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Kommunistische Renaissance

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Hier wurde ein Theaterdirektor, dort ein Chefredakteur abberufen; rumänische Autoren bieten ihre Manuskripte westlichen Verlagen an, weil keine Aussicht auf Veröffentlichung in Rumänien besteht. Kein Geringerer als der Cheftheoretiker der kommunistischen Partei Rumäniens, Niculescu-Mizil, übt öffentlich Selbstkritik, indem er seine Verantwortlichkeit für die Mängel im Bereich der ideologischen Schulung unterstreicht. Der Erziehungsminister Malita schließt sich ihm an und beklagt die ungenügende weltanschauliche Ausrichtung der Jugend.

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Hier wurde ein Theaterdirektor, dort ein Chefredakteur abberufen; rumänische Autoren bieten ihre Manuskripte westlichen Verlagen an, weil keine Aussicht auf Veröffentlichung in Rumänien besteht. Kein Geringerer als der Cheftheoretiker der kommunistischen Partei Rumäniens, Niculescu-Mizil, übt öffentlich Selbstkritik, indem er seine Verantwortlichkeit für die Mängel im Bereich der ideologischen Schulung unterstreicht. Der Erziehungsminister Malita schließt sich ihm an und beklagt die ungenügende weltanschauliche Ausrichtung der Jugend.

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Was ist in Rumänien los? — Etwa eine „Kulturrevolution“? Wenn man das Wort hört, denkt man unwillkürlich an die spektakulären Ereignisse, die vor einigen Jahren in gigantischem Ausmaß in China abrollten. Jenes Bild trifft auf Rumänien nicht zu.

Staatschef Ceausescu meinte zu einem italienischen Journalisten: „Wenn man von einer Kulturrevolution in Rumänien sprechen will, so hat sie vor sehr langer Zeit begonnen, 1948 bis 1949, also mit dem Übergang zum Aufbau der neuen Gesellschaftsordnung.“

In dieser Zeit ist tatsächlich eine „Kulturrevolution“ vollbracht worden: aus einem Land, das die meisten Analphabeten in Europa gehabt hatte, wurde ein Land, in dem der Prozentsatz der Studenten, gemessen an der Bevölkerungszahl, den höchstentwickelten Staaten gleichkommt.

Es ist gewiß nicht zu bestreiten, daß die Ideologie im kommunistischen Rumänien immer groß geschrieben worden ist. Dennoch gibt Ceausescu offen zu, daß nunmehr neue Anstrengungen gemacht werden: „Wir haben uns vorgenommen, in eine neue Etappe zu treten, um in Rumänien die vielseitig entwickelte sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Wir verstehen darunter die Schaffung von Voraussetzungen für die weitere Entwicklung der sozialistischen Demokratie in neuen Formen."

Seine Prinzipien seien „Recht und

Gerechtigkeit, Humanismus, Achtung und Sorge für den Menschen, für die Hebung seines materiellen und geistigen Wohlstands“, erklärte Ceau- sescu. Zur Bekämpfung alter, rückständiger Zustände — die er übrigens nicht, näher umschreibtsei er ebenso fest entschlossen wie zur „Austilgung gewisser Denkweisen“, die den Menschen als Ausbeutungsobjekt sehen. Alle verfügbaren Mittel müßten der Heranbildung eines „neuen Menschen“ mit fortgeschrittener Bildung dienen.

Nach der Literatur befragt, meinte der Staatschef, es sei gerade in den letzten Jahren eine große Anzahl von Werken „mit gutem Inhalt“ erschienen. Unzulänglichkeiten habe es beim Import von Filmen und literarischen Arbeiten aus dem Westen gegeben, da kein Unterschied zwischen wertvollen Schöpfungen und solchen, die „retrograde Anschauungen über Rolle und Stellung des Menschen in der Gesellschaft verbreiten“, gemacht worden sei. Er denke nicht daran, die kulturellen Beziehungen Rumäniens zu anderen Ländern einzuschränken, dringe aber darauf, daß in Zukunft selektiv verfahren werde, damit „das Beste“ aus Film, Theater und Literatur ins Land gelange.

Über die Jugend äußerte "sich der Staatsratsvorsitzende zufrieden: Si’e sei arbeitsam, beteilige sich tatkräftig am Leben der Gesellschaft und unterstütze begeistert die Politik der Partei.

Der kritische Beobachter wird ihm freilich gerade diese Aussage nicht abnehmen; denn würde sie stimmen, so wäre ein Grund weniger vorhanden, die „Entfaltung einer intensiveren Erziehungstätigkeit’ auf dem Gebiete der Ideologie“ zu forcieren.

Ceausescu ist es scheinbar ernst mit der Festigung der Doktrin und Ideologie in Seinem Land. Er selber ist Kommunist aus Überzeugung und mußte einstmals seinen Eifer mit achtjähriger Haft büßen.

Gewiß Weiß man im Kreml genausogut wie in Bukarest, daß der von ihm eingeschlagene Kurs Ceausescus Position innerhalb des Ostblocks weiter stärken wird; auch besteht kein Zweifel, daß er dadurch an Bewegungsfreiheit gerade gegenüber den Sowjetrussen gewinnen wird; dennoch glaubt man ihm im Kreml offenbar die Ehrlichkeit seines. Stre- bens.

Es bleibt abzuwarten, wie weit das rumänische Beispiel Schule - macht und ob es vielleicht zu einer Art ideologischer kommunistischer Renaissance im Ostblock kommt.

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