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… und unsere Erwiderung

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Sie haben uns aus Warschau einen Brief zur Kenntnisnahme übersandt, in dem Sie sich als Vertreter polnischer intellektueller katholischer Kreise an Redaktionen französischer Zeitschriften und mit der Uebermittlung dieses Briefes auch an die Redaktion und Leserschaft der „Furche“ wenden.

Wir haben nicht die Ehre, Sie, die Unterzeichneten, persönlich zu kennen. Aus dem Inhalt Ihres Schreibens entnehmen wir, daß Sie Vertreter einer Gruppe polnischer Katholiken sind, die sich entschlossen haben, eine enge politische Zusammenarbeit mit dem . gegenwärtigen polnischen Regime einzugehen; im Sinne also etwa der Ansprache des Stellvertretenden Ministerpräsidenten Cyran- kiewicz vom 17. Dezember 1953 an „die im Büro des Ministerrates versammelten Bischöfe, Kapitularvikare und Suffragane sämtlicher Diözesen“: „Der Eid, welchen die Mitglieder des Episkopates heute ablegen, enthält das Versprechen, alles für das Aufblühen der Polnischen Volksrepublik sowie für die Festigung der Macht und Sicherheit zu tun.“

Sie alle, die diese Kundgebung an den katholischen Westen unterzeichnet haben, wissen selbst: Viele Katholiken im Westen können in Ihnen nur eine vom gegenwärtigen Regime Polens erhaltene Gruppe von Diversanten, von „Verrätern“ aller Grundrechte der Kirche sowie der Menschenrechte sehen, von Menschen also, die sich bedingungslos für eine ungute Sache zur Verfügung gestellt haben. Wir teilen diese Ansicht nicht. Oesterreichischen Katholiken fehlt, nach den Erlebnissen im „Dritten Reich“ und anderen Erfahrungen in ihrer eigenen Geschichte, der selbstgefällige Mut, sich über Menschen zu erheben, die wie Sie unter dem Druck eines totalitären Regimes zu leben gezwungen sind. Wir wissen um die Gebrochenheit, um die Schwierigkeiten eines Zeugnisses für die Freiheit Gottes und des Menschen in eine Zeit hinein, die in jedem innerlich Unabhängigen einen Verräter, Spion und Saboteur zu sehen und zu verfolgen geneigt ist, Wir sind schon deshalb bereit, Ihr Wort auch in der ganzen Einseitigkeit, Brüchigkeit und Problematik, in der Sie es uns selbst vorstellen, ernst zu nehmen.

Wenn wir nun versuchen. Ihnen Rede und Antwort zu stehen, so geschieht dies vor allem mir dem Blick auf jene Gruppe von Katholiken in Polen, die nicht die Möglichkeit hat, in der Oeffemlichkeit Gehör zu finden, die nicht die Chance hat, Zeitungen und Zeitschriften herauszugeben und die Positionen der Kirchenämter und Universitäten zu besetzen; jene nicht geringe Zahl der Schweigenden, der Leidenden, der Verfolgten- Nur im Blick auf die Reinheit ihres Opfers und die Größe ihres Leidens — gelitten, wie wir überzeugt sind, für eine bessere Zukunft —, hur in Ehrfurcht vor dieser „Kirche des Schweigens“, vermögen wir es, auch Sie, die Vertreter einer anderen Gruppe, so ernst zu nehmen, wie es diese Stunde wohl erfordert, wenn ein wahrer Friede, nicht der Toten, sondern der Lebenden, aus den bitteren Kämpfen unserer zerrissenen Zeit erstehen soll.

Was uns an Ihrem Schreiben auffällt, ist Ihre völlige Identifizierung mit den politischen Zielen des gegenwärtigen Regimes. Sie können uns hier vielleicht mit Recht entgegenhalten: Haben sich nicht in den vergangenen Jahrhunderten auch Bischöfe im

Westen, in Oesterreich, Deutschland und Frankreich etwa, mit den politischen Zielen ihrer Völker und Regierungen restlos identifiziert? Die Geschichte des Gallikanismus wie des Josephinismus biete Beispiele. Gewiß. S o w a r e s, im Westen wie im Osten. So aber kann es nicht weitergehen. Wir glauben, daß es für jeden freien, verantwortungsbewußten Katholiken, mag er sich dieser oder jener politischen Partei oder Bewegung verschrieben haben, nur ein bedingtes Ja zu „seiner“ politischen Umwelt, zu „seiner“ Fraktion gibt. Diese Bedingtheit, diese, wie wir überzeugt sind, tiefste Grundlage aller echten Freiheit des Menschen in Ost und West, wird aber, wie Sie wissen, von allen totalitären Richtungen auf dieser Erde bekämpft.

Wir können deshalb in Ihrer Haltung nicht eine fortschrittliche, freiheitliche, „volksdemokratische“ sehen, sondern eher einen Rückfall in das alteuropäische Staatskirchen- tum. Die von Ihnen vollzogene Gleichung: Heil des Regimes — Heil des Volkes = Heil der Kirche = Heil der Menschheit, geht, so zeigt die tausendjährige Erfahrung der Menschheit, nicht auf. Wir können deshalb Ihrer Darstellung, der große Konflikt der polnischen Bischöfe um Kardinal Wyszyfiski mit dem heutigen polnischen Regime sei nichts anderes als die Auseinandersetzung einer „überalterten“ politischen Sache und ihrer Positionsträger mit den „aktuellen, fortschrittlichen Bestrebungen der Nation“, nicht folgen, sondern müssen in ihr vielmehr eine unzulässige Vereinfachung eines tieferen und echteren Konfliktes sehen: der notwendigen Auseinandersetzung zwischen Repräsentanten eines christlichen Weltverstehens und Vertretern einer Weltanschauung, die ihrer geschlossenen Welt auch jene Menschen einzuverleiben trachtet, die für Gott und für das, was sie als Menschenpflicht erachten, offen bleiben wollen.

