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An den Round geschrieben

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HOHER DEH BROTKORB! Das jahrelange Tauziehen um den Brolpreis wurde nun endlich beendet. Der Brotpreis, bei gesunder Wirtschaftslage ein Barometer für die Lohn- Preis-Entwicklung, wird nicht unbeträchtlich erhöht, der Semmelpreis dagegen — welche Ironie — ist noch umstritten. Ob, wie die Industriellenvereinigung meint, die auf die Erhöhung folgenden Demonstrationen von langer Hand vorbereitet waren, sei hier nicht näher untersucht. Tatsache ist jedenfalls, daß die Erhöhung des Brotpreises eine gefährliche Welle allgemeiner Preiserhöhungen nach sich ziehen kann. Jetzt fehlt nur eines: Die Verwirklichung der im Frühjahr kurz diskutierten Steigerung der Eisenbchntarife müßte ohne Zweifel das ganze, ohnehin nicht mehr sehr stabile Lohn-Preis-Gefüge endgültig zum Einsturz bringen. Brotpreis und Eisenbahntarif — beide werden von der Bevölkerung argwöhnisch beobachtet, beide sind schärfster Kalkulation wert. Ob dagegen die Lohnforderungen immer echten Bedürfnissen entsprechen, ist nicht sicher. So schön eine gelungene Lohnerhöhung auf dem Papier aussieht, ihre Wirkung als politisches Propagandamittel sollte nicht zum Anlafj genommen werden, unbekümmert um die Gesamtwirtschaft „prophylaktische”

Lohnforderungen zu stellen. Die Lage an der Lohn-Preis-Front ist zu ernst, um sie durch gefährliche Experimente wie ein angekündigtes Lohn-Preis-Ab- kommen zu gefährden. An beiden Parteien, Gewerkschaft wie Arbeitgebervertretung, liegt es vor allem, die Waage wieder ins rechte Lot zu. bringen.

DER STEUER STEUERN. Österreichs Kinobesitzer führen in diesen Tagen eine Urabstimmung durch, die sich mit weiteren Maßnahmen gegen die beabsichtigte Beibehaltung des Kulturgroschens befassen soll. Es wird sogar — ein Novum in der Geschichte des Films und Kinos — zum Protest eine befristete Sperre der Kinos erwogen. Die Voraussetzungen der Kinokrise wurden kürzlich von der „Furche” ausführlich aufgezeigt: auf der einen Seite der beängstigende Besucherschwund, auf der anderen dreifache Sonderbesfeuerung der Kinos. Eine davon, der sagenhafte Kulturgroschen, zieht von den Kiho- eirfnahmen jährlich 28 Millionen Schilling ab; eine weitere, die Vergnügungssteuer, 130 und die Opferfürsorgeabgabe 24 Millionen. Ein Streik trifft also fürs erste nicht nur die Streikenden, sondern auch den Bund, die Länder und Gemeinden. Das Schwierige an dem Problem ist, daß sich der Kulturgroschen, ein fossiles Relikt aus besseren Kinotagen, bei der öffentlichen Hand so eingelebt hat, dafj man sich seinen Wegfall gar nicht mehr vorstellen kann. Trotzdem geht dieser Weg des geringsten Widerstandes, wie man sieht, einmal zu Ende, und man wird sich wohl oder übel höheren Orts um einen Ersatz dafür umsehen müssen. Vielleicht schon bald...

NEUES ALTES ÖSTERREICH. In hochsommerlicher Stille sind dieser Tage die Anteile an der Wiener Tageszeitung „Neues Österreich”, die Eigentum der drei Parteien war, die 1945 — lang, lang ist es her — im Zeichen der „demokratischen Einigung” zusammenarbeiteten, von privater Hand erworben worden. Damit ist Österreichs erstes Nachkriegsblatt (wenn man von den Organen der Besatzungsmächte absieht) in die Reihe der „unabhängigen” Blätter eingetreten. Man kann nicht sagen, daß der Anteil der politischen Parteien in der Vergangenheit eine spürbare Belastung für das Blatf gewesen ist. Die ausgewogene Berichterstattung ermöglichte vielmehr dem Leser weitgehend, sich aus verschiedenen Standpunkten ein eigenes Urteil zu bilden. Mit ganzem Herzen und unnachsichtiger Strenge verfocht das Blatt die Belange des alten und neuen Österreich, besonders gegen alle Versuche von rechts, durch listige Worte und Taten die geistige, politische und wirtschaftliche Selbständigkeit unserer Heimat anzuzweifeln und zu verwischen. Dem Blatte ist zu wünschen, da!} es dieser ehrenvollen Tradition auch in der neuen redaktionellen und administrativen Struktur treu bleiben möge.

