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Wie das Polen die Außenwelt Jaruzelskis betrachtet

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Polens Beziehungen zur westlichen Welt haben sich zuletzt sichtbar wieder verbessert (Ausnahme: Frankreich und die USA). Österreich spielte dabei eine Vorreiterrolle. Doch der verschärfte innenpolitische Kurs der Jaruzelski-Regierung könnte außenpolitische Terraingewinne unterminieren.

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Polens Beziehungen zur westlichen Welt haben sich zuletzt sichtbar wieder verbessert (Ausnahme: Frankreich und die USA). Österreich spielte dabei eine Vorreiterrolle. Doch der verschärfte innenpolitische Kurs der Jaruzelski-Regierung könnte außenpolitische Terraingewinne unterminieren.

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Polens Außenminister Stefan Olszowski war vergangene Woche sichtlich nicht schlecht gelaunt, als er vor österreichischen Journalisten Ergebnisse seines zweitägigen Wien-Besuches präsentierte. Kein Wunder: Ein weiteres Mal hatte das neutrale Österreich

Schrittmacherdienste für die Volksrepublik Polen auf dem westeuropäischen politischen Parkett geleistet:

Im Herbst 1984 war es Außenminister Leopold Gratz gewesen, der als erster westeuropäischer Minister nach der Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 der Einladung Warschaus zu einem offiziellen Besuch gefolgt war. Der Damm der Isolierung Polens, durch die demokratischwestliche Welt war damit gebrochen.

Jetzt war Österreich das erste westliche Land, dem ein polnischer Außenminister nach mehrjähriger Unterbrechung einen Besuch abstattete.

Eine gewisse Erleichterung herrscht jedenfalls in Warschau bei offiziellen Gesprächspartnern, daß die von westlicher Seite gegen das Jaruzelski-Regime gemachte Front seit 1984 allmählich abbröckelt. „Inzwischen haben wir schon Terminschwierigkeiten, um alle angemeldeten Besuche unterzubringen”, erklärt der stellvertretende Außenminister Ernest Kusza österreichischen Journalisten nicht ohne einen gewissen Anflug von Stolz.

Dabei bezeichnet Kusza die Beziehungen mit den Ländern der westlichen Hemisphäre erst als den dritten Pfeiler der polnischen Außenpolitik. Noch vor dem Westen stehen laut Kusza die Beziehungen zu den Entwicklungsländern an zweiter Stelle der außenpolitischen Prioritätenliste: weil Polen mit deren Unterstützung rechnen könne und weil diese in den Jahren 1980 bis 1983 volles Verständnis für die von Regierungschef General Wojciech Jaruzelski getroffenen Maßnahmen gezeigt hätten.

Fragt sich freilich, was die guten Beziehungen zu Nigeria, Kolumbien oder etwa Afghanistan der Volksrepublik Polen im Endeffekt bringen, um aus ihrer politischen und wirtschaftlichen Misere herauszukommen.

Daß die Beziehungen zu den sozialistischen Staaten höchste Priorität in der polnischen Außenpolitik genießen, ist natürlich nicht verwunderlich; daß dabei wiederum die Sowjetunion an erster Stelle steht, ist systembedingt.

General Jaruzelski hatte gleich nach der Verhängung des Kriegsrechtes noch im Jahr 1982 die Beziehungen zu den „sozialistischen Bruderländern” stark forciert. Gezwungenermaßen - zu einem Teil jedenfalls. Denn, so der stellvertretende Außenminister: „Die nach dem 13. Dezember 1981 verhängten Restriktionen westlicher Länder haben uns aufs neue gezeigt, wie wichtig unsere Beziehungen zu den sozialistischen Bruderstaaten gerade auch auf wirtschaftlichem Gebiet sind.”

Immerhin: Auch bei den Bruderstaaten ist Polen mit rund 4,8 Milliarden Transferrubel verschuldet.

Polens Schulden im Westen betragen mittlerweile an die 30 Milliarden Dollar. Und um in der Frage der Schuldenrückzahlung etwas weiterzubringen, kann der polnischen Regierung eine Klimaverbesserung in den Beziehungen zu westlichen Staaten nur gelegen kommen.

Freilich trübt die Warschauer West-Bilanz, daß das Regime General Jaruzelskis von Seiten der USA und Frankreichs nach wie vor als eine Art politischer Aussätziger behandelt wird. Regierungssprecher Minister Jerzy Urban läßt seiner Erbitterung freien Lauf:

„Noch nie in der Geschichte der polnisch-amerikanischen Beziehungen war das Verhältnis so schlecht wie heute. Dabei geht es den USA gar nicht einmal so sehr um Polen, wir sind nur ein Mittel zum Zweck für Ronald Reagans Politik gegenüber der Sowjetunion. Und wenn Washington seine Politik gegenüber Moskau verschärft, leidet Polen zuerst darunter.”

Was Frankreich anlangt, klagt Vize-Außenminister Ernest Kusza: „Nichts hat sich in den letzten Jahren bewegt. Statt Verbesserungen wie mit anderen Ländern hat es in unserem Verhältnis zu Frankreich nur Verschlechterungen gegeben. Auch die Handelsbeziehungen haben sich seit Jahren ständig verringert.”

