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Ist Polens Kirche wirklich reaktionär ?

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Der Autor - selbst mit einer Polin verheiratet - kennt das Land an der Weichsel von mehreren Aufenthalten und Reisen. Um so mehr enttäuscht ist er, der nach eigenen Angaben auf ein Bündnis zwischen Kirche und Sozialdemokratie setzt, über die Beurteilung der polnischen katholischen Kirche durch die österreichische Linke.

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Der Autor - selbst mit einer Polin verheiratet - kennt das Land an der Weichsel von mehreren Aufenthalten und Reisen. Um so mehr enttäuscht ist er, der nach eigenen Angaben auf ein Bündnis zwischen Kirche und Sozialdemokratie setzt, über die Beurteilung der polnischen katholischen Kirche durch die österreichische Linke.

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Schon vor, und natürlich auch nach der Ausrufung des Kriegsrechtes am 13. Dezember 1981 hat es in Österreich eine umfassende Debatte über die Ereignisse in Polen gegeben.

Ein polnischer Papst im Vatikan, das einzige Land Osteuropas mit einer „soliden" katholischen Mehrheit oder anders: das einzige sozialistische Land mit einer überwiegend katholisch orientierten Bevölkerung mußte insbesondere die gesellschaftskritisch engagierten Christen unseres Landes auf den Plan rufen.

Doch der Stand der Analyse über die Ereignisse in Polen ist gerade in der österreichischen Linken als äußerst mangelhaft zu bezeichnen.

Die Ratlosigkeit der christlichen Linken — oder weiter Sektoren unter ihr — kommt für mich in aller Klarheit in dem folgenden Zitat zum Ausdruck, das aus der Feder von Herbert Berger stammt, der wie kaum ein anderer Österreicher die christliche Basisbewegung in Lateinamerika kennt:

„Diese enttäuschten Hoffnungen lassen Solidarität gewisser Gruppen mit Polen in einem anderen Licht erscheinen, besonders wenn man bedenkt, wie sehr die Menschenrechte in den Ländern verletzt werden, die im Machtbereich dieser Weltstrategen liegen (Lateinamerika — USA, Anm. d. Red.).

Ihre Zielvorstellungen mit Polen waren nicht zu übersehen und sie hofften, in der Kirche Polens dafür einen zuverlässigen Bündnisgenossen zu haben. Sie hofften auf die grundsätzlich antisozialistische Haltung des polnischen Klerus___

Es ist wohl nicht möglich zu unterscheiden, wo heute bei der polnischen Kirche die unbedingt zu leistende Hilfe und Solidarität mit den Unterdrückten aufhört und wo ihre Bereitschaft zum Bündnis mit Kräften, die eine Veränderung der Gesellschaft in Polen in Richtung eines reaktionären Ansatzes wollen,___

Gerade deswegen kam es zu diesem Aufschrei, zu einer Anbiederung an die polnische Kirche, zum Teil auch von Menschen, die der i Kirche mehr als gleichgültig gegenüberstehen und denen eine so traditionelle Kirche wie die Polens als mittelalterlicher Greuel gilt. Wenn es um den Erzfeind Sozialismus geht, dann ist man zu jedem Bündnis bereit..."

(Aus: Berger H., Polen, 1934 ... oder: Sind Anfragen an die Kirche erlaubt? Gedanken zu einer öffentlichen Kontroverse. In: Kritisches Christentum, März 1982)

Dazu wäre einmal kritisch anzumerken, daß es auch seitens der polnischen Regierung nicht an Versuchen fehlte, die Kirche zu ihrem Bundesgenossen zu machen, daß die „antisozialistische Haltung" des polnischen Klerus (und nicht etwa der polnischen Bevölkerung?) eine völlig unbewiesene Behauptung ist.

Der „mittelalterliche Greuel" der polnischen Kirche paßt besser in den Jargon von ostpreußischen, heute enteigneten Grundbesitzern als in das politische Vokabular von liberalen und linken Analytikern.