DIE NEGER MARSCHIEREN. Eine einzigartige Demonstration führen die in den Vereinigten Staaten lebenden Neger durch: in einer Art Sternfahrt strömen aus allen Teilen der Union große Gruppen der schwarzen Bevölkerung nach Washington. Wie wird der Präsident reagieren? Wie es zunächst hiefj. sei er mit der Demonstration durchaus einverstanden, sie erleichtere es ihm nämlich, sein Programm der Rassenintegration durchzuführen. Allerdings könnte die bloße Durchführung des Marsches das Land bereits in ein Chaos stürzen: die Streikdrohung der Eisenbahnergewerkschaft würde den Rücktransport der Teilnehmer vereiteln. Die Stimmung für die Rassenintegration in den Vereinigten Staaten ist nicht einheitlich, doch scheint sich auch in den Südstaaten mehr und mehr die Überzeugung durchzusetzen, daß die fortgesetzte Behandlung der Neger als Mitbürger zweiter Klasse diese einer gefährlichen Radikalisierung entgegentreiben müfjte. Wer die Angst des Amerikaners vor kommunistischen Infiltrationsgruppen im eigenen Land kennt, wird verstehen, daß die öffentliche Meinung in den südlichen Staaten schwankend wird. Die erstmals erfolgte Promotion eines Negerstudenten an einer Universität in Alamba könnte da sehr wohl den Auftakt zu einer Lösung des Problems bilden, einer Lösung, die auf der Überlegung aufbaut, daß es im Lande, das Sich selbstgefällig gern Stütze der Freiheit nennen hört, einfach keine Bürger zweiter Klasse geben darf. Denn die könnten sonst eines Tages den Schalmeien des ideologischen Gegners Gehör schenken…

BUDDHISTENVERFOLGUNGI Die Läge in Saigon wird immer verworrener. Eine Intefpretation der Religionspolitik des Präsidenten Diem ist also nicht ganz einfach, Vor allem der Vorwurf, der gegen das Regime Nga Dinh Diemo immer erhoben wird, trifft nicht zu: Diems Regierung ist nichl katholisch. Die Regierungsmehrheit ist buddhistisch: der Vizepräsident und zwölf der siebzehn Minister sind nicht katholisch. Diem hat es also schwer. Sein autoritäres Regime ist mit den Vereinigten Staaten durchaus nicht so freundschaftlich verbunden, wie es oft !člert’ iArijėhėin har JfiP scHeWet/’ vor crWem-wirtschaftliche Gründe ‘zu sein, dft ihn mit dem buddhisfiibhän Teil der Bevölkerung immer wieder in Konflikt bringen: Die Ansprüche der Buddhisten stehen in Gegensatz zu den Plänen des Präsidenten, eine Agrarreform betreffend. Die Scheinwerfer, die besonders die Presse der Vereinigten Staaten auf Saigon und Südviefnam richtet, reißen das Problem aus dem Dunkel, in dem es sonst wahrscheinlich geblieben wäre. Auseinandersetzungen über Glaubens- und Rassefragen sind leider ein Thema, das in der Welf von 1963 gar nicht so selten ist.

DER STAR IST WIEDER DAI Die spanische Fußballmannschaft Real- Madrid war in heller Aufregung. Alfredo di Stefano war verschWunden, Turm in so vielen heißen Schlachten, Stürmerstar vieler Siege. Gott sei Dank, er ist inzwischen wieder aufgetaucht! Geschehen ist ihm nichts, nur geschlafen hat „Don Alfredo” etwas schlecht. Die kostbaren Beine aber sind heil geblieben. Komödie am Rande der Komödie: Kaum war die Entführung des Meisterfußballers bekanntgeworden, richteten sofort zwei rivalisierende Untergrundbewegungen Aufrufe an die Öffentlichkeit, in denen sie sich der Aktion rühmten. Entführung als politische Demonstration? In Südamerika nichts Unbekanntes. Schon vor mehreren Jahren war der Autorennfahrer Juan Manuel Fangio von Castro-Partisanen verschleppt worden. Freilich hafte er es nicht so bequem wie der „Kicker”, der in einer modernen Sfadtwohnung festgehalten worden war. Der Rennfahrer mußte in das Urwaldlager der Partisanen mitkommen, wo ihm allerdings kein Haar gekrümmt wurde. Nun, es ist nicht verwunderlich, daß sich die Untergrundbewegung diesmal einen Fußballer, und gar einen der prominentesten, als Opfer ausgesucht hatte. Die Millionenbeträge, mit denen gute Fußballer heute auf einem ganz legalen „Sklavenmarkt” rangieren, hätte auch di Stefanos Klub nicnf gern verloren gesehen.

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