Bleibt noch das so heikle pol-nisch-(west-)deutsche Verhältnis: Hier haben jüngste Aussagen bundesdeutscher Politiker und verschiedene Zeitungsartikel viel böses Blut in Polen gemacht—und zwar nicht nur bei den kommunistischen Machthabern, sondern in der ganzen Bevölkerung.

Ein Beispiel: In einer ihrer letzten Ausgaben warnte das Mitteilungsblatt der schlesischen Landsmannschaft „Der Schlesier” die in den Oder-Neiße Gebieten lebenden Polen davor, Land zu verkaufen oder zu verschenken, das ehemals vertriebenen Deutschen gehört hat.

Was die polnische katholische Kirche zu solchen Angst und Haß erzeugenden Drohungen zu sagen hat, formulierte zuletzt Primas Kardinal Jozef Glemp sehr deutlich (siehe nebenstehende Interview-Auszüge). Wem wiederum dieses dümmliche Geschreibe nützt, hat der Publizist Jan Jözef Lipski trefflich analysiert (siehe Kasten).

Gleich mehrere Male betonte Regierungssprecher Urban österreichischen Journalisten gegenüber, daß die Außenpolitik der Regierung Jaruzelski jener Bereich sei, der das höchste Maß an Zustimmung in der polnischen Bevölkerung genieße. Wen wundert's, wenn verstärkt solche Töne aus der Bundesrepublik zu vernehmen sind.

Alles in allem haben Polens Außenpolitiker in letzter Zeit also gewisse Erfolge zu verzeichnen gehabt und deshalb auch Grund zur Zuversicht für die künftige Entwicklung der Außenbeziehungen der Volksrepublik. Die sich abzeichnende innenpolitische Verhärtung in Polen könnte sich allerdings bei den Bemühungen Warschaus um eine Normalisierung der außenpolitischen Beziehungen zum Westen als kontraproduktiv erweisen.

Wenn der Kurs der „Weiterentwicklung der sozialistischen Demokratie und der Festigung der

Disziplin” (Olszowski in Wien) bedeutet, daß drei führende Oppositionelle und Mitglieder der verbotenen Gewerkschaft Soli-darnosc in einem alles andere als sauberen Prozeß in Danzig zu harten Freiheitsstrafen verurteilt werden (Wladyslaw Frasyniuk: dreieinhalb Jahre; Adam Michnik: drei Jahre. Bogdan Lis: zweieinhalb Jahre), so wird dieser Kurs in der demokratischen Welt ganz gewiß nicht honoriert werden -schon gar nicht in Frankreich und den USA.

Dem kaltgestellten Arbeiterführer und Nobelpreisträger Lech Walesa ist zuzustimmen: „Das ist der dümmste Schritt, den die Regierung unternehmen konnte” -das gilt gerade auch im Hinblick auf die Außenpolitik Polens.

Alles andere als klug sind darüber hinaus bereits beschlossene beziehungsweise angekündigte Gesetzesänderungen, weil sie die Kluft zwischen Regierenden und Regierten in Polen unter Umständen nur noch weiter vergrößern. Zu diesen Schritten des Regimes zählen:

• Die Verschärfung des geltenden Strafrechts trotz des heftigen Widerstandes der Kirche, von Juristen und einzelnen politischen Persönlichkeiten: Ab 1. Juli werden das Versammlungsrecht und die Freiheit der Rede und Meinungsäußerung mit hohen Strafandrohungen eingeschränkt. Wer an einer „illegalen” Kundgebung teilnimmt, unerlaubt die Nationalhymne absingt oder etwa unerlaubte Flugblätter verteilt, kann automatisch zu einer Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit 80.000 Zloty Geldbuße (mehr als vier durchschnittliche Monatsgehälter) verurteilt werden.

Festigung der Disziplin

Eingeführt werden auch Schnellverfahren, die außer bei kriminellen Delikten auch bei politischen Strafbeständen angewandt werden können. Auf frischer Tat Ertappten kann ein Gericht nach diesen Verfahren bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe aufbrummen. Minister Urbans lakonischer Kommentar dazu: „Je schneller eine Strafe erfolgt, umso wirksamer ist sie auch.” % Noch vor der Neuwahl des Parlaments (Sejm) im Herbst soll ein neues Hochschulgesetz durchgepeitscht werden, das die Senate der Universitäten praktisch entmachtet, den Einfluß des zuständigen Ministers (und damit der Partei) aber stärkt. „Hochschulen können nicht als Enklaven von jeder Oberaufsicht ausgeschlossen bleiben”, meinte dazu Vizepremier Mieczyslaw Rakowski vor polnischen Rektoren in Krakau. # Daß gegenüber Intellektuellen insgesamt ein schärferer Kurs eingeschlagen werden könnte, dafür spricht auch die Streichung von Forschungsaufträgen im Ausland für mehrere hundert Gelehrte, die gegen die Entlassung des Historikers und Walesa-Beraters Professor Bronislaw Geremek einen Protest unterzeichnet hatten.

Hohe Haftstrafen für Oppositionelle, verschärfte Polizeigesetze, eine restriktive Kulturpolitik: damit schafft sich die Jaruzelski-Regierung weder im Inland Freunde (jubeln wird höchstens der harte Parteiflügel, die sogenannten „Betonköpfe”) noch im Ausland (wo sich Warschau freilich der Zustimmung der Sowjets und anderer „sozialistischer Brüder” sicher sein kann).

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