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Kongreß der Manager-KP

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In Ungarn gehen die politischen Uhren anders. Das bewies erneut der 13. Parteitag der KP in Budapest in der vergangenen Woche. Personelle Sensationen blieben zwar weitgehend aus, aber der Kongreß hob sich doch erfrischend - stilistisch und inhaltlich — vom öden Parteitagsritual anderer osteuropäischer Bruderparteien ab.

Anstatt Phrasenstroh mit dem marxistisch-leninistischen Dreschflegel zu bearbeiten, sich selbst Weihrauch zu streuen und ein byzantinisch-fades Ritual ablaufen zu lassen, zeigte die „Ungarische Vereinigte Arbeiterpartei”, wie Parteikongresse auch aussehen können: ohne nerytötenden Formalismus, mit kontrollierter Spontaneität, Selbstkritik und pointierter Diskussion. So sieht Manager-Kommunismus aus.

Während andere KP-Führer meist an ihrem Manuskript kleben und stundenlang vorgestanzte Phrasen ins Publikum streuen, legte Kadar den Rechenschaftsbericht beiseite und plauderte gekonnt fast eine Stunde lang im Stegreif.

Da kamen dann auch lockere Formulierungen zustande, zum Beispiel: „Man muß davon abgehen, von früh bis spät vom Klassenkampf zu sprechen, weil das vielen Menschen bereits zum Hals heraushängt.” Oder Kadars Mahnung, man dürfe auch künftig nicht „die Fehler einfach unter den Teppich kehren”. Und: „Wir werden durch feste Prinzipien, aber nicht durch Dogmen geleitet.”

Und so undogmatisch - inhaltlich wie stilistisch - ging auch Kadars Riege an die Probleme heran. Der Budapester Parteisekretär Karoly Grosz konstatierte ungeniert, in der Hauptstadt herrsche eine „ungute Atmosphäre”, weil die Bevölkerung am Rande ihrer Geduld angelangt sei. „Es gelang nicht, den Lebensstandard zu wahren, es gibt Angst und Unsicherheit vor der Zukunft”, klagte er.

Diese offene Sprache, die auch die Existenz von gesellschaftlichen Konflikten und Spannungen nicht leugnet, zählt zu den wesentlichen Elementen des „Kadaris-mus”.

Die große Frage war und ist, wie der „große Bruder” diesen eigenen, pragmatischen Weg der Magyaren zu akzeptieren bereit ist. Kadar hat sich zunächst — nach der blutigen nationalen Tragödie von 1956 — in behutsamen Schritten innen- und wirtschaftspolitischen Freiraum durch außenpolitische Nibelungentreue gegenüber Moskau gesichert.

Der ungarische KP-Chef erwarb sich damit das Vertrauen und den Respekt aller Kremlführer - mit Ausnahme Tschernen-kos. Jetzt, da der Personenwechsel im Kreml für lange Zeit vollzogen ist und er in Ungarn selbst über kurz oder lang ansteht, ist das sowjetisch-ungarische Verhältnis von entscheidender Bedeutung.

Nun scheint es, als habe auch die neue Moskauer Führung, am Budapester Parteitag durch ZK-Sekretär und Politbüromitglied Grigorij Romanow, ihren „Sank-tus” zum System des „Kadaris-mus” gegeben. Anhaltspunkte dafür lieferte die Rede Romanows in Budapest. Der nicht eben als glühender Reformer und Neuerer bekannte Sowjetpolitiker begrüßte ausdrücklich die ungarischen Experimente.

„Alles, was in Ungarn entwik-kelt worden ist, beweist, daß der Weg der richtige ist.” Größere Eigenverantwortlichkeit der Betriebe und einen leistungsbezoge-nen Lohn skizzierte Romanow als „neue Ziele” der sowjetischen Wirtschaftspolitik. In Ungarn ist das längst realisiert, neue Schritte in dieser Richtung segnete der Parteitag ab.

Romanow forderte sogar, daß sich die UdSSR und Ungarn gegenseitig über die Ergebnisse neuer Betriebsführungssysteme informieren. In Ungarn werden ab 1. Jänner die Betriebsdirektoren aus mehreren Kandidaten gewählt, erhalten die Betriebsräte entscheidendes Mitspracherecht bei der Unternehmensführung.

In der Exegese des Romanow-Textes entdeckten manche freilich auch Passagen, die dem gereichten Zuckerbrot ein Peitschenknallen beimengten.

Der Gast aus Moskau sprach nämlich auch davon, daß die „Entwicklung der Bruderländer auf einer Reihe von Gesetzmäßigkeiten beruht, daß die nationalen Interessen nur dann zuverlässig abgesichert werden können, wenn wir die sozialistische Gemeinschaft insgesamt stärken und die entsprechenden Traditionen des proletarischen Internationalismus nähren”. Mit „Proletarischem Internationalismus” war unter anderem die CSSR-Invasi-on 1968 gerechtfertigt worden.

Dieser Peitschenknall ist jedoch in Relation zu setzen zu den quantitativ weit überwiegenden Lobesworten. Und so darf man wohl mit einigem Recht davon ausgehen, Ungarn werde weitgehend unbehelligt auch in Zukunft seine Experimente fortsetzen können.

In einem Punkt haben die Pußta-Kommunisten freilich sofort den mahnenden Wink Romanows aufgegriffen. Die ursprünglich für Ende der 80er Jahre vorgesehene weitgehende Tilgung der Auslandsverschuldung hat jetzt durch Parteitagsbeschlüsse absoluten Vorrang bekommen — ein offenkundig direktes Eingehen auf die Romanowsche Warnung, wirtschaftliche Westkontakte seien nur so lange gut, sofern daraus kein politisches Druckmittel werde.

Rasche Teil-Konzessionen an den „großen Bruder”, um in anderen Bereichen den Spielraum zu retten — auch das ist ganz typisch für das System des „Kadaris-mus”. Wie der Name sagt, ist dieses System mit dem überragenden Geschick und der Persönlichkeit eines Mannes verbunden — eben mit Janos Kadar. •

Dieser kommunistische Landesvater, der vermutlich selbst bei freien Wahlen nicht schlecht abschneiden würde, hatte auf diesem Parteitag auch an seine Erbfolgeregelung zu denken. Er scheint sich für Karoly Nemeth entschieden zu haben, der schon seit dem 11. Parteitag als heißer Favorit gilt. Nemeth wurde vergangenen Donnerstag zum stellvertretenden Generalsekretär der KP gewählt.

Er ist vom Typ her eher ein Ap-paratschik. Moskau-geschult, war er dennoch stets ein loyaler „Kadarist”.

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