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Agrarkommunismus

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Die im Oktober 1967 angekündigte und im Jänner 1968 voreilig durchgeführte Verwaltungsreform bedeutete durch die Abschaffung der sowjetischen Verwaltungsvorbilder, der „Regionen“ und „Rayons“ und die Wiedereinführung der „Judete“ (Kreise) eine Rückkehr zu den traditionellen Verwaltungseinheiten mindestens dem Namen nach. Hauptaufgabe der neuen Kreisverwaltungen ist jedoch die Durchführung einer „Systematisierung“ der Dörfer. Was unter diesem harmlosen Begriff steckt, ergibt sich u. a. aus einem im Jugenddrgan veröffentlichten Beitrag („Scanteia tineretului“, vom 31. Oktober 1967): Eine umfassende Aussiedlung der Landbevölkerung bis zu etwa 1000 Einwohnern, in welchen etwa 30 Prozent der Landbevölkerung leben, davon etwa 10 Prozent im Rahmen einer Aktion, die bereits in diesem Jahr beginnt, die restlichen 20 Prozent in einer zweiten Etappe. Diese Maßnahme, die der Sozial- und Bevölkerungspolitik widerspricht, scheint die Errichtung der von Chruschtschow erträumten „Agrigorods“ (die Chruschtschow zur Stalins-Zeit zu verwirklichen versuchte, als sich Ceausescuin Moskau politisch ausbildete), oder vielleicht einer der chiinesichen „Kommune“ ähnlicher Verwaltungsstruktur zu bezwecken. Denn auch die größeren Dorfgemeinschaften, denen die ausgesiedelten Bauern zugeführt werden, sollen einem „Verdichtungsprozeß“ unterworfen werden: Innerhalb des Dorf- gebiets sollen die Bauern nur noch ihre Häuser auf einem Grundstück von etwa 500 m2 beibehalten dürfen, während die sogenannten Nutzparzellen, die von den Bauern selbst bewirtschaftet werden können und bisher in den meisten Fällen neben oder in der Nähe des Hofes gelegen waren, an den Dorfrand verlegt werden. Diese Gemeinden sollen dann eine gewisse Lokalindustrie zur Selbstversorgung errichten.

Riegel gegen Westen

Für ein Regime, das den Nationalismus pflegen sollte, gibt es auch einige andere Feststellungen von Interesse (wobei die Fragen keineswegs erschöpft sind: Regisseure und Schauspieler sollen sich geweigert haben, neue rumänische Theaterstücke aufzuführen, also der Natio- nalliteratur Geltung zu verschaffen — wie es ausdrücklich behauptet wurde („Romania libera“, vom 3. Dezember 1967). Bei den jungen Schriftstellern soll die Gefahr be-

stehen, sich vom Nationalgeist zu entfernen („Scanteia“, vom 2. Dezember 1967).

In dieser Hinsicht hat man oft den Eindruck, daß in Rumänien die Partei den Nationalgeist in Literatur und Kunst nur deswegen beschwört, um dem westlichen Einfluß einen Riegel vorzuschieben.

Nehmen wir noch einige Beispiele aus anderen Bereichen: als Ceausescu ankündagte, daß in Zukunft der private Wohnungsbau gefördert wird, würde eine Abkehr von der bisherigen kommunistischen Eigentumspolitik angenommen. Es handelt sich eigentlich nur um eine Abkehr von Ceausescus Politik, denn der Privatbau, der bis zu seiner Machtübernahme etwa 30 Prozent aller Neuwohnungen darstellte, wurde unter seinem Regime fast vollständig gedrosselt.

Rumänien war der Moskauer Konferenz der kommunistischen Parteien im März 1965 ferngeblieben. Die Resolution dieser Konferenz deckte sich aber völlig mit den Thesen der rumänischen KP, was nachträglich auch von den Jugoslawen festgestellt wurde. Rumänien blieb auch der Konferenz der europäischen Parteien in Karlsbad im April 1967 fern. Die rumänische KP-Führung setzt sich aber für die Durchführung eines der Beschlüsse dieser Konferenz ein, der vielleicht in einer geschichtlichen Perspektive viel folgenschwerer sein könnte, als derjenige über die Vorbedingungen für eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland: es handelt sich um die Förderung der Kontakte und der Annäherung zwischen den kommunistischen und den sozialistischen Parteien Westeuropas. Ob im Endergebnis etwa nur eine Aufwertung aller kommunistischen Parteien und vor allem auch der ostdeutschen SED herauskommen wird?,

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