Seit dem August 1980 hat die Warschauer „Polityka" und mit ihr zahlreiche andere Medien Osteuropas genauestens analysiert, welcher Greuel (hier ohne Anführungszeichen) der „Sozialismus" Edvard Giereks war.

Adalbert Krims, Verantwortlicher für die Zeitschrift „Kritisches Christentum" setzt Bergers Argumentation fort, wenn er schreibt:

.blanche trotzkistische Autoren ... ziehen daraus den (Kurz)-Schluß, der polnische Katholizismus sei der ,J£irche des Volkes" in Lateinamerika vergleichbar, die ja auch Volksfrömmigkeit und revolutionäres Engagement miteinander vereine.. ;

In Wirklichkeit bilden die polnische Kirche und die ,J£irche des Volkes" in Lateinamerika heute die extremen Gegenpole innerhalb des Weltkatholizismus: hier eine streng hierarchische Kirche

— dort christliche Basisgemeinden; hier eine traditionalistisch-dogmatische Schulbuchtheologie

— dort eine aus der Befreiungspraxis des Volkes entstehende „Theologie der Befreiung"; hier eine totale Ablehnung des Marxismus — dort eine Aufnahme marxistischer Kategorien in der Theologie usw... "

(Aus: Krims A., Zur politischen Funktion der katholischen Kirche in Polen. In: Kritisches Christentum, Februar 1982).

Bei all der Solidarität mit der Kirche der Armen in Südamerika und in anderen Ländern der Dritten Welt, auch und gerade angesichts eines katholischen Establishments in der öffentlichen Meinung, für das nur die Außenpolitik der USA heilig zu sein scheint, muß ich doch anmerken, daß Krims seine Analyse leider ohne Rekurs auf zwei tragende Elemente der polnischen Wirklichkeit durchführt:

Die brutale Politik der Germanisierung durch Preußen und der Russifizierung durch das Zarenregime einerseits und anderer-' seits die Politik der PVAP (Polnische Vereinigte Arbeiterpartei) seit 1945.

All diese Phänomene, genauso wie die Stalin'schen Greuel gegen die „Abweichler" in der polnischen KP, die physische Vernichtung der meisten unorthodoxen Elemente der polnischen Linken im Zweiten Weltkrieg, all diese Phänomene klammert Krims aus.

Krims kommt zu dem (Trug)-Schluß, daß, weil die Kirche in Polen oft Konfrontationen mit der als sozialistisch definierten Staatsmacht austragen mußte, sie schon reaktionär ist.

Man muß der polnischen Kirche, egal wo man steht, zubilligen, daß sie, wie auch immer traditionalistisch sie im Spektrum des Weltkatholizismus sein mag, sie zumindest sich nicht signifikant in ihrer Haltung von der anderer Kirchen in bezug auf die Produktionsmittel und deren Besitz unterscheidet.

Die polnische Kirche hat in dieser Frage sogar neue Gedanken entwickelt.

In einer Zeit, in der Zitate verdreht werden und am Ende das herauskommt, was jemand gar nicht gesagt hat, sollte die Krei-skysche Analyse der polnischen Kirche noch einmal repliziert werden.

Fragwürdig wird für mich die Kreiskysche Analyse dort, wo er einfach nicht die Ambivalenz der polnischen Situation vom Sommer bis Dezember 1981 erfaßt. ' Anders ausgedrückt: Was hätte Kreisky gesagt, gedacht und getan, wäre er irt diesen Tagen eine führende Person in der Gewerkschaft Solidarnosc, der Premier oder gar Erzbischof Glemp gewesen?

Kreisky im Klartext:

,JDiese neue polnische Arbeiterbewegung, die doch immerhin eineinhalb Jahre Zeit gehabt hat, sich zu entfalten, hat Großartiges geleistet in der Organisation der Menschen, aber es muß für Sozialisten möglich sein, solche Entwicklungen auch kritisch zu prüfen.

