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„Ketzer“ Ceausescu

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Die seit einem Jahrzehnt aufgestauten Spannungen zwischen Rumänien und der Sowjetunion sind schlagartig auf der Warschauer-Pakt-Tagung in Moskau aufgebrochen. Und das in grundsätzlichen Belangen: Entspannung, Aufrüstung, Koordinierung der Wehrpolitik, Ausweitung der militärischen Befugnisse der Vereinigten Streitkräfte, Verhältnis zu China und den „Eurokommunisten“, in der Haltung zu Nahost - soweit die Dinge, die bisher bekannt geworden sind.

Daß es im Grunde um den totalen Führungsanspruch Moskaus und den Einschmelzungsprozeß der europäischen Satelliten ins rote Riesenreich geht, liegt nahe: Ceausescu traut sich was! Das war der erste Eindruck von seiner Haltung auf der Tagung des Konsultativrates des Warschauer Paktes in Moskau. Seine Weigerung, eine gesonderte Erklärung der Warschauer-Pakt-Staaten zu unterzeichnen, durch welche die Friedensfindung im Nahen Osten als „israelisch-ägyptisches Arrangement unter Patronanz der USA“ zur Gefährdung des Friedens im Nahen Osten umgemünzt werden sollte, entsprach durchaus seiner Politik.

Schließlich war es Ceausescu, der 1967 dem kollektiven Umbhich der diplomatischen Beziehungen des Ostblocks zu Israel nicht gefolgt war und der keine Gelegenheit einer Vermittlung in diesem Krisengebiet versäumte.

Die in Moskau von den sieben Staats- und Parteichefs des Ostblocks unterzeichnete Deklaration mit ihren. Friedensappellen, Abrüstungsaufforderungen und Entspannungsbeteuerungen scheint nur Ni-colae Ceausescu ernst genommen zu haben. Der Kreml aber setzte gleichzeitig bei seinen willfährigen Satelliten größere Rüstungsanstrengungen, eine engere Koordinierung der Aufrüstungspläne und mit der Straffung der Kommandogewalt des sowjetischen Oberbefehlshabers einen weiteren Einbruch in die Souveränitätsrechte Polens, der DDR, der Tschechoslowakei, Ungarns und Bulgariens durch.

Ceausescu machte diese Absichten mit seinen freimütigen Enthüllungen zunichte, da er für höhere Rüstungsausgaben bei der gegenwärtigen internationalen Lage keine Veranlassung sehe.

Der rumänische Staats- und Parteichef bestätigte noch während seiner Rede im Bukarester Kongreßsaal aus Anlaß des sechzigsten Jahrestages der Staatswerdung Rumäniens: „Die rumänische Armee wird nur von der eigenen Partei- und Staatsführung Befehle entgegennehmen, niemals von jemandem anderen“.

Daß Ceausescu bei seinem Widerspruch in Moskau nicht nur den Rückhalt ins Kalkül setzte, den seine nationale Politik der Selbstständigkeit, Souveränität, Gleichberechti-

gung und Nichteinmischung in Rumänien hat, sondern seine geschickt gezogenen internationalen Querverbindungen, liegt nahe. Sein Trumpf des guten Verhältnisses zu China, das der Besuch des chinesischen Parteichefs Hua Kuo-feng bestätigte, spielt Ceausescu gegen Moskau ebenso aus wie sein Nachbar Tito.

Ceausescu entfernt sich jedenfalls immer weiter von der kollektiven Politik des Ostblocks unter dem Kommando Moskaus, und das nicht erst seit heute. Im Grunde genommen legte den nationalkommunistischen Weg Rumäniens die sogenannte „Aprildeklaration 64“ fest, ein Plenum der KPR noch zur Zeit des Vorgängers Gheorghin Dej und dessen Ministerpräsidenten Maurer.

Auch Ceausescu, damals oberster Politruk der Armee, gilt als einer der Autoren. Die nationalbewußten Kommunisten hatten Konsequenzen aus bitteren Erfahrungen gezogen: so der Niederwerfung des Aufstandes in Ungarn 1956 und dem Versuch der Sowjetunion, Rumänien die Rolle des Agrarproduzenten im Ostblock aufzuzwingen.

Der Ausbruch Nicolae Ceausescus aus der Einheitsfront der Paktstaaten •in Moskau war nur der sichtbarste Akt der Selbstständigkeitspolitik Rumäniens, möglicherweise auch ein Akt der Verzweiflung. Denn daß ein so umsichtiger und schlauer Politiker wie Ceausescu die Sowjetunion und ihre Satelliten nicht ohne zwingenden Grund vor der Weltöffentlichkeit desavouiert, steht fest.

Ein Hinweis seiner Rede im Bukarester Kongreßsaal scheint höchst aufschlußreich: „Wir können nicht ignorieren, daß es zwischen sozialistischen Ländern Meinungsverschiedenheiten gibt. Wir sind aber zutiefst beunruhigt darüber, das kon-terrevolutinäre Elemente in einigen Ländern von außen unterstützt werden, um die jeweiligen Regierungen zu beseitigen.“ Solche Aktionen würden nicht nur der sozialistischen Weltanschauung widersprechen, sondern auch dem Völkerrecht und der UNO-Charta.

Seine Worte deuten auf den Versuch, sein Regime aus dem Sattel zu heben. Bisher war kaum etwas über Aktivitäten einer „kommunistischen Opposition“ oder einer „Anti-Ceau-sescu-Fraktion“ zu hören, aber solche wurden auch im benachbarten Tito-Jugoslawien erst schlagartig publik. Das totale Informationsmonopol der kommunistischen Staaten wirkt dann wie ein Bumerang.

Daß es eine kommunistische Emigration auch aus Rumänien gibt, ist bekannt. Ob es eine aus dem Ausland gesteuerte „Kommunistische Oppositionspartei Rumäniens“ gibt, noch nicht. Nicolae Ceausescu muß mit allen Eventualitäten rechnen und seine Anspielungen, daß ein „Krieg mit Rumänien einen totalen Volksverteidigungskrieg“ auslösen würde, klingt wie eine Warnung.

Der Rumäne hat seine Lektion gelernt und er ist ein Manager der Macht, der seit einiger Zeit darangeht, das hochfliegende außenpolitische Unabhängigkeitskonzept Bukarests auch durch einen „autonomen Sozialisus“ im Innern zu untermauern. Diese Kombination dürfte wiederum das Alarmzeichen für den Kreml gewesen sein, der Auswirkungen einer Abweichung vom verbindlichen sowjetischen Modell im Innern weit mehr fürchtet als außenpolitische Eskapaden.

Nicolae Ceausescu mußte deshalb wohl auf der Warschauer-Pakt-Tagung in Moskau die Flucht nach vorne antreten. Und die offene Distanzierung zum Kreml und dem übrigen Ostblock sollte ihm offensichtlich die notwendige Zeitspanne verschaffen, um seinen „autonomen Sozialismus“ in Rumänien zu verankern.

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