wahl“ und jenen, die vor- und nachher für jene Gruppe abgegeben wurden, beweist dies eindeutig. Burghard Breitner zog die richtigen Konsequenzen. Er kehrte der Politik brüsk den Rücken. Sie wollte ihn nur als Toten freigeben. Aufregungen, die, dem Vernehmen nach, aus den unwillkommenen Bemühungen einiger Kreise entstanden sind, die Breitners Namen in die Nationalrafswahlkampagne hereinziehen wollten, machten seinem Leben ein plötzliches Ende. Ein Humanist ist von uns gegangen.

ALTES EISEN WIRD VERSCHROTTET. Alle Arbeiter und Angestellte können nicht verschrottet werden. Für diese gibt man — wie kürzlich — ein Kommunique heraus, das die Arbeitgeber anklagt, in der Wahl älterer Kräfte übervorsichtig zu sein, junge vorzuziehen, ja, wenn es nur irgend geht, die älteren durch junge zu ersetzen. Die Zahl der vorgemerkten Arbeitsuchenden (wozu noch die nicht vorgemerkten zu rechnen sind, was man gerne vergißt) betrug auf dem Höhepunkt der winterlichen Arbeitslosigkeit 224.025. Davon waren'149.769 oder 66,9 Prozent Männer. Wehn wir so großzügig wären, die Bezeichnung „beschränkt vermittlungsfähig“ (wie sie amtlich lautet) zu akzeptieren: dann bleiben immer noch etwa 50.000 Männer übrig. Ein Großteil von ihnen ist Familienvater, ist spät zur Ausbildung gekommen (Kriegsfolgen), konnte ebenso spät an die Gründung einer Familie denken. Jetzt haben viele von diesen Männern (und für die Frauen gilt das gleiche) das Pech, über 40 Jahre alt zu sein. Mit einem Kommunique allein, mit dem Lob „reiche Berufserfahrung“ und „erhöhtes Verantwortungsbewußtsein“ (alles in der Kundmachung des Herrn Sozialministers zu lesen), mit der Feststellung der „beschämenden Abneigung vieler Arbeitgeber“ ist nicht alles getan. Nächstes Jahr, beim nächsten „saisonbedingten Höhepunkt“, gibt es wieder die gleichen Zahlen, nur mit dem Unterschied, daß die Betroffenen, Männer und Frauen neben uns, inzwischen ein Jahr älter geworden sind. Was nützt dann auch das ganze Gerede von Familienfreundlichkeit, wenn man schon die Familien, die neben Freude auch viel Leid jahrzehntelang gemeinsam erlitten, nicht unterstützt? Es gibt eine Maßnahme. Es gibt ein Vorbild. Und das ist das Invalideneinsfellungsgesetz, das eine bestimmte Zahl von Pflichtstellen in von den zuständigen Arbeitsämtern überwachten Betrieben dazu verhält, Körperbehinderte einzustellen. Wenn man will, kann man — wie im genannten Gesetz (das im Vorjahr 3597 Betriebe in Wien erfaßte) — eine analoge Klausel über eine Ausgleichsabgabe in einem „Alters-Ein-stellungsgesetz“ einfügen. Es wird sich zeigen, ob man nicht lieber „altes Eisen“ nimmt, das immerhin Eisen ist, als Banknoten auf den Tisch zu legen, die nur Papier sind.

UNBEHAGEN UM MENDTS-FRANCE. Frankreichs jüngste Tageszeitung, welche Mitte Oktober vorigen Jahres mit dem Namen „L'Expreß“ auch die Publizistengarde ihrer wöchentlich erscheinenden Vorgängerin übernommen hatte, stellte vor kurzem ihre tägliche Erscheinungsweise ein und wurde wieder Wochenblatt. Man erfuhr, daß die Ursachen dieses Harakiris nicht in einem Leserschwund zu suchen sei. Die Zeitung .L'Expreß“ verfügte über eine treue Anhängerschaft hauptsächlich bei jungen Intellektuellen, in Studentenkreisen. Als Wochenschrift und fünf Monate lang als Tageszeitung erschien sie in niemals weniger als 150.000 (!) Exemplaren. Jetzt wird allerdings gesagt, daß diese Auflagenziffer nicht ausreiche, um die Zeitung auch weiterhin vom fremden Kapital unabhängig zu führen, und daß die Hoffnungen auf eine größere Verbreitung der Zeitung sich nicht bestätig hätten. Wie dem aber auch sei, was der Zeitung „L'Expreß“ in letzter Zeit wirklich fehlte, war etwas anderes, Sie wurde groß in den Kämpfen, die sie sei 1953 führte, um Pierre Mendes-France an die Mach zu verhelfen. Mendes-France war die Hoffnung aller Nicht-kommunisfen und NichtSozialisten, die sich von den einander schnell abwechselnden Regierungen immer mehr betrogen fühlten. Die Zeitung verfügte um die Zeit ihrer ersten Umwandlung über einen Redakfionsstab, der außer Mendes-France selbst und dem Herausgeber, Jean-Jacques Servan-Schreiber, Schriftsteller, Publizisten und Politiker vom Rang eines Francois Mauriac, Albert Camus, Andre Malraux, Francois Mitferand umfaßte. Seit dem halben Sieg — oder halben Niederlage — Mendes-Frances bei den letzten Parlamentswahlen sind diese Namen bis auf den Herausgeber und den alten Kämpen

