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Revolution und Demokratie

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Ob Mihajlov mit dieser Deutung der Ereignisse recht hat, ist zumindest sehr fraglich. Nicht alle seine politischen Äußerungen zeugen von Wirklichkeitssinn und von einem Instinkt für das politisch Mögliche. Seine Prophezeiung, Djilas werde Nachfolger Titos, erweckt bei Kennern der jugoslawischen Verhältnisse ebensoviel Skepsis wie seine Behauptung, Jugoslawien befinde sich in einer Periode der Restalinisie- rung. Auch gibt es Ereignisse, die Mihajlov recht kategorisch widersprechen: Im selben Augenblicke, da Mihajlov einen Machtzuwachs der Partei feststellt, hat die Partei zum ersten Male begonnen, in aller Öffentlichkeit von der Notwendigkeit zu reden, ihre Macht zu begrenzen.

Mijalko Todorovic, Mitglied des Politbüros und Vorsitzender der Kommission des Zentralkomitees, die sich mit der Parteireorganisation befaßt, erklärte Mitte September vor dem serbischen ZK, die Partei müsse ihre Befehlsrolle aufgeben und eine Lenkungs- und Erziehungsrolle übernehmen. Tags zuvor hatte man im serbischen ZK einen Bericht von Dobrivoje Radosavljevic diskutiert, in dem dargelegt wird, auf welche Weise die Partei sich aus einer be fehlenden in eine erziehende Instanz verwandeln solle. Es heißt darin, in der Vergangenheit seien zuviele „vorgeschriebene Wahrheiten“ von oben nach unten durchgegeben worden. Die Partei dürfe jedoch nicht weiterhin die Illusion nähren, ihre Macht auf Autorität und Disziplin stützen zu können. Und wörtlich heißt es weiter:

„Die Frage ist gestellt: Wie kann eine revolutionäre Partei demokratisch werden; wie kann sie eine revolutionäre Politik unter den Bedingungen einer direkten Demokratie und einer Selbstverwaltung betreiben?“ Parteimitglieder, „die seit langem daran gewöhnt sind, Direktiven ,von oben“ zu erhalten“ müßten nun im Aussprechen ihrer Meinungen und Wünsche unabhängiger werden. Etwas vom allerwichtigsten jedoch sei, kleine Gruppen innerhalb der Partei daran zu hindern, Entscheidungen zu treffen ohne irgend jemanden zu konsultieren. „Die Arbeiterschaft kann nicht erlauben, daß unter den Bedingungen der direkten Demokratie ihr politisches Schicksal durch eine kleine Gruppe von Leuten entschieden wird...“ Ja, in dem Bericht wird sogar unverblümt eine Reduktion der Macht des Politbüros gefordert, das in eine Körperschaft verwandelt werden müsse, die im wesentlichen nur die Entscheidungen des Zentralkomitees ausführe.

Das sind wahrhaft revolutionäre Worte, und zwar um so mehr, als sie von prominenten Parteimitgliedern auf einem regionalen ZK-Plenum ausgesprochen und erörtert wurden.

Das ist nicht nur keine Restalinisie- rung, sondern hier kündet sich sogar so etwas wie eine „Entleninisierung“ an. (Da es ja Lenin war, der den Kommunismus mit der Hypothek einer diktatorisch herrschenden Partei belastet hat.)

Aufregende Vorschläge

Aber damit nicht genug, schlägt der Bericht sogar noch eine organisatorische Änderung vor, mit deren Hilfe diese „Entmachtung“ des Politbüros institutionalisiert werden soll: Erstens soll das Politbüro nur aus einer Handvoll Personen bestehen, die sich ausschließlich mit Parteiangelegenheiten befassen und keinerlei Staatsfunktionen ausüben; zweitens soll eine neue Körperschaft der Partei gebildet werden, nämlich ein „Präsidium des Zentralkomitees“, dessen Funktion es offenbar wäre, dafür zu sorgen und darüber zu wachen, daß das — bisher allmächtige — Politbüro auch tatsächlich durchführt, was ihm das Zentralkomitee aufträgt. Wie ernst diese Vorschläge zu nehmen sind, geht allein daraus hervor, daß Präsident Tito in einer Rede bereits von der Notwendigkeit gesprochen hat, ein solches „Präsidium des Zentralkomitees“ zu bilden. Man könne ohne eine solche Körperschaft nicht länger auskommen.

Außerdem warf der Ministerpräsident von Serbien, Dragi Stamen- kovic, noch einen weiteren revolutionären Vorschlag in die Diskussion über die Parteireform. Er meinte, die verschiedenen Körperschaften der Partei würden so lang kein echtes Verantwortungsbewußtsein entwickeln, als nicht auf allen Ebenen der Partei die Parteifunktionäre „durch geheime Wahl, in völliger Freiheit“ gewählt würden.

Nun werden alle diese Vorschläge vorerst bloß diskutiert, und es sind noch keine der geforderten Reformmaßnahmen beschlossen worden. Aber allein schon die Tatsache, daß die Partei selbst derartige Reformvorschläge entwirft und daß die Tageszeitungen in aller Offenheit darüber berichten, scheint den Prophezeiungen von Mihajlov entschieden zu widersprechen. Gewiß ist die von Djilas und Mihajlov gewünschte Zulassung einer Oppositionspartei noch außer Diskussion. Aber mit solchen maximalistischen Forderungen werden höchstens die Wege zu möglichen Reformen verbaut, und solange man nicht eines schlechteren belehrt wird, ist es einem auch nicht möglich, hinter Tito einen wiederauferstandenen Stalin sich emporrecken zu sehen.

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