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Ceausescu blickt zum Nachbarn

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Rumänien, das seit Jahren seinen eigenen außenpolitischen Kurs steuert, wird künftig auch innenpolitisch den Spuren Titos folgen. Allerdings wollen die Partei- und Staatsführer in Bukarest dabei jene innen-und außenpolitische Risken vermeiden, die den Jugoslawen heute als unvermeidlicher Preis ihres Fortschritts erscheinen.

Der neue Kurs wurde erkennbar in einem vier Seiten langen Aufsatz des Parteichefs Ceausescu, den dieser vor einiger Zeit auf rumänisch in „Scinteia“ und zwei Tage später auf deutsch im „Neuen Weg“ publizieren ließ, freilich in die allerdürrste Parteisprache gesetzt und mit Schläue verschlüsselt. Kein Wort weist direkt auf den Wandel hin; weder Jugoslawien noch die Sowjetunion werden auch nur einmal erwähnt; mehr als zwanzigmal ist von den „spezifischen Gegebenheiten“ Rumäniens die Rede; heftig wird gegen jede Einmischung anderer, gegen Unterwanderungsversuche durch andere Parteien und gegen allgemeinverbindliche kommunistische Verhaltensregeln protestiert — ohne daß die Karlsbader Konferenz auch nur beim Namen genannt wird.

Diese Elemente der Partei-Autonomie, die im Westen an Ceausescus Aufsatz vor allem auffielen, sind jedoch nur Grundlagen für ein tiefgreifendes Parteireformprogramm, dessen Ausmaß in Ceausescus Aufsatz durch die übliche Parteiphraseologie nur ungenügend verschleiert wird. Das Programm muß man zusammen mit dem Thesenentwurf zur jugoslawischen Parteireform lesen, den Tito — nach langem Zögern — zehn Tage vor dem Artikel Ceausescus und einen Tag nach der Karlsbader Konferenz veröffentlichen ließ.

Auf den ersten Blick scheint Titos Entwurf, der von der kommandierenden zur bloß inspirierenden Partei führen soll, Ceausescus Absichten zuwiderlaufen. „Der Bund der Kommunisten ist keine Partei im klassischen Sinne“, heißt es in dem Belgrader Dokument. „Er ist eine Organisation, in der echte Interessenkonflikte frei ausgedrückt und demokratisch gelöst werden können.“ Die Jugoslawen schränken also die Aufgaben der Partei im Staat deutlich ein, während Ceausescu die These aufstellt, daß „die Rolle der Partei nicht nur nicht allmählich nachläßt oder gar von selbst verschwindet, sondern im Gegenteil unablässig wächst“. Die Partei treffe „in absolut allen Lebensbereichen die kompetentesten und befugtesten Entscheidungen“, ihre Führungsrolle müsse — um später in der vollendeten kommunistischen Gesellschaft zu verschwinden — zuerst die „höchste Stufe“ erreicht haben, schreibt Ceausescu.

Also noch totalere Parteidiktatur in Rumänien? Der dialektische Salto mortale, der Ceausescu von dieser extremen Position fast genau beim jugoslawischen Reformmodell landen läßt, sieht so aus: „Gewiß, die Tätigkeit, der Partei und ihre organisatorischen Formen verändern sich unaufhörlich... Das ständige Anwachsen der führenden Rolle der Partei in der Gesellschaft verlangt entsprechende organisatorische Formen in den Beziehungen zwischen Partei-und Staatsorganen... Festsetzung klarer Verantwortlichkeiten... Die Parteiorgane dürfen nicht an die Stelle anderer gesellschaftlicher Einrichtungen treten...“

Eine Allgegenwart der Partei möchte Ceausescu mit „freier Gegenüberstellung der Meinungen“ verbinden — allerdings in und nicht außerhalb der Partei. Dies ist der Punkt, wo er sich auf den Spuren Titos ein Haltezeichen setzt mit dem Begriff „Disziplin“. Ein steifer Wind puritanischer Strenge zieht durch Ceausescus Programm. Erstmals gesteht er Fehler in der bisherigen Politik ein (freilich ohne konkret zu werden); er schreibt sie dem Mangel an Erfahrung und an Kenntnissen zu. Deshalb sollen jetzt Fachleute ans Ruder kommen und mit ihnen die „Dynamik und Energie junger Kräfte“ — bei aller „Liebe und Achtung“ für Parteiveteranen.

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