Mauriac nach und nach verschwunden. Schließlich zog sich auch die Zeitung selbst zurück, um sich an Stelle des täglichen politischen Kampfes künftighin mehr in der „Reflexion“ und der „Suche nach neuen Möglichkeiten“ zu widmen, wie der „Zivilcourage“ in der Politik zum Durchbruch zu verhelfen sei ... Dieses Programm ist bereits ein Affront gegen Mendes-France. Man verzeiht ihm nicht, daß er an einer Regierung teilnimmt, die in Algerien nicht ehrlich und offen genug zu Verhandlungen dränge, sondern statt dessen den Krieg wähle. Der Rückzug der Zeitung „L'Expreß“ bedeutet nun, daß es dieser ehrlich nach Reform und Erneuerung strebenden Gruppe junger Demokraten — unter ihnen sind auch viele Katholiken, Arbeiterpriester, Domini-kanerpafres — nicht gelungen ist, den eigenen, von Natur aus enggezogenen Rahmen zu sprengen und auf die „hohe Politik“ und ihre Manager Einfluß zu gewinnen.

FÜR DANTONS KEIN PLATZ. In der alten oberungarischen Bischofsstadt Eger hafte die „Partei der Werktätigen“ für den 27. März eine Versammlung ihrer Aktivistenkader einberufen. Vor dieser Versammlung ergriff auch der erste Sekretär der Partei, Mafyas Rakosi, der, aus Budapest kommend, überraschend hier eintraf, gleichsam außer Programm das Wort. Er sprach kurz, aber er sagte Bedeutendes. „Auf Grund eines Beschlusses des Zentralkomitees im vergangenen Juni rehabilitierte der Obersie Gerichtshof den Genossen Laszlo Rajk und andere Genossen. Aehnlich wurden andere Fälle über-prüfl: die unschuldig Verurteilten rehabilitiert, die anderen amnestier...“ Der Rajk-Prozeß sei (im Herbst 1949) auf Provokation aufgebaut worden, die Schuld trage der damalige Chef der politischen Polizei, Gabor Peter (der vor genau zwei Jahren zu lebenslänglichem Kerker verurteilt wurde). In Zukunft müsse die sozialislische Gesetzlichkeit streng eingehalten werden. Soweit Rakosi. Seine Worte bedeuten, daß auch Ungarn auf dem seit dem Tod des Diktators in Moskau eingeschlagenen Weg folgsam hinschreitet, und daß der alte Routinier Rakosi selbst noch diese große innere Umwälzung mitmachen, ja wahrscheinlich kontrollieren darf. Rajk is rehabilitiert worden —, man vergißt nur zu sagen, daß er seinerzeit mit vier anderen hohen Parteifunktionären hingerichtet wurde. So kommt die Rehabilitierung nur seiner Witwe und seinen zwei Kindern zugute. Dieser Umstand, und daß diese und ähnliche „Justizirrtümer“ zwar einbekannt, aber zugleich mit einer beispiellos zynischen Gleichgültigkeit baqctellisiert werden, zeigen deutlich, daß die Rehabilitierung Rajks kaum mehr is als eine Geste für das Ausland. In einer Volksdemokratie wie Ungarn, in der dasselbe kommunistische Führungsfeam sei beinahe zwölf Jahren den Verlauf der Dinge maßgeblich beeinflußt, ist der Typ des revolutionären Kommunisten nach wie vor unerwünscht. Das zeigte unter anderm das Beispiel der vor einigen Monaten wegen ihrer Rebellion gemaßregelten kommunistischen Schriftsteller. Und Rajk war kein Theoretiker und noch weniger ein Manager (letzterer Typ scheint heute allenthalben hoch im Kurs zu sein), er war der Revolutionär von Beruf. Bereits als Student — er studierte französische Sprache und Literatur und wurde Gymnasiallehrer — organisierte er Streiks, Demonstrationen. Er nahm am spanischen Bürgerkrieg teil. Er wurde Generalsekretär der Partei in der legendären Zeit des Untergrundes, während seine späteren Richter, allen voran Rakosi, bereits in Moskau ihre Posifionskämpfe unter sich austrugen. Rajk wurde 1946 Innenminister, behielt aber seinen Posten nicht lange. Im Herbst 1949 wurde er, nach einem makabren Prozeß, in Budapest wegen „Tifoismus“ hingerichtet. Er wird vielleicht der ungarische Danton der kommunistischen Lesebücher. Er wäre niemals mehr geworden.

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