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Ceausescus Stern im Sinken?

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Wirtschaftliche und innen- wie außenpolitische Unsicherheit haben die Position des rumänischen Staats- und Parteichefs Nicolae Ceausescu erschüttert. Konfrontiert mit einer wachsenden Opposition sowohl im engeren Führungskreis als auch in der Bevölkerung, hat er umfangreiche Säuberungen an der Partei- und Staatsspitze begonnen. Diplomatische Kreise in Bukarest werten diese Maßnahmen als Flucht nach vorne eines resignierenden, weil von seinen Aufgaben überforderten Mannes. Jetzt zeigt sich auch die Achillesferse von Ceausescus bisher unumschränkter Einpersonenherrschaft. Ein profilierter Nachfolger für den „Allmächtigen“ ist nirgends in Sicht.

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Wirtschaftliche und innen- wie außenpolitische Unsicherheit haben die Position des rumänischen Staats- und Parteichefs Nicolae Ceausescu erschüttert. Konfrontiert mit einer wachsenden Opposition sowohl im engeren Führungskreis als auch in der Bevölkerung, hat er umfangreiche Säuberungen an der Partei- und Staatsspitze begonnen. Diplomatische Kreise in Bukarest werten diese Maßnahmen als Flucht nach vorne eines resignierenden, weil von seinen Aufgaben überforderten Mannes. Jetzt zeigt sich auch die Achillesferse von Ceausescus bisher unumschränkter Einpersonenherrschaft. Ein profilierter Nachfolger für den „Allmächtigen“ ist nirgends in Sicht.

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Während sich die Buchläden Bukarests mit Dokumenten und Broschüren über den XI. Parteikongreß füllen, beginnen Beobachter der politischen Szene in der rumänischen Hauptstadt Bilanz zu ziehen über die bisherigen Ergebnisse dieser nunmehr vier Monate zurückliegenden Tagung.

Nach wie vor sind verschiedene Ereignisse während und nach dem Parteitag völlig ungeklärt. Einerseits stand die Abwicklung des Kongresses ganz unter Ceausecus Kontrolle. (Das galt auch für die Nominierungen im Zentralkomitee.) Anderseits lehnte er den ihm angebotenen Posten des KP-Generalsekretärs auf Lebenszeit ab. Und obwohl der Kongreß Gleichklang demonstrieren wollte, entschied die Versammlung, die beabsichtigte Revision der Parteistatuten dem Zentralkomitee vollverantwortlich zu übertragen, ein bisher noch nie dagewesener Ausrutscher. Der Kodex

sozialistischer Ethik, am Beginn des Kongresses angekündigt, wurde nicht verabschiedet, seine Endfassung wurde vielmehr wiederum dem ZK übertragen.

Als der Chef der Bukarester KP und enge persönliche Freund Ceausecus, George Cioara, dann am zweiten Kongreßtag den Vorschlag machte, man möge den „geliebten Führer“ zum Generalsekretär auf Lebenszeit machen, antwortete Ceausescu resigniert: „ .. Es ist vierzig Jahre zu spät, der Vorschlag kommt zu spät.“ Die Ablehnung läßt mehrere Interpretationsmöglichkeiten zu: so etwa, Ceausescu sei „unvorbereitet“ gewesen. (Etwas unwahrscheinlich, wenn man seinen internen Informationsdienst berücksichtigt.) Eine weitere Möglichkeit: Er fürchtete, die Sowjets würden ihm nun zu Recht Personenkult vorwerfen. Und die dritte und wahrscheinlichste Auslegung: Es existiert eine Art von Oppositon oder zumin-

dest ein Enthusiasmus-Defizit innerhalb der Partei gegenüber ihrem Führer. In einem solchen Fall wäre Cioaras Vorschlag ein Test gewesen, der gescheitert ist.

Ein weiteres Indiz für die Opposition lieferte ein Ereignis am letzten Tag des Kongresses: Petre Blajo-vici, Erster KP-Sekretär des Bihor-Distrikts, verlangte die Festsetzung einer Altersgrenze für aktive Politiker. Ceausescu widersprach energisch: „Eine Altersgrenze allein scheint mir zu restriktiv.“ Er forderte individuelle Urteile über die „physische und psychische Kraft eines Genossen“, die „nicht unbedingt mit dem Alter etwas zu tun hat“. Die Altersfrage — Artikel 13 des Parteistatuts — wurde dem ZK zur endgültigen Beschlußfassung übergeben und erst einen Monat nach dem Kongreß publiziert, als „Gummiparagraph“ ganz der Ceau-secuschen Diktion folgend.