Die neue Bewegung ist politisch offenbar führungslos gewesen. Kein Wunder: Die katholische Kirche ist eine große moralische Autorität, das will niemand bestreiten. Aber daß sie besondere Voraussetzungen hätte, eine große Arbeiterbewegung zu führen, das kann niemand behaupten. Und so hat man zwar eine Protestbewegung moralisch gestützt, aber man hat den Leuten nicht gesagt, was man zudem noch zu tun hat, um diesen Staat so zu organisieren, daß er einigermaßen für die arbeitenden Menschen funktioniert."

(Aus: Kreisky B., Polen ohne falsches Pathos. In: Kommentar — vormals Kompaß, Februar 1982)

Würde Kreisky auch zu behaupten wagen, die brasilianische Kirche habe keine moralische Autorität, um die Kämpfe der Metallarbeiter von Säo Paulo zu unterstützen?

Eine bange Frage, gerichtet an Kreisky und alle, die seiner Argumentation folgen, schließt sich hier an: Hat man darüber nachgedacht, daß es oft in Polen schlichtweg unmöglich ist, sich über Buchhandlungen oder Verlage jene Literatur zu beschaffen, die andere, alternative Modelle des Sozialismus diskutieren?

Ein mit mir befreundeter polnischer Priester hat mir beim Flug von Warschau und Breslau die Frage gestellt, wie denn die Linke in Österreich sich die Realisierung eines sozialistischen Modells vorstellt, da er kaum zu dieser Frage Materialien in Polen , findet.

Zurecht meint auch die Kirche, um sich nicht dem Vorwurf des Klerikalismus aussetzen zu müssen, ihre Aufgabe sei nicht die konkrete Ausarbeitung von Prinzipien des Wirtschaftslebens, sondern nur allgemeinere Überlegungen, die das Bekenntnis zu einem Pluralismus der Meinungen im Bereich der sozio-ökonomi-schen Organisationsvorstellungen miteinschließen.

In seiner Analyse ist Kreisky, und meines Erachtens nach auch einem großen Sektor der österreichischen Öffentlichkeit, eine weitere Fehleinschätzung passiert:

,JDie polnischen Arbeiter — die es ja seinerzeit in dieser Zahl nicht gegeben hat, weil ja Polen kein Industriestaat war — kommen aus Dörfern. Das sind die Söhne und Töchter der kleinen Bauern Polens, des Dorfproletariates, der Landarbeiter Polens, die natürlich in die Bergwerke und Fabriken, in die Werften und Betriebe die Vorstellungen aus ihrer Welt mitgebracht haben.

Sie sind geformt vom Bewußtsein des\polnischen Dorfes und sind daher fromme Menschen und gläubige-Katholiken. Das ist der Grund, warum die katholische Kirche einen so starken Einfluß auf diese Arbeiterbewegung ausüben konnte" (Bruno Kreisky).

Der polnische Katholizismus ist meiner Einschätzung nämlich gerade dort in der Bevölkerung besonders tief verankert, wo er gerade nicht der „Dorfkatholizisr mus" alter Prägung ist. Insbesondere in den seit 1945 wieder zu Polen gekommenen Gebieten ist die religiöse Praxis viel deutlicher und bewußter verankert als auf dem polnischen Dorf in Zentral-und Ostpolen.

Ob's einem paßt oder nicht: auf seine Art ist die polnische Volksfrömmigkeit eben heute formalisiert, intellektualisiert und mitgetragen von allen Schichten der Bevölkerung. Die innerkirchlichen Reformen seit dem II. Vaticanum haben diese Vitalität des polnischen Katholizismus erneuert und vertieft.

In dieser Hinsicht kann Karol Wojtyla als der Idealtypus der polnischen Kirche von heute angesehen werden: nachkonziliar, fromm, intellektuell gebildet und marianisch.

Die Analyse der polnischen Gegenwartsgesellschaft muß sich von dem bei Kreisky ungewollt anklingenden; von reaktionären Kreisen in der BRD stets immer wieder wiederholten und „entwickelten Argument" von den „blöden Katholen" vom polnischen Dorfe entschieden abheben.

Dr. Arno Tausch ist Assistent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck.

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