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Rumäniens Ceausescu

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Vor zwei Jahren noch war Nicolae Ceausescu im Westen kaum dem Namen nach bekannt. Als junger Mann des großen Potentaten Gheor-ghiu-Dejs hatte er ein schwieriges Erbe anzutreten. Doch in den eineinhalb Jahren seiner Herrschaft ist es dem rumänischen Parteichef gelungen, aus dem Schattenkreis seines toten Vorgängers und Protektors herauszutreten. Mehr noch, er hat sogar den Glorienschein Dejs verblassen lassen: Der „Kult“ des Mannes, der sich in seinem letzten Lebensjahr legendäre Popularität sicherte, weil er Moskau die Stirn bot, ist in Rumänien nahezu verschwunden.

Ceausescu ist ein unpathetischer, aber energischer Manager der Macht. Er wuchert mit dem Erbe auf eigene Weise. Seiner bäuerlich-trockenen Art, die ihn beim öffentlichen Auftreten fast schüchtern, eher reserviert erscheinen läßt, liegt offenkundig nichts an „Beliebtheit“: Er fühlt sich als Verwalter, als eine Art erster „Weichensteller“ in einer Führungsgruppe, deren „alte Kämpfer“ alle aus dem Eisenbahnermilieu kommen. Pünktlichkeit und Signale, die keine Fragen, nur Gehorsam verlangen — das ist der Stil, der seit zwei Jahrzehnten in der Bukarester Parteizentrale bevorzugt wird.

Der neue Parteichef hat nie den Ehrgeiz oder die Phantasie gehabt, an diesem Herrschaftsmodell etwas Wesentliches zu ändern. Als er, 47jährig, im März 1965 zur Macht kam, war er zu jung, um sich als milder „pater patriae“ zu etablieren, zu alt jedoch, um Illusionen darüber zu hegen, was aus Rumänien würde, wenn die regierende Minorität die Zügel schleifen ließe. Sein Leben — die Laufbahn eines Nur-Funktionärs — hatte ihn das gelehrt.

Lücken in der Biographie

Geboren wurde er als Sohn eines bäuerlichen Schuhmachers in Scor-nicesti, 120 Kilometer von der Hauptstadt. Doch wuchs er dann in Bukarest auf, wo sich der Vater eine kümmerliche Werkstatt eingerichtet hatte. Welche Schule er besuchte, ob er begann, einen Beruf zu erlernen — keine offizielle Biographie verrät es. Man weiß nur, daß er schon als Vierzehnjähriger zum kommunistischen Jugendverband stieß und vier Jahre später — 1936 — zur Partei, die nur einige tausend Mitglieder hatte. Im selben Jahr wurde er verhaftet und wegen Agitation zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Kurz nach seiner Freilassung, bei Kriegsausbruch, wurde er wieder inhaftiert. Er kam ins Konzentrationslager Targu-Jiu, wo er jenen beiden Kommunisten begegnete, die seine Karriere bestimmten: Gheorghiu-Dej, dem späteren Parteichef, und Jon Gheorghe Maurer, dem heutigen Ministerpräsidenten, einem weltmännischen Rechtsanwalt, der dank guter Beziehungen aus Targu-Jiu entkam und am 21. August 1944 seine Freunde aus dem Lager befreite.

Stufen zur Macht

Damals begann der erstaunliche Aufstieg Ceausescus. Auf Parteischulen und in Abendkursen holte er Versäumtes nach. Als „rechte Hand“ Gheorghiu-Dejs organisierte er den kommunistischen Jugendverband. Schnell gelangte er darnach in eine Schlüsselposition der politischen Verwaltung der Armee: Mit 28 Jahren war er Brigadegeneral, mit 32 stellvertretender Verteidigungsminister und Generalmajor. Im Mai 1952 gelang es Gheorghiu-Dej, mit seiner „einheimischen“ im Lager zusammengeschmiedeten Gruppe von Kommunisten die „Moskauer“ Gruppe Anna Paukers, der Aufpasserin Stalins, auszuschalten. Darnach stieg auch Ceausescus Stern weiter. Aus der Armee, die er wahrscheinlich in kritischen Momenten Gewehr bei Fuß gehalten hatte, wechselte er 1954 ins Parteisekretariat, 1955 ins Politbüro — mit 37 Jahren der Jüngste in der Kommandozentrale des Landes. Mit Gheorghiu-Dej und Bodnaras, dem damaligen Haupt-vertrauensmann Moskaus, gehörte er zu der „Troika“, die jeden Morgen mit dem sowjetischen Botschafter zu konferieren pflegte.

