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Keine Versöhnung ohne Gerechtigkeit

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Laszlo Tökes war im Jahre 1989 als Pfarrer in Timisoara/Te-mesvär, dem Ausgangspunkt der Revolution, maßgeblich an den politischen Umbrüchen beteiligt. Gerade während dieser Tage erlebte er eine große „Solidarität und Versöhnung“ zwischen den einzelnen Religionsgemeinschaften, einen „Zusammenschluß von Menschen verschiedener Nationalität und Konfession durch den Glauben gegen die atheistische Diktatur“. Doch die damalige Umwälzung führte lediglich zu einem Machtwechsel mit minimalen demokratischen Zugeständnissen und Veränderungen. Erst die Wahlen im Herbst des vergangenen Jahres und der Sieg der rumänischen demokratischen Opposition gaben Anlaß zur Hoffnung auf einen radikalen Systemwechsel, einer Demokratisierung des Landes und einer verstärkten Integration nach Europa. Das kommunistische Erbe legt dem neuen Regierungbündnis gewaltige Stolpersteine in den Weg, drängende und unpopuläre Maßnahmen stehen an: der Kampf gegen Korruption und gegen starke retrokommunistische und extrem nationalistische Kräfte, gegen die wirtschaftliche Misere mit steigender Inflation und der Explosion des Staatshaushaltes. Zudem blieb die Frage der Minderheiten auch in den letzten sieben Jahren ungelöst. Die kommunistischen Politiker haben durch nationalistische Parolen die guten Beziehungen zwischen den Nationalitäten gezielt zerstört. Bischof Tökes, selbst ungarischer Abstammung, spricht in diesem Zusammenhang von einer starken „antiungarischen Propaganda“, die eine Spaltung der Gesellschaft herbeiführte. An die Stelle des multikulturellen Charakters trete nun der Nationalismus. Durch Assimilation, geförderte Auswanderungspolitik oder eine erzwungene Ansiedlung von Rumänen in deutsch- und ungarischsprachigen Gebieten, also vor allem in Siebenbürgen, hat sich der Anteil der nichtrumänischen Bevölkerung seit dem Jahr 1920 von 40 auf 20 Prozent verringert.

Läszlö Tökes fordert für die Volksgruppen und ihre Kirchen eine Autonomieregelung nach dem Vorbild Südtirols. Dem Vorwurf des Separatismus begegnet er mit der Antwort, daß es sich dabei nicht um ein Losreißen von Rumänien handle. „Die Frage der Minderheiten ist für den ganzen Staat wichtig.“

In enger Verzahnung mit der nationalen Frage steht die kirchliche Situation, „die ethnischen, gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse spiegeln sich im Leben und in den Beziehungen der Kirchen in mannigfaltigen Formen wider“ erläutert der Bischof.

Etwa 90 Prozent der Bumänen gehören der Rumänisch-orthodoxen Kirche an, die Ungarn oder Deutschen bekennen sich zum evangelischen oder katholischen Glauben. „Mit wenigen Ausnahmen fallen die Nationalitätengrenzen mit dem religiösen Grenzen zusammen.“ So geraten die ethnischen Minderheiten durch die nationale-konfessionelle Verflechtung in eine doppelt benachteiligte Lage.

„In solchen Zeiten, als es im öffentlichen, Leben nicht erlaubt oder nicht ratsam war, ungarisch zu sprechen, als man unsere Schulen zusperrte und uns aller anderen Einrichtungen beraubte blieb die Kirche unser letzter Zufluchtsort, die Heilige Mutter Kirche blieb unsere ,starke

Burg'.“ Die nationalen Kirchen wurden so zu Inseln, wo auf dem Gebiet des Glaubens als auch auf sprachlich-kulturellem Gebiet Widerstand geleistet wurde.

Seit 1989 erfährt die Rumänisch-orthodoxe Kirche von staatlicher Seite eine gezielte Aufwertung. Diese Bevorzugung führt nach den Worten des Bischofs zu Spannungen in den ökumenischen Beziehungen, die bereits durch die von oben verordnete „Zwangsökumene“ während des kommunistischen Regimes vorbelastet waren. Während die Rumänisch-orthodoxe Kirche Schulen, Gebäude und Besitzungen zurückbekommt und durch „Milliardenbeträge“ von der Regierung unterstützt wird, warten die anderen Kirchen bis jetzt vergeblich auf Entschädigungen.

So wohnt der Bischof noch immer als Untermieter in einem Haus, das der Reformierten Kirche durch die kommunistische Regierung weggenommen wurde. „Die fast 2000 enteigneten Kirchengebäude der Rumänischen griechisch-katholischen Kirche blieben im orthodoxen Eigentum.“ Die Ökumene finde bis jetzt vor allem auf protokollarischer Ebene statt, die Beziehungen bleiben oberflächlich. Nur zwischen den einzelnen Gemeinden an der Basis gebe es eine gute Zusammenarbeit über die konfessionellen Grenzen hinaus.

Bischof Tökes ist überzeugt, daß für deh Weg der Aussöhnung eine Aufarbeitung der Vergangenheit, des geschehenen Unrechtes unabdingbar ist. „Es kann keine wirkliche Versöhnung ohne Gerechtigkeit geben. Ob es den Menschen nun bewußt ist oder nicht, man kann keinen Fortschritt erzielen, wenn man sich nicht mit der Vergangenheit konfrontiert. Die nicht anerkannten, die vergessenen, die verschwiegenen Ungerechtigkeiten belasten das Bewußtsein der Gesellschaft. Es ist keine Frage der Präferenzen, sich mit den Ungerechtigkeiten zu befassen, sondern eine Notwendigkeit.“

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