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Isoliert Ceausescu!

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Verzweifelte rumänische Bürger organisieren ihren Protest gegen das Regime. Eine dieser Gruppen kämpft für ein freies Rumänien. Wie lange noch?

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Verzweifelte rumänische Bürger organisieren ihren Protest gegen das Regime. Eine dieser Gruppen kämpft für ein freies Rumänien. Wie lange noch?

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„ Bitte kaufen Sie keine Lebensmittel mit dem Markenzeichen Made in Rumania“, steht auf einem Zettel, der uns überreicht wird. Vor einem Kaufhaus, irgendwo in Rumänien. Und weiter heißt es auf dem Flugblatt: „Bedenken Sie, in unserem Land leiden die Menschen an Unterernährung, da alle lebenswichtigen Grundnahrungsmittel exportiert werden. Jedem Bürger stehen täglich nur 300 Gramm Brot zu, auf den Monat verteilt gar nur ein Kilogramm Fleisch, 50 Gramm Butter und acht Eier. Unterstützen Sie unseren Protest gegen die Ceausescu-TyranneL Helfen Sie mit, das Regime überall, in Ost und West, zu isolieren, Ihre Multume-ste Romania Libera, Ihre Bewegung für ein freies Rumänien.“

Wenig später in einem stillen Cafehaus. „Wir werden Ihnen von uns erzählen“, erklärt einer der Handzettelverteiler im Flüsterton, „aber forschen Sie nicht nach unserer Identität. Das hätte verheerende Folgen, wir leben in der Illegalität.“ Der Ton wird härter: „Finden uns die Ceausescu-Schergen, ist uns gräßliche Folter sicher. Sie verstehen unsere Lage wohl nicht, es ist nicht allein die Armut, nicht allein die Repression, auch nicht der allgegenwärtige Personenkult, erst all das zusammen macht unser Leben zur Hölle“, so eine Frau.

Dann sprudelt es aus ihr hervor. Beispiele über Beispiele, was es bedeute, schon den vierten Winter bei staatlich verordneten Temperaturen von maximal zwölf Grad Celsius zu frieren.

Sie beschreibt auch die frauenfeindliche Bevölkerungspolitik, die unter der Losung „Ein Haus ohne Kinder ist wie ein Garten ohne Blumen“ zwangsvollzogen wird. Obwohl Verhütungsmittel strengstens verboten sind und eine Abtreibung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden kann, haben nach Ansicht Ceausescus noch zu wenige seiner weiblichen Untertanen die von der Partei gewünschte Mindestanzahl von drei Kindern. Deshalb müssen sich alle Frauen im gebärfähigen Alter einmal im Monat einer gynäkologischen Pflichtbehandlung unterziehen. „Und wehe, es stellt sich heraus, daß sie schwanger sind, dann kommen sie täglich auf den Stuhl. Angeblich zum seelischen Wohl. Damit der Leibesfrucht nichts zustoße.“

Ein langer Seufzer. „Sie müssen das alles an der eigenen Haut erleben, eines Tages drehen Sie einfach durch“, beendet die Frau ihre Erfahrungen.

Sie und Freunde hatten vor Jahren einmal den Mut gefaßt, einen Heißluftballon zu starten, der Hunderte handgeschriebene Flugblätter beförderte. Das sei ein erstes Zeichen des Protestes gewesen. Doch nun, seit den Ereignissen in und um Kronstadt (Brasov/FURCHE 50/1987), entschlossen sie sich, organisiert aufzutreten.

Als Befreiungsbewegung, worauf im ersten Augenblick ihr Name schließen läßt?

„Keineswegs sind wir rechtsgerichtete innere Emigranten. Wir wünschen uns Reformen wie in Ungarn und Glasnost wie in der Sowjetunion. Mehr nicht.“

Und wie?

Die Gesprächspartner ziehen ein Flugblatt hervor. Da heißt es: '„Werte Rumänien-Reisende. Sie können uns helfen. Ubermitteln Sie doch Ihren Verwandten und Freunden, täglich um 22 Uhr das Licht für drei Minuten auszuschalten. Unterstützen Sie unseren Bürgerprotest für ein freies Rumänien.“

Solch ein Flugblatt übergaben Vertreter der Gruppe kürzlich auch sowjetischen Diplomaten in Bukarest — und wurden freundlich empfangen.

(Archiv)

Während Ceausescu sie steckbrieflich suchen läßt, fanden die Sowjet-Vertreter Verständnis für ihre Unzufriedenheit. „Man sagte uns, die innenpolitische Situation in Rumänien gebe zu Sorge Anlaß, doch man werde nicht intervenieren, hoffe aber, die Rumänen fänden selbst einen Ausweg aus der Krise“, erzählen die Aktivisten.

Wilde Demonstrationen wie in Kronstadt seien zu begrüßen. Doch sollte von Geschäftsplünderungen abgesehen werden: „Denn damit haben wir die Poüzei gegen uns. Sie muß dann repressiv eingreifen. Doch es geht darum, den Sicherheitsapparat für das Volk zu gewinnen. Nur so stürzt Ceausescu.“

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