Auslandserfahrungen des „Kronprinzen“

Gheorghiu-Dej begann früh, seinen „Kronprinzen“ Ausländserfahrungen sammeln zu lassen: 1961 war Ceausescu beim 22. Moskauer Parteitag; 1962 begleitete er Chruschtschow durch Rumänien; im selben Jahr studierte er die italienische Variante des Kommunismus beim Parteitag der KPI; 1963 folgte eine private Reise nach Paris mit seiner Frau Elena, die bis vor kurzem als Direktorin eines chemischen Forschungsinstituts arbeitete. Die neuralgischen Punkte des Weltkommunismus besuchte Ceausescu 1964: Peking, Ost-Berlin, Belgrad und Rom. Es war das Jahr, in dem Rumänien — im April — seine Neutralität im chinesisch-sowjetischen Streit und seine außenpolitische Unabhängigkeit verkündete.

National und international

In den zwanzig Monaten seit seinem Amtsantritt ist Ceausescus politisches Profil deutlicher geworden. Mutiger noch als sein Vorgänger handhabt er die Methode der pragmatischen Balance in der Außenpolitik, doch zugleich noch vorsichtiger achtet er darauf, daß die ideologischen Tabus im Inneren geachtet werden, daß das patriotische, fast nationalistische Selbstgefühl in den Formeln einer monotonen, unterkühlten Parteisprache vorgetragen wird. In sei“n Ä“ Gerungen wird man kaum einmal einen frischen, persönlich gefärbten Ton entdek-ken; selbst in den erregendsten Augenblicken spricht aus ihm nur die Stimme des „Apparats“. Das war nicht anders, als er in seiner kühnsten Rede, am 7. Mai des vergangenen Jahres, jede Wiederbelebung der alten Kommunistischen Internationale ablehnte und sich zu einem „nationalen und zugleich internationalen“ Kommunismus bekannte. Erst in den Schlagzeilen enthüllt sich der explosive Kern seiner trockenen Darlegungen.

Das Widerspruchsvolle solcher Taktik deckt sich mit der strategischen Gesamtkonzeption. Alles hat der möglichst ungestörten, schnellen Industrialisierung des noch immer rückständigen Landes und der nationalen Größe zu dienen. Dazu nimmt Ceausescu westliche Hilfe — und vermeidet jede Reform seiner zen-tralistischen Kommandowirtschaft. Dazu wirbt er auf Rundreisen im Lande um patriotische Sympathie — und wahrt die Distanz zum Volk. Er empfängt freundlich den chinesischen — und den bundesrepublikanischen — Minister, entsendet den Staatspräsident zum Gut-Wetter-Machen nach Ost-Berlin und den Politbürokollegen nach Albanien, fährt selbst nach Moskau — und verschweigt der rumänischen Öffentlichkeit alle Einzelheiten des sowjetisch-chinesischen Konflikts.

Handgreifliche politische Zugeständnisse macht er weder nach außen noch nach innen. Den rumänischen Intellektuellen und Künstlern hat er einen kleinen, manchmal größeren Spielraum gewährt, ohne aber irgendeine ideologische Debatte zu dulden. Die Bukarester dürfen unter seiner Ägide „Le Monde“ lesen und Coca-Cola trinken, falls sie es bezahlen können, aber private Westrei^en bleiben ihnen allerdings versagt.

Spröde und unpersönlich wie sein Regierungsstil wirkt auch die Figur des Parteichefs. Hermetisch abgeschlossen von der Öffentlichkeit bleibt seine private, familiäre Existenz; seine Psyche, seine Neigungen, seine Freunde und Gegner sind unbekannt Vieles bleibt undurchsichtig, weil die rumänische Führungsschicht den inneren Mechanismus ihrer Machtausübung erfolgreicher gegen ein schwatzfrohes Volk abschirmt als andere Parteieliten in Osteuropa.

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