6964872-1985_10_06.jpg
Digital In Arbeit

Ceaucescus „Salami-Taktik”

Werbung
Werbung
Werbung

Ende dieses Monats findet der Kongreß der ungarischen KP statt. Die bereits erlassenen Richtlinien für den Parteikongreß enthalten das erste Mal eine Stellungnahme zur Frage der magyarischen Minderheiten in den Nachbarländern Ungarns. In diesen Richtlinien heißt es: „Wir halten es für einen natürlichen Anspruch, daß auch in den Nachbarländern die Staatsbürger ungarischer Nationalität ihre Muttersprache pflegen und ihre Nationalkultur entwickeln können.”

In vorsichtigem Ton gehalten, kommt in diesen Richtlinien doch deutlich zum Ausdruck, daß die ungarische KP mit der Lage der

Landsleute in den Nachbarstaaten unzufrieden ist.

Wie bekannt, fordern breite Schichten des ungarischen Volkes, insbesondere die Intellektuellen, seit vielen Jahren in verstärktem Maße, daß sich ihre Regierung vor allem für die Interessen der in Rumänien lebenden Ungarn einsetzt. Dort lebt vermutlich ein Sechstel des gesamten Ungarntums.

Offiziellen Angaben Bukarests zufolge gibt es etwa 1,7 Millionen Magyaren in Rumänien. Das Helsinki-Komitee des amerikanischen Kongresses wiederum schätzte ihre Zahl 1977 auf 2 bis 2,5 Millionen. Damit bilden die Ungarn die größte nationale Minderheit in Europa (ohne Einbeziehung der Sowjetunion).

Bereits vor 16 Jahren wurde von Bukarest die „Autonome Magyarische Region” abgeschafft, wo die Masse der ungarischen Minderheiten lebte. Seit damals wurden die Rechte dieser Minderheit Schritt für Schritt beschnitten, ihr kulturelles und nationales Dasein in Korsette gezwängt. Einer dieser Schritte war die Abschaffung der ungarischen Universität in Klausenburg (ungarisch: Kolzsvär, rumänisch: Nepoka-Cluj).

„Rumänische Salamitaktik”, nennen denn auch Kritiker die Politik Ceaucescus der ungarischen, aber auch der deutschen Minderheit gegenüber.

Seit vielen Jahren hat sich das Verhältnis zwischen den zwei Nachbarländern wegen dieser Minderheiten-Frage zunehmend verschlechtert. Und gerade in den letzten Monaten kam es deswegen in ungarischen und rumänischen Zeitschriften zu heftigen Duellen.

Begonnen hatte die jüngste Kontroverse, nachdem in der ungarischen „Kritika” ein kritischer Artikel über die Lage in Siebenbürgen erschienen war. Das nahm die rumänische Agentur „Ager-press” zum Anlaß, um gegen den „Versuch einer Wiederbelebung einer revisionistischen und revanchistischen Politik” in Budapest zu wettern und darauf hinzuweisen, daß die „falschen und reaktionären Thesen” von „Kritika” „Spannungen zwischen den beiden Nachbarländern” hervorrufen könnten.

Die rumänische Polemik blieb nicht unbeantwortet: Das Budapester Blatt „Magyar Nemzet” unterstrich die „Wahrung der nationalen und kulturellen Werte als Grundrecht der Minderheiten” und warnte deutlich in Richtung Bukarest vor einer „gewaltsamen Assimilierung”.

Bereits Ende Dezember vorigen

Jahres schloß Budapest das rumänische Konsulat in der ostungarischen Stadt Debrecen. Dies wurde damit begründet, daß das Konsulat zu wenige Aufgaben zu erfüllen gehabt hätte. Tatsächlich gibt es in Ungarn vergleichsmäßig wenig Rumänen (etwa 25.000) und der Großteil von ihnen lebt weit von Debrecen entfernt in Südost-Ungarn. Außerdem sind wegen der angespannten politischen Lage die wirtschaftlichen Kontakte zwischen beiden Ländern sehr bescheiden.

Bukarest lenkt ab

Das war vorauszusehen — schon als 1977 die Errichtung des Konsulates während eines Treffens der Staatschefs Kadar und Ceaucescu vereinbart worden war. Nun befürchten die Ungarn, daß die Schließung des Debrecen-Konsu-lats zum Vorwand benutzt werden könnte, auch das ungarische Konsulat Kolzsvär/Klausenburg schließen zu lassen. Für die rumänische Politik ist charakteristisch, daß vom Zuständigkeitsbereich dieses ungarischen Konsulats, das in Ostsiebenbürgen liegende Szeklerland, wo mehr als ein Drittel Ungarn leben, herausgenommen wurde.

Eine andere Vereinbarung des Treffens Kadar-Ceaucescu von 1977 wurde gleich gar nie in die Tat umgesetzt: Der Reiseverkehr zwischen Rumänien und Ungarn war nie reibungslos möglich, weil die rumänischen Behörden immer wieder Schwierigkeiten machten.

Gleichfalls im Dezember vorigen Jahres wurde in Ungarn der 100. Geburtstag des ehemaligen rumänischen Ministerpräsidenten Petru Groza gewürdigt. Während seiner Regierungszeit von 1945 —1952 war die Lage der ungarischen Minderheit in Rumänien noch relativ günstig. Was eine Persönlichkeit der ungarischen Minderheit in Siebenbürgen zum Kommentar veranlaßte: „Wir leben heute auf den Trümmern jener Rechte, die uns während Gro-zas Amtszeit gewährt wurden.”

Ceaucescu aber behauptete auf dem Kongreß der Räte der ungarischen und deutschen Werktätigen in Rumänien — die weder unabhängig sind noch politisches Gewicht haben —, daß die Frage der Nationalitäten in Rumänien gelöst sei. Gleichzeitig richtete er heftige Angriffe gegen Länder, die sich in die inneren Angelegenheiten seines Landes einmischen würden, womit er offensichtlich in erster Linie Ungarn meinte.

Das Ceaucescu-Regime wurde wegen seiner rücksichtslosen Politik Andersdenkenden und Minderheiten gegenüber in der Weltpresse bereits mehrfach hart kritisiert. Auch einige außenpolitische Rückschläge mußte Bukarest einstecken, etwa die Absage des Besuchs des französischen Staatspräsidenten Mitterrand. Aber mit außenpolitischen Alleingängen konnte Ceaucescu die außer-kommunistische Welt immer wieder von der tristen innenpolitischen Situation Rumäniens ablenken.

Aus bisherigen Erfahrungen aber läßt sich schließen: So lange das Ceaucescu-Regime keine ernsthaften und nachhaltigen Konsequenzen aus seiner brutalen Menschenrechts- und Minderheitspolitik zu spüren bekommt, ist nicht damit zu rechnen, daß sich für die unterdrückten Bürger Rumäniens etwas ändert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung