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Im Land des großen Schulmeisters

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Nachts dröhnten nebenan die Bagger, suchten Helfer von Armee und Rotkreuz nach Überlebenden, drang das infernalische Gemisch aus Staub und Chlor durch die Fensterritzen. Nachts aber zog auch der Conducator mit seiner Equipe von einer zur anderen Einsturzstelle, beflügelte die Mannschaft, bewies hellseherische Qualitäten und sorgte dafür, daß sein Name am nächsten Morgen in den Schlagzeilen der Zeitungen auch in den Katastrophenmeldungen über das Erdbeben noch den grüßten Raum einnahm.Das war im März des Jahres 1977. Nach den zwei großen Flutkatastrophen der vorangegangenen Jahre, in denen vor allem der Mureę und die Koket wiedereinmal Menschen, Tiere und Äcker verschlungen hatten, mußte die Welt ein drittesMal binnen kurzer Frist erfahren, daß „nichts gewaltiger ist als der Mensch“, so gewaltig und verheerend die Naturgewalten sein mögen. Die Spendenströme, Warensendungen und Schuldenstundungen verschafften dem devisenarmen und trotzdem mit Industrieprojekten weltweit imponierenden früheren Agrarland eine Atempause und die Planwirtschaft konnte einige der ärgsten Fehler korrigieren. Gewaltig aber, glaubt man der einheimischen Presse, war allemal der sozialistische Mensch und sein unermüdliches Vorbild, sein Schulmeister und Prediger, Genosse Ceauęescu.

Kaum hatte der Reisende im Spätherbst 1977 Rumänien betreten, mußte er eine Wiederauflage und nochmalige Verfeinerung dieses Bildes vom allgegenwärtigen, allwissenden und Zorn wie Gnade verteilenden Halbgott erleben. Das Erntefest im Kreis Arges gab dazu Gelegenheit. Stundenlang redete Ceauęescu, ließ sich in Sprechchören bejubeln und entschwebte mit dem prä- sidentiälem Hubschrauber wieder im wolkenlosen Himmel. Zurück blieben die Rumänen, denen ihre sozialistische Wirtschaft auch nicht den geringsten Anreiz Zu Leistung und Selbständigkeit bietet. Man muß sie bei der Arbeit beobachten, wie da Zeit, Material und Menschenkraft verschwendet werden. Man muß mit den Ingenieuren aus dem Westen, die Maschinen und Ausrüstungsgegenstände liefern, über den Leerlauf der Instanzen sprechen, muß die Zerstückelung der rumänischen Landschaft durch Industriekolosse mitanschauen, zu denen die Arbeiter von weither herangekarrt werden - und man muß die Hochbetagten gebückt über die Staatslatifundien trotten sehen, nachdem die jüngeren Jahrgänge ausnahmslos in die Fabriken abgewandert sind. Man muß aber auch, um die Fähigkeit dieses Volkes und seiner Nationalitäten richtig einzuschätzen, ihre Dörfer erleben, ihre Städte, die voll sind von Hinweisen auf tüchtige und erfolgreiche Generationen früherer Jahrhunderte. Man muß schließlich mit den Menschen dort feiern und ihre bei der Arbeit unverbrauchten Energien sich bei Tanz und Trunk entfalten sehen. Dann begreift man bei jedem neuen Besuch besser, welche Möglichkeiten zu wirtschaftlicher, seelischer und staatlicher Gesundung das System mit seiner dogmatischen Ideologie versäumt, nur um seinen Traum vom Sozialismus Wirklichkeit werden zu lassen.

Ceauęescu und seine Mannschaft tragen ein Janusgesicht. Draußen, auf internationalen Kongressen, vor der UNO, wo geredet wird und Applaus erwartet werden kann, sind die Rumänen eifrige Befürworter der internationalen Entspannung. Daheim aber wird mit dem eisernen Besen aus Stalins Zeiten gekehrt, ducken sich die Rumänen vor dem großen Schulmeister, dessen Aufpasser und Schergen jeden Hauch von Liberalismus, den man draußen fordert, im Innern ersticken. Die winzigen wirtschaftlichen Fortschritte tun ein übriges, um den

Rumänen, die längst nicht mehr von aller Welt abgeschnitten sind, ihr Armenhaus als Endstation selbst unter den kommunistischen Ländern erscheinen zu lassen. Preise und Löhne reden ihre eigene S’ptache.

Dem * Schwarz-Weiß-Kontrast, den die Partei ständig in Sachen Kapitalismus-Sozialismus predigt, entspricht haargenau die Wirklichkeit des Kontrastes, den jeder Rumäne erfährt, der mit Menschen aus westlichen Ländern zusammenkommt. Nur eben umgekehrt. Am meisten davon betroffen sind jene, die Verwandte oder Freunde außerhalb des Landes haben: die große Minderheit von fast drei Millionen Ungarn, deren Vettern es unter Kädär erheblich weiter brachten und die ehemals stolze Minorität der Siebenbürger und Banaler Deutschen. Die Ungarn waren bis 1919 ohnedies Herren im Lande und können sich schwer einfü- gen, die Deutschen verwalteten reiche Dörfer und stattliche Städte. Ihre Reichsfreiheit seit dem frühen Mittelalter war mit Loyalität gegen die jeweiligen Landesherren gepaart, bis hin zur Teilnahme an dem militärischen Abenteuer Rumäniens an der Seite Hitlers im Zweiten Weltkrieg. Die kommunistischen Herren aber bestraften sie nach 1945 mit Deportation und Zwangsenteignung. Die Zahl der Deutschen ging unaufhaltsam zurück, ein permanenter Exodus, ein enormer Geburtenrückgang sorgten gleicherweise dafür. Die Deutschen haben keine Zukunft in einem Staat, der die Tüchtigen mit den Trägen gleichsetzt und nur die Gesinnung belohnt. Die Häuser, die sie zurücklassen, müssen zu einem Bruchteil des Wertes an den Staat verkauft werden. Die Kirchen, die lutherische in Siebenbürgen und die katholische im Banat, an Entwicklung und Bewahrung des kulturellen, vor allem schulischen Erbes hervorragend beteiligt, sind in ihren öffentlichkeitsrechten empfindlich beschnitten und ständiger Aitfsicht unterworfen; sie sind nicht weniger unfrei als ihre große orthodoxe Schwester, die aber durch selbstgewählte Beschränkung auf liturgisches Handeln davon weniger betroffen ist. Noch zeigt sich lebendiger Glaube bei den Gottesdiensten, aber das weite Feld der Seelsorge unterliegt ständiger Selbstzensur.

Nur noch „Bürger“ oder „Genosse“ — so dürfen sich die Rumänen seit kurzem anreden. Wer in Partei und Staat (und beides kommt auf dasselbe heraus) aufsteigen will, muß sich anpassen und das Denken dem großen Schulmeister überlassen. Die Intelligenten, denen nicht nur am täglichen Brot liegt, streben daher ebenso aus dem Glashaus fort wie ihre deutschen Landsleute. Aber die Grenzen sind gut überwacht, selbst jene zu den sozialistischen Nachbarn hinüber.

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