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Wende im Osten

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Die Wende geht um. Osteuropäische Länder kommen kaum nach. Die Reform bringt jene Parteiveteranen in Verlegenheit, die auf Vereinheitlichung im Sowjetblock setzten.

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Die Wende geht um. Osteuropäische Länder kommen kaum nach. Die Reform bringt jene Parteiveteranen in Verlegenheit, die auf Vereinheitlichung im Sowjetblock setzten.

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Die Weltöffentlichkeit muß sich an eine neue sowjetische Bündnispolitik gewöhnen, deren Konturen bereits sichtbar geworden sind. Die Reformführung in Moskau ist dadurch allerdings mit neuen Problemen konfrontiert.

Das Überwinden des Widerstandes jener Veteranenschicht, die bis vor kurzem jedweder Veränderung selbst um den Preis trotzte, das Land in den Ruin zu stürzen, bedeutet notwendigerweise nicht einen Wandel in der

Einstellung ihrer Anhänger und Imitatoren in den Bruderländern.

Nach einigen verbalen Zustimmungen am Anfang verschloß sich das neostalinistische Rumänien doch den Reformen. Parteichef Nicolae Ceausescu (69) hat sich soweit hinreißen lassen, das sozialistische Ungarn als „faschistisch“ zu bezeichnen (FURCHE 12/1987).

Bulgarien, das seine heutige Existenz Rußland verdankt und stets als Musterschüler des jeweiligen Moskauer Modells galt, hat diesmal abgewartet. Aufgrund eines Lobes von Michail Gorbatschow für das reformwillige Ungarn schickte Parteichef Todor Schiwkoff seinen Premierminister nach Budapest. Der Besuch zielte außer auf Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit „auf das bessere Kennenlernen der im Aufbau des Sozialis-

mus erworbenen Erfahrungen“ ab.

In Ungarn haben sich Akzente verschoben. Konservative, der Reformbewegung unter Berufung auf das Sowjetsystem ablehnend gegenüberstehende Parteileute haben jetzt endgültig ihre Basis verloren.

Sichtlichen Unwillen ließ bis zum Besuch Gorbatschows in der Tschechoslowakei dieses kommunistische Land in bezug auf Reformen erkennen. Regierungschef Lubomir Strougal sprach von der Existenz jener Kräfte in der Partei, „die die spezifischen Eigenheiten des Landes nunmehr für absolut erklären, obwohl sie vor kurzem geradezu Vorkämpfer der Verwirklichung allgemeiner Gesetzmäßigkeiten gewesen sind“ .

Deutlicher formulierte es das Parteiorgan „Rudė Prävo“ : „Ohne die entsprechende Veränderung des politischen Mechanismus und der ideologischen Arbeit kann auch der Wirtschaftsmechanismus nicht effektiv verändert werden.“

In der CSSR sind bisher mehrere Wirtschaftsreformen gescheitert; die letzte 1968. Und es ist auch wahr, daß ein erneutes Fiasko katastrophale Folgen hätte. Doch dies ist sicherlich nicht der einzige Grund, weshalb Parteichef Gustav Husak, der das Wort „Reform“ nur zögernd aussprach, den Wandel „als eine langfristige Lösung der gesellschaftlich-wirtschaftlichen Probleme“ bezeich- nete.

Eine Sonderstellung nimmt noch immer die Deutsche Demokratische Republik ein. Ihre Nachbarschaft zur Bundesrepublik und ihr — etwas seltener erwähntes — wirtschaftliches Verwachsensein mit diesem Land macht die DDR im Gesamtgefüge des Warschauer Paktes zu einem Phänomen, das stets im Zusammenhang mit Moskaus Deutschland- beziehungsweise Außenpolitik steht.

In einem ganz anderen Sinn zwar kommt auch Polen ein gewisser Sonderstatus zu. Das durch die Dauerkrise verarmte Land könnte selbst mit glühendstem Reformwillen keine effektive Veränderung ohne jene Finanzspritze initiieren, die es nunmehr nur noch von Moskau erhoffen kann. Die „Zuversicht“ , mit der Warschau auf Wandlungen in der Sowjetunion blickt, wurzelt vor allem in finanziellen Erwartungen. Sie zu erfüllen, wird für Moskau eine nicht geringe Belastung bedeuten.

Die sowjetische Reformführung ist nicht nur innenpolitisch mit einer schweren Erbschaft der Vergangenheit konfrontiert. Die Tatsache jedoch, daß das eigene Modell nicht mehr verbindlich sein soll, hat einen gewichtigen Aspekt, den auch unwillige oder zögernde Verbündete bald werden erkennen müssen: daß sie nämlich nicht mehr mit einer brüderlichen Hilfe gegen Reformen rechnen können.

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