Unübersehbar an dieser Episode ist die Tatsache, daß die jüngere Parteigenerätion - unaufhaltsam an die Spitze drangt und es nur noch eine Frage der Zeit sein kann, bis sich Ceausescu zu größeren Kompromissen gegenüber den „jungen Löwen“ wird durchringen müssen.

In diesem Zusammenhang sind die „Kriterien zur Erlangung einer höheren Parteiposition“ vom Juli des Vorjahres signifikant. Hier wird eindeutig dem Anciennitätsprinzip — Länge der Parteizugehörigkeit, Erfahrung in der Parteiarbeit — Priorität gegenüber spektakulären Einzelleistungen eingeräumt. Die Sym-

ptome des Generationskonfliktes sind in allen Staaten des Ostblocks gleich. Die alte Parteigarde hat den Staat „aufgebaut“ und dafür auch gekämpft, ist aber meist ungebildet und weist wenig Manager- und Technokratenqualitäten auf, die in der heutigen Zeit eben mehr verlangt werden als unbedingte Loyalität und Apparatschik-Denken. Industrialisierung und Urbanisierung verlangen auch im Osten einen „neuen Menschen“, der nicht unbedingt dem alten Funktionärstypus entspricht.

Das Apparatschik-Denken kam Ceausescus bisherigem paternalisti-schen und zentralistischen Führungsstil klarerweise sehr entgegen. Zweifel und Kritik Wissender waren nicht gefragt. Jetzt benötigt die Partei die aufmüpfigen jungen Manager, um mit deren Bildungshintergrund den Anforderungen einer „multilateralen, entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ gewachsen zu sein. Echte Konsequenzen -aus diesem Interessenskonflikt konnte Ceausescu bisher nur in geringem Umfang ziehen.

So entschloß er sich, wichtige Positionen in Regierung und Zentral-

komitee erst vier Monate nach dem Parteikongreß umzubesetzen: Gheor-ghe Pana, bisher ZK-Sekretär und zuständig für interne Parteiangelegenheiten, wurde Vorsitzender der Gewerkschaften. Pana war in seiner bisherigen Funktion besonders in den letzten Monaten ungewöhnlich scharf kritisiert worden. Emil Bobu und Iosif Banc stiegen in das ZK-Sekretariat auf.

Gleichzeitig verlor — und das ist die wichtigste personelle Änderung — Bobu seinen Posten als Innenminister. Ceausescus Freund Teodor Coman nahm seinen Platz ein. Virgil Actarian verlor ebenfalls seine Ministerfunktion für den Bereich der Schwerindustrie und wurde aus dem ZK ausgeschlossen. Als Gründe dafür wurden seine „Unaufrichtigkeit gegenüber der Partei“ und „mangelnde Ethik“ genannt.

Weshalb haben diese wichtigen Umbesetzungen erst jetzt, und nicht schon während des XL Parteikongresses im November des Vorjahres stattgefunden, was den früheren. Praktiken eher entsprochen hätte?

Zwei Indizien deuten darauf hin, daß Ceausescu vor den nunmehr „Gesäuberten“ Angst hatte. Um vor seiner Mittelost- und Asienreise reinen Tisch machen zu können und nicht fürchten zu müssen, die Gegner könnten seine Abwesenheit zu weiteren Unterminierungsversuchen benützen, verzichtete der rumänische Führer als einziger Parteichef des Ostblocks sogar auf die Teilnahme am KP-Kongreß in Budapest. Die Eröffnung der Parlamentssession und des ZK-Plenums sind dafür nur eine formelle Entschuldigung, die niemanden so recht zu überzeugen vermag.

Das Monument Ceausescus beginnt langsam abzubröckeln. So unvermeidbar, wie sie nach zehn Jahren Machtausübung dem westlichen Beobachter scheinen mag, ist eine Führungskrise für Ostblockverhältnisse nicht. Immerhin sind Ceausescus Amtskollegen Kädär und Schiwkoff fast ohne Abnützungserscheinungen nahezu doppelt so lang am Ruder, von Marschall Tito ganz zu schweigen. Ob die momentane Entwicklung letztlich zur teilweisen oder völligen Entmachtung des Ämterkumulators Ceausescu führen wird, läßt sich wohl faktisch, nicht aber zeitlich abschätzen.

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