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Revolte gegen den roten Potentaten

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Ein Augenzeuge berichtet über die gespannte Situation im rumänischen Brasov. Die Verhaftungswelle hat begonnen. Trotzdem regt sich so etwas wie Opposition.

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Ein Augenzeuge berichtet über die gespannte Situation im rumänischen Brasov. Die Verhaftungswelle hat begonnen. Trotzdem regt sich so etwas wie Opposition.

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Nachdem es ohnehin schon alle Rumänen wußten, kam es vor einer Woche erstmals halboffiziell über den Äther: Es gab am 15. November Unruhen in Brasov (Kronstadt), gestand der hohe Parteifunktionär Silviu Brucan den verdutzten Zuhörern.

Und der ordentliche Professor für Gesellschaftswissenschaften an der Universität Bukarest erklärte ohne Umschweife, die der

Bevölkerung auferlegten Entbehrungen hätten ihren Höhepunkt überschritten; es sei der Punkt gekommen, an dem „die Arbeiterklasse nicht mehr länger bereit ist, sich wie unterwürfige Diener behandeln zu lassen“.

Für osteuropäische Verhältnisse einzigartig ist dabei, daß sich Brucan, der sich vor seiner Universitätskarriere als Botschafter in den USA profilierte, nicht des „Bukarester Rundfunks“ bediente, dessen zeitweiliger Direktor er ebenfalls schon war, sondern über den CIA-nahen Propagandasender „Radio Free Europe“ seine Meinung kundtat.

Der in München stationierte Sender erreicht mit seinem qualitativ anspruchsvollen Programm täglich mehrere Millionen Hörer in Rumänien, da im Zuge von Energiesparmaßnahmen Nicolae Ceausescu die über sein Reich verteilten Störsender abschalten ließ und somit ein ausgezeichneter Kurzwellenempfang möglich ist.

Während in der rumänischen Parteipresse nicht einmal ansatzweise über die Revolte, von der die ganze Welt spricht, berichtet wurde (mittlerweile berichtete die rumänische Nachrichtenagentur Agerpress davon), kann über die Zivilcourage des 60jährigen Professors nur spekuliert werden. Sind Hoffnungen realistisch, daß sich gegen den roten Potentaten, selbst im Reich des real-existierenden Sozialismus ein untragbarer Alleinherrscher, allmählich eine Opposition regt? Brucan wurde aber bereits „kaltgestellt“.

Die Bürger Rumäniens flehen fast darum, es möge ein Wunder geschehen und die allgegenwärtige „Securitate“ - der Geheimdienst — mitsamt dem Ceausescu-Clan, von dem 17 Vertreter, Tanten, Neffen und Geschwister des Staatsführers Nicolae, an den Schaltstellen der Macht sitzen, zum Teufel gejagt werden.

Verständlich, auch wenn man nur einen Tag am Ort des Geschehens war. Setzt man sich im „Ca-pitol“, dem vornehmsten Hotel Kronstadts, in dem leicht unterkühlten Restaurant zu einem Kaffee, bekommt man nur Kaffee-Ersatz, als „Turkish coffee“ aber teuer berechnet. Auf der anderen

Straßenseite sieht man zwei kindlich wirkende Polizisten mit einem Maschinengewehr hantieren. Alle Passanten haben Angst, es könne sich jeden Moment ein Schuß lösen und meiden die linke Straßenseite des Gheorghiu-Dej-Bullevars, huschen so schnell sie können auf der Hotelseite der Straße vorbei.

„Haben Sie Angst?“ frage ich mehrmals. Kaum jemand gibt eine Antwort. Hin und wieder traut sich doch einer mit einer flüchtigen Bemerkung - so flüchtig, daß ich, wäre ich Geheimpolizist, alle Mühe hätte, die Identität des Betreffenden festzustellen.

„Schauen Sie hinüber zu den beiden Ceausescu-Schergen, die das Parteibüro bewachen. Links von ihnen stand .Nieder mit der Tyrannei — wir wollen Nahrung4.“ Der Mann steht auf und läuft davon. Ein anderer flüstert: „Jetzt gehts erst mit den Verhaftungen los. Jetzt wird diffamiert, ein falsches Wort und du kommst nach Bukarest in Isolationshaft. 400 sollen schon dort sein, unter ihnen viele Deutsche.“

Selten sprechen die Menschen sachlich über das, was sich am 15. November ereignete, als Arbeiter der Traktorenfabrik „Steagul Ro-su“ streikten und ins Stadtzentrum marschierten, wo sich nach und nach Hunderte Personen anschlössen, die gröhlend ins Parteibüro einbrachen und Ceauses-cubüder von der Wand rissen.

Was sonst geschah, liegt weiterhin im Dunkeln. Einige behaupten, die wütende Menge habe einen Polizisten erstochen, andere sagen, es habe gleich zwei Tote gegeben.

E s läuft das Gerücht herum, daß es in Petrecheni und Galati Solidaritätsstreiks gegeben und der oberste Parteibonze der Stadt Selbstmord verübt habe, weil ihn Ceausescu hinter Gitter bringen wollte.

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