7023912-1989_04_01.jpg
Digital In Arbeit

Solidarność im Warteraum

Werbung
Werbung
Werbung

Die Akteure sind die gleichen. Wojciech Jaruzelski, Mieczyslaw Rakowski, Lech Walesa. Sie reden wieder miteinander. Wie 1981, sagen die Polen. Doch die alten Männer beteuern: Nein, es hat sich viel geändert.

In der Tat. Der General zieht seine Uniform nur noch selten an, und seine dunklen Brillengläser tauschte er gegen gewöhnliche aus. Der Ministerpräsident distanziert sich nun davon, daß er vor acht Jahren eine treibende

Kraft zur Zerschlagung der Solidarnošc und ein Befürworter des Kriegsrechtes war. Und der Arbeiterführer wirkt besonnener, er geht nicht mehr „aufs Ganze“.

Obwohl die drei schon seit Monaten miteinander diskutieren, streiten und sich hinter verschlossenen Türen auch hin und wieder versöhnen, erklären sie, als sei es bahnbrechend: „Jetzt werden wir uns am runden Tisch zusammenfinden“ (FURCHE 36 und 38/ 1988).

Wann? fragt die Bevölkerung. Denn sie ist es leid, immer wieder die gleichen großen Worte von „Reformnotwendigkeit“ und ,JCrisenbewältigung durch mehr Pluralismus“ zu hören.

Der Weg sei frei, beteuert der Nobelpreisträger und nimmt nicht weiter Bezug auf die Sitzung des Zentralkomitees von vergangener Woche. Der General und sein Premier klopfen sich selbst auf die Schulter. Ihnen sei es zu verdanken, daß auf der Plenartagung die Mehrheit der Funktionäre der „zweijährigen Probezeit eines gewerkschaftlichen Pluralismus“ zustimmte.

Zwei Jahre warten, erneutes Warten, heißt dies im Klartext. Wenn sich die „Solidarität“ artig benimmt, dann darf sie weiter existieren, sich zum 3. Mai 1991 — dem 200. Jahrestag der Annahme der ersten bürgerlichen Verfassung — neu konstituieren. So der Beschluß des ZK vom Donnerstag vergangener Woche.

Warschau wirkt dieser Tage wie immer. Halb Dunst, halb Smog liegt über der Metropole, und die Menschen stehen - wie seit Jahren — Schlange. Einkaufen ist hier harte, aufreibende und langweilige Arbeit. Und nur wer über genaue Kenntnisse und ein gutes Stehvermögen verfügt, der kommt mit Leckereien und Mangelprodukten nach Hause.

Doch die Wartenden erinnern sich an die letzten schillernden Farbtupfer des Alltagslebens. Jeder weiß, wann es war, als die Geschäfte voll und das kulturelle Leben vielfältig wirkten: Im Soli-darnošč-Sommer 1980.

Der Besucher aber merkt dies nicht gleich. Merkt nicht, wovon die Polen träimien. Das Klischee vom bleichen, leidenden Polen, vom frommen Marienverehrer hat sich in seinem Kopf festgesetzt. Und dann liest er dieser Tage erneut von einem bestialischen Priestermord.

Pfarrer Stefan Niedzielak, ein unbequemer Geistlicher, ein Kämpfer für die Opfer des Stalinismus, ist am Samstag von einem Kirchendiener in seiner Warschauer Wohnung in einer Blutlache liegend gefunden worden, schreibt das ZK-Organ „Trybuna ludu“.

Wiederholt sich hier eine bekannte Geschichte? Wird das Parteiblatt in den nächsten Tagen eingestehen, Pfarrer Niedzielak sei ein weiteres Opfer des Staatssicherheitsdienstes wie im Oktober 1984 Kaplan Jerzy Popie-luszko geworden?

Nein, einen solchen Zusammenhang darf es offiziell nicht geben. Der runde Tisch wäre passe, die soziale Explosion vorprogrammiert. Die Polen waren in ihrer Geschichte einmal für ihre Genußsucht, für ihren Leichtsinn verschrieen. Sie galten als mimte-res Volk, das von einem Fest zum anderen taumelte - und dabei nie vergaß, an die Revolution zu denken.

Dieser Wesenszug, gemischt mit einer fast schon angeborenen Abneigung gegen (Fremd-)Herr-schaft, paart sich auch jetzt wieder zu einem gefährlichem Gemisch. „Was soll diese ganze Parteidiskussion der letzten Woche?“ fragen einfache Menschen auf der Straße. „Da berät das ZK, ob etwas existieren darf, was es schon längst gibt.“

Gefährliches Gemisch

Tatsächlich, im Bewußtsein der Menschen lebte Solidarnošc seit 1981 weiter. Und trotz des Verbotes gestanden die Kommunisten der Gewerkschaft ihren Teil an der gesellschaftlichen Realität zu. Seit zwei Jahren gar hindert kein Polizeiapparat mehr die oppositionellen Politaktivisten, ihre Rolle aus dem Untergrund heraus unbescholten zu spielen.

Die Schattenwirtschaft wuchert in Polen. Die Schwarzarbeit läßt jede moderne Wirtschaftsplanung wie im mafiabeherrschten Süden Italiens zu einer Karikatur verkommen. Und die Schattengewerkschaft ufert aus; in Himderte Grüppchen zersplittert, verbindet sie Realitätsferne wie extremistische Gedanken ebenso wie realistische Ideen zu einem Explosivgemisch, mit dem sich keine soziale Gemeinschaft auf lange Sicht entwickeln kann.

Das wissen die drei alten Männer Walesa, Rakowski und Jaruzelski. Uberzeugende Taten - vor allem mit sichtbaren sozialen Auswirkungen —, das stellt ihnen die Bevölkerung als Aufgabe.

Ob die drei ungleichen Partner das bewältigen werden?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung