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Polens KP: ein todkranker ,Fürst' darf nicht abdanken

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Die polnische „Vereinigte Arbeiterpartei", wie sich die Kommunisten im Land an der Weichsel nennen, ist — wie so vieles in diesem Staat — ein Unikum. Schon dreimal in ihrer Geschichte hat sie vor der Realität kapitulieren müssen: 1956, 1970 und 1980. . Allein diese Tatsache zeichnet die polnische Partei vor den anderen kommunistischen Parteien Osteuropas aus und bestätigt Stalins Vermutung, der nach der Einverleibung Polens in seinen Machtbereich nach 1945 Schwierigkeiten voraussah und meinte, den Polen den Kommunismus zu bringen, heiße, einen Eber zu satteln.

Der moderne polnische „Fürst", so schreibt der dissidente Intellektuelle Zagajewski, ist die KP. Aber dieser Fürst ist kränklich. Das Volk, das er regiert, weist jedoch einige Vitalität auf und macht dem Fürsten ein über das andere Mal Kummer.

Zur Stunde, da diese Zeilen geschrieben werden, ist aus dem kränklichen Fürsten anscheinend ein dahinsiechender, kaum mehr Lebenszeichen von sich gebender Kadaver ohne Kraft geworden.

Als der Regierungschef General Jaruzelski am 13. Dezember 1981 das Kriegsrecht über das Land an der Weichsel verhängte und seine Ansprache hielt, da erwähnte er in seinen fast 24 Minuten die Partei nebenbei. Sie war ihm insgesamt nicht eine halbe Minute wert. Eine Partei, deren Erster Sekretär Jaruzelski immerhin ist

Auch ideologisch hat die Partei unter Jaruzelski und dem Kriegsrecht in den Anfangsphasen so gut wie nichts zu vermelden gehabt — die marxistisch-leninistische Phraseologie, lange Zeit ein überbordender, aber wesenloser

Schnörkel jeglicher Rede an das Volk, war bei Jaruzelski dem patriotisch-nationalistischen Ton gewichen.

Als „Soldat und Regierungschef" forderte er die einzelnen Parteimitglieder, nicht aber etwa ihre Führungsorgane auf, das Prestige der Partei zu wahren und sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen.

Erst eine Woche nach der Ausrufung des Kriegsrechtes begannen die Militärherrscher in Polen und die von ihnen gelenkten Medien die Partei überhaupt zu erwähnen. Der nicht eben bekannte Vorsitzende der Kontrollkommission der Partei, Jerzy Urbanski, durfte in einem Interview sagen, die Partei gehe gegenwärtig „durch eine besondere Prüfung ihrer ideologischen Uberzeugungskraft, Verantwortlichkeit und Zivil-Courage."

Politbüro und Zentralkomitee hielten keine Sitzung ab, die Mitglieder dieser Körperschaften waren so ausgesperrt von jeder Öffentlichkeit, daß in Polen und in den westlichen Medien mit Recht das Gerücht auftauchte, ZK-Sekretär Stefan Olszowski sei „verschwunden". (Dieses Gerücht führte prompt dazu, daß Olszowski mit osteuropäischen Journalisten zusammentraf und so einen Beweis seiner Existenz lieferte!)

Knapp vor Weihnachten begannen der polnische Rundfunk und die Parteizeitung „Trybuna Lu-du" (die in den Anfangstagen der Militärherrschaft selbst von der sowjetischen Massenzeitung bloß als „Warschauer Zeitung" zitiert wurde!) allmählich mit Berichten über die tatsächlich oder angeblich einsetzende Parteiarbeit.

„Diese nimmt unter den Bedingungen des Kriegsrechtes an Bedeutung zu, wird allerdings auch schwieriger", hieß es etwa. Oder: „Die Parteimitglieder interpretieren ihre grundlegenden Aufgaben in diesen Tagen richtig, wenn sie alle Bemühungen darauf richten, den Staat vor dem Zusammenbruch zu retten und die Lage auf dem wirtschaftlichen Gebiet normalisieren."

Noch deutlicher wurde die bloße Hilfs- und Unterstützungsfunktion der KP für die Militärs in dem ebenfalls veröffentlichten Satz von „Trybuna Ludu":

„Hauptaufgabe der Mitglieder ist es, die Gründe für die Einführung des Kriegsrechtes darzulegen, weil die ideologischen Gegner ihre gegen den Sozialismus gerichteten Anstrengungen nicht aufgegeben hoben."

Obwohl diese Aktivierung der Partei von der Basis her „nicht ohne Konflikte verlief", wie die CSSR-Medien zu berichten wußten, gelang es offenbar, doch eine Garde parteitreuer Arbeiter aufzustellen, „die der Armee und Miliz bei der Aufrechterhaltung von

Ruhe und Ordnung behilflich sind."

Typisch, daß diese Arbeiterpatrouillen sich mit der Armbinde in den rotweißen Nationalfarben und nicht etwa mit der roten Binde der Partei kennzeichneten, so wie ja auch Jaruzelski über dem Gebäude des Zentralkomitees in der Nowy-Swiat-Straße die Parteifahne einholen und die Nationalflagge hatte hissen lassen.

Erst kurz vor Weihnachten tagten dann auch das ZK und zwei Tage später das Politbüro, ohne daß freilich auch nur ein Ton über den Inhalt der Beratungen nach außen drang. Tagte da nur noch eine Hülle ohne inneres Leben?

Drei Parteichefs, ein „Massaker" unter ehemaligen Spitzenfunktionären, die nun Haft und Verurteilung entgegengehen, nahezu total erneuerte Führungsgremien, ein dramatischer Mitgliederverlust von fast 400.000 in eineinhalb Jahren, keine politische Perspektivplanung, keine — von Olszowski abgesehen—politischen Talente. Welche Partei hält das aus?

Doch der „kränkliche Fürst", die polnische KP, muß regieren, ist durch die Geopolitik und den Willen Moskaus zur Herrschaft verpflichtet—auch ohne geringste Legitimation. Der „Fürst" darf nicht zurücktreten, nicht abdanken, auch nicht gegenüber den Militärs. Der „Fürst" wird, ja muß wiederkommen, in ein paar Monaten, in ein paar Jahren. Und was dann?

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