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Endlich alles normal?

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Wir haben die dramatische Bewährungsprobe bestanden, der unser Land ausgesetzt war. Der Entwicklungsrhythmus im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben wurde wiederhergestellt. Polen wurde wieder ein festes Glied der sozialistischen Staatengemeinschaft.“

Wer diese martialisch knappen Sätze aus den „Thesen des ZK zum 10. Parteitag“ liest, sieht und hört gewissermaßen Parteichef

Jaruzelski, mit salutierender Hand an der Generalsmütze, militärische Vollzugsmeldung erstatten.

Wenn auch die polnischen Massenmedien und der Propagandaapparat nun schon seit Wochen unermüdlich hinaustrompeten, der Parteitag sei „das wichtigste politische Ereignis 1986 in Polen“, so bleibt es dennoch eine Tatsache, daß die Kommunistische Partei Polens noch immer nicht völlig Tritt gefaßt hat. Die Prioritäten der Außen-, Innen- und Wirtschaftspolitik werden noch immer von jener kleinen Gruppe von kommunistischen Offizieren und Beratern rund um den General festgelegt — und keineswegs vom Politbüro, geschweige denn vom Zentralkomitee.

Daß Jaruzelski mit dem Zustand der Partei keineswegs zufrieden ist, hat er in der Vorberei-

tungsphase des Parteitages sehr deutlich gesagt: „Die Zeit der Richtungskämpfe muß endlich vorbei sein. Niemand darf die wiedererlangte Einheit untergraben. Eine Wiederbelebung der bereits gegenstandslosen Streitigkeiten und die Zersplitterung in Flügel wäre sehr schädlich und würde nur unseren Feinden nüt-zen.

Jaruzelski weiß, daß die noch immer existierende „Militarisierung des Kommunismus“, wie er sie als Experiment gewagt hat, keine Dauerlösung sein kann. Er hat daher im Vorfeld des Parteitages eine Reihe von Woiwodschaftsparteisekretären ausgewechselt und mit Männern seiner Wahl neu besetzt. Er hat endlich auch Warschau einen zivilen Bürgermeister zurückgegeben. Das Signal ist also da und wird sich am Parteitag verstärken: Die Partei muß zurück in ihre Verantwortung.

Das heißt aber vor allem, folgt man den ZK-Thesen und dem Parteiprogrammentwurf, neue Anstrengungen, damit die Partei die Kontrolle über „alle Aspekte des öffentlichen Lebens“ erobert und beibehält.

Das bedeutet, wörtlich, „Indok-

trination der Jugend und der Werktätigen“, heißt „fortgesetzten Kampf gegen die Feinde des Sozialismus“, heißt in der „Sphäre der Kultur eine Verteidigung der sozialistischen Werte.“

Implizit ist damit auch eine fortbestehende Frontstellung zur katholischen Kirche im Land an der Weichsel enthalten, zu der nach wie vor von seiten der Macht ein ambivalentes Verhältnis besteht. Jaruzelski, seine Berater und auch die Partei wissen, daß sie auf eine „konstruktive Entwicklung der Beziehungen zwischen Staat und Kirche“ angewiesen sind (wie es der Parteiprogramm-Entwurf festhält); gleichzeitig „wird sich die Partei jedoch sämtlichen Verletzungen der Gesetzlichkeit in der Kirchenpolitik und dem kämpferischen Klerikalismus widersetzen.“

Die Untergrundstruktur der heute illegalen Gewerkschaftsbewegung „Solidarität“ ist wenige Wochen vor dem Parteitag sicherlich durch die Verhaftung von Zbigniew Bujak entscheidend ge-

schwächt worden, sofern sie überhaupt noch bedeutend war und ist.

Denn der „harte Kern“ der politischen Opposition im Untergrund dürfte kaum mehr als 30 Leute zählen, das Netz aktiver Sympathisanten ist unzweifelhaft dünner geworden und wird heute auf 5000 bis 30.000 Personen geschätzt. Die Ziffer erhöht sich bedeutend, wenn man die nach wie vor blühende Üntergrund-presse in Polen (rund 210 regelmäßig erscheinende Publikationen) samt Autoren, Druckern und Verteuern zur Opposition hinzurechnen will.

Insgesamt läßt sich aber sagen, daß der Rückhalt der Opposition und des Untergrundes im Volke meßbar schwächer geworden ist. Flucht in die „innere Emigration“, Verdrossenheit und Resignation bestimmen in einem viel stärkeren Ausmaß das gesellschaftliche Klima in Polen, als es dem Untergrund und dem Regime recht sein kann.

Politisch sind also die Aussichten eher düster, kein Kompromiß, keine wirkliche Lösung in Sicht. Und wirtschaftlich? Laut Fünfjahresplan-Entwurf will man 1990 den Stand von 1979 erreichen...

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