Mißverstehen Sie uns hier, bitte, nicht: Aufgeschlossene Katholiken im Westen sind sich durchaus klar darüber, daß der gegenwärtige Konflikt der Kirche in den Ländern des Ostens auch gefir konkrete politische Grundlagen hat; daß sich gerade die Katholiken in der heutigen Welt fragen müssen, ob nicht ein zähes Festhalten an überalterten nationalistischen Komplexen, an Frömmigkeitsstilen und Predigtformen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts ebenso gefährlich für die Kirche sei wie bedingungslose Hingabe an neue, „fortschrittliche“ Ideen und Bewegungen. Beide Haltungen sind menschlich-zeitlich verständlich, fördern aber nur die Verwirrung und nicht den Fortschritt und den Frieden. Sie dienen weder Freund noch Feind, weil sie dip Grundvoraussetzung aufheben, auf der eine entscheidende Begegnung zwischen Ost upd West, zwischen Kirche und Staat in Polen wie in anderen Ländern dieser Erde fußen muß: Die Anerkennung eines unabdinglichen, von keinem kaiserlichen, königlichen, parlamentarischen und volksd em o k r a- tįschen Regime aufhebbaren Eigenstandes und Eigen rechtes der Kirche, die sich als Vertreterin des inneren Reiches des Menschen eine eigene Urteilsbildung und eine eigene Stellungnahme zu den Maßnahmen des Staates und der politischen Ordnungsmächte vorbehalten muß.

Dieses Eigenrecht der Kirche scheinen Sie überhaupt nicht mehr zu kennen. Wie wäre es sonst möglich, daß Sie etwa die Mehrheit der deutschen Kirchenführer in Bausch und Bogen als Vertreter einer kriegshetzerischen, antipplnisphen Politik verurteilen? Kein Prälat des Westens ist heute den Vertretern seiner Regierung, mag es sich auch um die von Ihnen angegriffenen Staatsmänner De

Gasperi und Adenauer handeln, in einem auch nur annähernd gleichem Ausmaße hörig wie jene unglücklichen Kirchenführer des Ostens, die den Eid auf ihr Regime leisten mußten.

Sie beklagen sich — und diese Klage ist, wie wir hier offen sagen wollen, einer echten Behandlung und Berücksichtigung in einem größeren Rahmen wert —, daß sich, nach Ihrer Auffassung, im katholischen Westen bisweilen eine „wahnwitzige antikommunistische Propaganda“ mit religiösen Bestrebungen, dazu mit politischen Intentionen und militärischen Plänen zur Schaffung eines „christlichen Europa“ verschmelze. Wir haben nie gezögert, die Vermengung dieser in der Tat sehr ungleichartigen Dinge abzulehnen. Ist diese Vermengung aber nicht verständlich als Reaktion auf den Druck, den der ungeheure Machtblock des Ostens mit spinen 700 EJjvisionen und 300 Millionen Menschen auf Westeuropa ausübt? Sie sprechen von der „Angstpsychose“ des christlichen Westens. Wir wissen nicht, ob Sie in Volkspolen Gelegenheit hatten, unsere Stellungnahmen gegen den McCarthysmus, gegen alle gefährlichen Geschäftemacher des Sehtek- kei)s im Westen zu verfolgen — nun aber müssen wir Sie fragen; Ist diese Angstpsychose ganz unbegründet? Kann es einen Intellektuellen, einen Christen, einen Katholiken zwischen Pruth, Düna und Weichsel geben, der diese Angstpsychose nicht irgendwie auf Grund eigener Erfahrungen verstehen kann?

Was aber nun? Soll, nachdem wir mit aller Offenheit jene Trennungslinien (nicht etwa „Fronten“!) aufzuzeigen versucht haben, die etwa österreichische Katholiken von Ihrer polnischen katholischen Gruppe scheiden — soll nunmehr sozusagen alles beim Alten bleiben? Gewiß nicht. Sie haben uns geschrieben und wir haben zu antworten versucht. Sicherlich, diese Schwalbe macht noch keinen

Sommer- Vielleicht aber ist es ein Anfang, ein Ansatz zu einer Begegnung von morgen oder übermorgen. Vielleicht öffnen sich Tore im Osten. Sie wissen es so gut wie wir: Der Westen, der christliche Westen, fürchtet heute mehr denn je das Trojanische Pferd, das die Uebergabe vorbereiten soll. Wir neigen nicht dazu, Ihren Brief dahin zu mißdeuten. Wir wollen aus ihm lediglich einen Ruf, vielleicht einen Schrei hören, mitten heraus aus der großen Einsamkeit und Bedrängnis, in der heute europäische Katholiken im Osten einen neuen Weg zu gehen versuchen. Einen gefährlichen Weg — den wir Oesterreicher aber nicht aus Hochmut schelten wollen, weil wir aus eigener Erfahrung um die Not zu wissen glauben, die übermächtige Gewalt für Menschen zu schaffen vermag. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen den Gottessegen wahrer Freiheit und des wahren Friedens — in diesem Marianischen Jahr des Heils 1954, in dem mächtig und breit die Glocken ausschwingen über Warschau, Krakau, Kiew, Köln, Paris, Wien und Rom. „Die Furche“

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