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Kirche in Rumänien

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Der Besuch des Patriarchen Justinian Marina (21. bis 29. Juni 1968) fiel nicht nur in eine Periode lebendiger ökumenischer Bestrebungen. Er markierte ebenso für die rumänische Orthodoxie, ja für sämtliche Kirchentümer der Sozialistischen Republik Rumänien eine bemerkenswerte Kundgebung im Zeichen toleranter und loyaler Beziehungen zwischen Staat und Kirche Rumäniens. Drei Monate vor dem zwanzigsten Jubiläum des Patriarchats Sr. Seligkeit Justinian hat der Parteichef und Vorsitzende des Staatsrates, Nicolae Ceausescu, im Bukarester Palais des Staatsrates die führenden Kirchenvertreter Rumäniens empfangen. An diesem Tage, dem 29. Februar 1968, bezeugten Patriarch Justinian und die Vertreter der übrigen Kirchen und Kulte, daß sie „ihren vollen Beitrag zu den Bemühungen des ganzen Volkes für die Entwicklung und das Aufblühen des Vaterlandes leisten werden“. Mehr noch, Bischofsvikar Hermann Binder von der Evangelischen Landeskirche A. B., erklärte vor der Versammlung: So wie die heutige Regierung Rumäniens ein Regime des Volkes ist — so wollen wir die Kirche des Volkes sein.

Wer seit der Übernahme der politischen Führung in der Sozialistischen Republik Rumänien durch Nicolae Ceausescu die Entwicklung des Verhältnisses Staat-Kirche beobachtet, stellt fest: Die neue Führung wünscht, alle Faktoren und Kräfte des Landes in den Dienst gemeinsamer Selbstbehauptung und des entschlossenen Aufbaues zu stellen — auch die Kirchen als Träger der religiösen und nationalen Überlieferung. Die großzügige Wiederherstellung der südbuchenländischen und moldauischen Kirchen und Klöster trägt zweifellos nicht bloß musealen Charakter.

Als im August des Vorjahres die 450-Jahr-Feier des Klosters Curtea de Arghes begangen wurde, fehlte es nicht an der Gegenwart und den Glückwünschen hoher und höchster Funktionäre von Staat und Partei. Kurz darauf, im Oktober 1967, weilte der ökumenische Patriarch Athenagoras als Gast der Patriarchie in Bukarest. Erzbischof Kardinal Doktor Franz König stattete als erster katholischer Kirchenfürst seit dem Ende des zweiten Weltkrieges dem Patriarchen Justinian einen Besuch ab. Zweifellos setzten diese hohen Kirchenbesuche die Billigung solcher Begegnungen durch die Führung des rumänischen Staates voraus.

Gerade der Patriarch der rumänisch-orthodoxen Kirche der Sozialistischen Republik Rumänien darf nun in besonderer Weise als der Führer eines loyalen Kirchentums gegenüber einem Regime gelten, das, nach zwei Jahrzehnten des Machtantritts, aus Staatsräson die Tätigkeit der Kirche duldet, bejaht und sogar fördert: Das persönliche und menschliche Verhältnis eines Gheor- ghiu-Dej oder eines Emil Bodnaras zu einigen Kirchenmännern erleichterten dabei die kirchliche Anpassung an ungewohnte Verhältnisse: Seit 1950 entstanden z. B. für die Orthodoxie neben zwei Priesterseminaren in Bukarest und Hermannstadt- Sibiu sechs weitere geistliche Schulen. 1952 folgte eine Studienverordnung und 1953 war das Stichjahr für eine große orthodoxe Klosterreform, die unter anderem mit der Gründung von klösterlichen Handwerksgenossenschaften dem aktivistischen Stil der neuen Gesellschaftsordnung entgegenkommt. Die Regelung des Kirchenvermögens, die Errichtung von Pensionsklassen, eine verbesserte soziale Einstufung der Priester und Ordensgeistlichen — all das sieht sehr nach Verwaltung, nach Organi sation, nach wirtschaftlicher und sozialer Remedur aus. Tatsächlich aber schaffen all diese Einzelmaßnahmen erst die Voraussetzung für das geistliche Leben, die Frömmigkeit, den Gemeindedienst der Kirche.

Der katholische Episkopat Rumäniens wiederum hat lange Jahre nach dem Tiefpunkt von 1948 Schwierigkeiten zu bewältigen gehabt, die der katholischen Kirche und anderen Ostkirchen die Bezeichnung einer „Kirche des Schweigens“ eintrugen. Seit der Jahresmitte 1967 ist nun auch für den Katholizismus Rumäniens eine bedeutsame Entspannung und Normalisierung ihres Verhältnisses zur Staatsführung zu verzeichnen: Nicolae Ceausescu spendete für die Wiederherstellung der katholischen Kathedrale in Alba Julia-Karlsburg einen hohen Beitrag. Seither kann der Erzbischof Äron Märton sein Hirtenamt ungeschmälert wahrnehmen. Im April und Mai 1968 führte er nach vielen Jahren wieder eine Kirchenvisitation durch und weihte in der Karlsburger römisch-katholischen Kathedrale im Mai dieses Jahres erstmals fünfzehn junge Theologen zu Priestern.

Es besteht kein Zweifel, daß eine atheistische Grundhaltung für die KP-Führung Rumäniens bestimmend ist. Nicht minder aber erweist sich, daß politische Persönlichkeiten, wie Ceausescu, Maurer oder Bodnaras, der Kirche und den Kirchen Möglichkeiten zu einer Zusammenarbeit erschließen. Es ist ein wertvoller Beitrag der Kirchenleitungen und jedes einzelnen Christen im Stande der Nächstenliebe, der die politische Führung des Landes Rumänien zur Toleranz, ja zur Anerkennung bestimmter kirchlicher Bestrebungen im Dienste des gemeinsamen Vaterlandes veranlaßt.

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