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Knistern — nicht krachen

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Ceausescu macht wieder von sich reden. In einer vielbeachteten Erklärung hob er die besondere Rolle Rumäniens hervor, das in dem langjährigen Konflikt zwischen der Sowjetunion und China als einziges Land des Warschauer Paktes neutral geblieben sei. Den Warschauer Pakt interpretierte er dahingehend, daß der ßiindnisfall nur eintrete, wenn einer der Mitgliedstaatcn angegriffen werde und Hilfe anfordere. Schließlich versäumte Ceausescu nicht, seine stehende Formel zu wiederholen, oberste Grundsätze der Beziehungen zwischen den Staaten sollten die Respektierung der Souveränität und die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder sein.

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Ceausescu macht wieder von sich reden. In einer vielbeachteten Erklärung hob er die besondere Rolle Rumäniens hervor, das in dem langjährigen Konflikt zwischen der Sowjetunion und China als einziges Land des Warschauer Paktes neutral geblieben sei. Den Warschauer Pakt interpretierte er dahingehend, daß der ßiindnisfall nur eintrete, wenn einer der Mitgliedstaatcn angegriffen werde und Hilfe anfordere. Schließlich versäumte Ceausescu nicht, seine stehende Formel zu wiederholen, oberste Grundsätze der Beziehungen zwischen den Staaten sollten die Respektierung der Souveränität und die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder sein.

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Daß Ceausescu wieder und wieder in das Horn eines für östliche Verhältnisse riskanten nationalen Selbstbewußtseins stößt, dürfte außen- und innenpolitische Gründe haben.

Unter den ersteren kann man die Überlegung gelten lassen, daß es den Rumänen sehr recht ist, wenn im östlichen Machtbereich leichte Unruhe herrscht. Es soll beileibe nicht krachen, aber es soll knistern.

Vor Jahren gelang es dem Gespann Maurer-Ceausescu, die deprimierten Rumänen mit neuen Hoffnungen zu erfüllen, indem sie ihnen auf außenpolitischem Gebiet die Fiktion nationaler Unabhängigkeit in Großformat an die Wand malten — dadurch einem alten Wunschtraum der Rumänen Rechnung tragend —, innenpolitisch aber wachsenden Wohlstand durch zügigen Ausbau der Industrie versprachen.

Nun hat die Bevölkerung jahrelang gearbeitet, hat Entbehrungen und Einschränkungen ohne Murren auf sich genommen, ungezählte unbezahlte Uberstunden geleistet, aber der Erfolg aller Anstrengungen ist weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben.

Weiterhin werden unentgeltliche Mehrleistungen verlangt, die Preise für Kleider und Schuhe sind immer noch relativ hoch, wenn man ein Geschäft betritt, zerstört schon der geölte Fußboden jede Illusion, die eine geschickte Auslagendekoration vielleicht hervorgerufen hat. Die Zahl der Taxis ist viel zu klein, Personenkraftwagen gibt es immer noch verhältnismäßig wenige, der Bedarf an landwirtschaftlichen Maschinen ist noch lange nicht gedeckt. Selbst in größeren Städten erfolgt die Müllabfuhr teilweise noch auf offenen Lastautos, mit veralteten Arbeitsmethoden plagen sich die Leute in kleinen Betrieben und zum Teil in der Landwirtschaft, Schüler und Studenten müssen in den Sommerferien zum Arbeitsdienst an Straßen, Kanälen und Parkanlagen ausrücken.

Daß Rumänien seine Industrieanlagen weiter ausgebaut hat, daß an den Stadträndern Reihen von Hochhäusern entstanden sind, daß auf verschiedenen Gebieten des Lebens eine gewisse Konsolidierung erreicht worden ist, soll nicht bestritten werden. Es soll auch nicht unerwähnt bleiben, daß sich das Verhältnis des

Staates zu den Kirchen gebessert hat. So werden nun auch Renovierungsarbeiten an Kirchen ausgeführt; viele Kirchtürme haben neue, blitzende Turmhelme. Selbst von katholischer Seite wird bestätigt, daß seit dem letzten Besuch Kardinal Königs die kirchliche Arbeit erleichtert worden sei.

Aber das genügt der Bevölkerung nicht. Sie hat es satt, sich vergeblich zu plagen und sich danach um die Lebensmittel auch noch in langen Schlangen anstellen zu müssen.

Der Alltag ist freudlos, und für viele ist auch der Sonntag Alltag. Man blickt in mürrische Gesichter, im Straßenbild herrschen Männer in abgetragenen Anzügen vor. Der Ausländer spürt, daß man nicht gerne mit ihm redet, weil man vergrämt ist. Das persönliche Engagement zur Hebung des Fremdenverkehrs, das vor Jahren so sympathisch wirkte, ist geschwunden.

Von einer Krise in der Stimmung des rumänischen Volkes zu sprechen, wäre übertrieben; daß sie aber einen Treffpunkt erreicht hat, ist nicht zu bezweifeln.

Verständige Rumänen wissen, wie dem Übel abzuhelfen wäre. „Es fehlt bei uns an der Konkurrenz“, sagen sie. Damit treffen sie den Nagel auf den Kopf. Wenn Ceausescu sich entschließen würde, gewissen Elementen der freien Marktwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen, wäre viel gewonnen.

Aber Ceausescu selber ist viel zu viel Kommunist mit Leib und Seele, um so einen (etwa an Ungarn inspirierten) Ausweg zu wählen. Außerdem wäre das politische Wagnis eines solchen Schrittes zu groß, denn die Sowjets würden darin eine Häresie erblicken, die eine direkte Einmischung nach sich ziehen könnte. Ceausescu weiß nur zu genau, daß seine innenpolitische Linientreue in Sachen Ideologie sein Faustpfand für die Generalabsolution ist, die Moskau ihm im Hinblick auf seine diversen außenpolitischen Eskapaden gewährt.

Rumänien bleibt im COMECON und bei den dort üblichen Methoden.

Da die rumänische Regierung keine Möglichkeiten sieht, durch rasch 'wirksame wirtschaftliche Maßnahmen die gesunkene Stimmung des Volkes zu heben, versucht Ceausescu wieder, die Fackel der nationalen Begeisterung anzuzünden. Dieses Leuchtfeuer soll bewirken, daß die Rumänen die Mißlichkeiten vergessen, aus denen sie sich nicht herausarbeiten können.

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