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Erwachen aus dem Alptraum

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Ceausescus Exekution war das schönste Weihnachstgeschenk, das Rumänien je erhalten hat. Isidor Talmacel, der junge Kaplan von Cleja, nimmt kein Blatt vor den Mund. Das rumänische Volk lernt nach Jahren des Schreckens wieder frei zu sprechen und läßt aufge- stauter Bitterkeit freien Lauf.

Cleja ist ein katholischer Markt- flecken mit 5.000 Einwohnern, ein wenig abseits der Straße von Bacau

nach Roman, nicht weit von Iasi in der Moldau.

Als die Bauern von Cleja erfah- ren hatten, daß der Diktator mit dem Helikopter aus der Hauptstadt geflohen war, gingen sie auf die Straße und stürmten das Rathaus und den Polizeiposten. Die einge- fleischten Kommunisten des Dor- fes waren verschwunden und sind noch nicht wiedergekommen, eben- so der Bürgermeister. Zwei Polizi- sten - allmächtig und bei den Leu- ten verhaßt - wurden kräftig ver- prügelt; der eine ist noch immer im Spital.

Ioan, ein Deutscher rumänischer Herkunft, kennt den Pfarrer des Dorfes. Er half diesem vor der Re- volution im Auftrag von „Kirche in Not - Ostpriesterhilfe“. Einige Tage vor dem Sturz des Diktators wurde er sogar verhaftet und lange von den Polizisten von Cleja verhört.

Um zu zeigen, daß der Schrecken zu Ende ist, tritt Ioan heute mit hoch erhobenem Haupt ohne anzu- klopfen ins Kommissariat ein und duzt den Polizisten, einen jungen Mann, der eben erst ins Dorf ge- kommen ist. Und welche Überra- schung: Hinter der Tür einer an- geblichen Apotheke, bezeichnet mit dem Signet des Roten Kreuzes, fin-

det sich eine Abhöranlage, die den Polizeiposten über eine Distanz von etwa zwanzig Kilometern mit der Zentrale von Bacau verband.

Überall befanden sich Polizisten hinter den Fenstern von Wachtür- men bei der Dorf ein- und -ausfahrt, um vorbeifahrende Wagen anzuge- ben und suspekte Kennzeichen zu notieren. Heute wissen sie eigent- lich nicht mehr, was sie tun sollen; bei Routinekontrollen werden sie zur Zeit nicht selten ausgiebig be- schimpft.

Die Leute fragen sich, ob sie sich - aus einem Traum erwachend - nicht plötzlich in einer schreckli- chen Welt wiederfinden. Der Ap- parat der Securitate ist noch nicht völlig zerschlagen. Die Mehrzahl der Securitate-Mitglieder ist nach einigen Tagen oder Wochen Haft wieder freigelassen worden. Man hat sie pensioniert oder in die Armee integriert. An strategisch wichti- gen Orten sind noch immer Männer des ehemaligen Regimes für die Sicherheit verantwortlich.

Manche verlangen Rechenschaft und Strafe für jene, die mit der Diktatur zusammengearbeitet hat- ten. Mißtrauen wächst in dem Maße, in dem man die Verzweigung dieser Krake von Securitate entdeckt. In Alba Iulia haben Armeeangehörige nach Einnahme eines Securitate- Postens die Drähte gefunden, die zum Bischofssitz von Jakab Antal führten: Zwei Mikrophone waren in die Wände des Büros von Weih- bischof Lajos Balint eingelassen.

In Temesvar, beim Oberhirten Sebastian Kräuter, hat ein Techni- ker eine ins Telefon eingesetzte Wanzeentdeckt. Kräuter zeigt stolz die Beute, es läuft ihm aber kalt den Rücken hinunter.

Das perfekte Überwachungssy- stem hinterließ Spuren in der kol- lektiven Mentalität: Man muß sich erst wieder daran gewöhnen, je-

mandem zu vertrauen, den Ge- sprächspartner nicht mehr als po- tentiellen Spitzel zu betrachten. In Alba Iulia sollen im Priesterseminar für die Diözesen ungarischer Spra- che (Siebenbürgen) von hundert Seminaristen etwa zehn Infor- manten der Securitate gewesen sein.

Im orthodoxen Kloster von Bis- trita, einem der größten in der Mol- dau, wurden die Fresken aus dem 16. Jahrhundert prachtvoll restau- riert. „Dank staatlicher Gelder“, sagt ein Mönch, der darauf hin- weist, daß es unter Ceausecu „eine religiöse Freiheit gab“. Schließlich habe man das Kloster renovieren können. Aus einem orthodoxen Ka- lender für 1990, den ein anderer Mönch verkauft, wurde jedoch der Mittelteil herausgeschnitten: Da ist etwas zum Ruhme Ceausecus und des rumänischen Sozialismus ge- standen.

Kann man von Religionsfreiheit sprechen, wenn die griechisch-ka- tholische Kirche verboten worden war und ihre Bischöfe in den Ge- fängnissen starben? Ein alter Mönch, der Französisch spricht, meint: „Die Unierten sind ein dia- bolischer Trick des Vatikans. Es ist ein großer Fehler des Papstes, die Unionspolitik zu verteidigen. Die Rumänen sind orthodox. Wenn Sie

missionieren wollen, gehen Sie zu den Heiden, nicht hierher. Wir Or- thodoxe haben viel darunter gelit- ten, daß man uns die Unionen auf- gezwungen hat - mit Gewalt. Es war die Hand des westlichen Impe- rialismus und Ungarns, um Sieben- bürgen von Rumänien abzulösen. Österreich-Ungarn hat in der Ver- gangenheit viele orthodoxe Klöster mit Kanonenfeuer zerstört. Gäbe es diese ausländische Manipulation nicht, wäre das Problem heute ge- löst.“

In Iasi bestätigt der Ordinarius der Diözese, Petre Gherghel, daß es keinen ökumenischen Dialog gebe. „Wenn es einige Gespräche über theologische und moralische Pro- bleme gab, kamen immer die politi- schen Probleme oder solche der staatsbürgerlichen Bildung ins Spiel. Es ging darum zu zeigen, daß es bei uns Religionsfreiheit gibt.“

Die griechisch-katholischen Gläubigen Rumäniens wollen, daß die Orthodoxen ihnen die Kathe- dralen und Kirchen zurückgeben. Vor allem aber betrachten sie die Mehrzahl der Mitglieder der Hier- archie als „Verräter“ und als „Kollaborateure“, die das Regime beweihräuchert hätten. Da gibt es Wunden, die noch lange nicht hei- len werden.

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