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Prager Fruhling?

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Die Presse der Freien Welt bezeichnet vielfach die Ereignisse, die sich seit einigen Wochen und Monaten in der Tschechoslowakei abspielen, als den Beginn einer Demokratisierung der Moldau-Republik. Wie weit davon die Wirklichkeit trotz einzelner Fortschritte entfernt ist, zeigen die Stimmen prominenter Politiker der CSSR.

ALEXANDER DUBČEK, Erster Sekretär der KPČ:

„Ich bin fest überzeugt, daß die demokratische Atmosphäre in der Partei und im öffentlichen Leben zur Festigung der Einigung unserer sozialistischen Gesellschaft führen wird und daß wir alle fähigen und talentierten Bürger unseres Landes für eine aktive Zusammenarbeit gewinnen werden."

VILIAM ŠALGOVIČ, Vorsitzender der Revisionskommission der KP der Slowakei:

„Als Teilnehmer des Widerstandes betrachten wir es als wichtig, an unser brüderliches und internationales Bündnis mit der Sowjetunion zu erinnern. In gleichem Maß, wie wir jegliche Tendenzen und Versuche des Antikommunismus ablehnen, lehnen wir auch den Antisowjetismus ab. Wir glauben fest, daß unsere Beziehungen sich auch weiterhin auf der Grundlage der Prinzipien der sozialistischen Demokratie und der gegenseitigen Achtung voll entfalten werden."

ANTONIN NOVOTNY, zurückgetretener Präsident der Republik:

„In den letzten zwei Monaten wurden gegen mich Anschuldigungen und Verleumdungen, sogar auch Skandalgeschichten gehäuft. Als ich verschiedene Zeitschriften, Kreiszeitungen usw. las, war ich im wahren Sinn des Wortes überrascht, wieviel — verzeihen Sie, dal; ich es sage — Gemeinheiten in der Presse erscheinen kannten. Ich hatte keine Möglichkeit, auch heule habe ich sie nicht, eine Reihe von Dingen zu widerlegen, obschon es ausgesprochene Lügen sind.

Es ist zur Mode geworden zu behaupten, daß es bei uns bis Jänner das Regime der persönlichen Macht gab. Gewiß, es gab eine Reihe von Mängeln, über die schon zuvor kritisch gesprochen wurde. Offensichtlich schofj man in mancher Hinsicht über das Ziel hinaus, einige Anschauungen wurden hart zurückgewiesen, aber ich kann nicht darin zustimmen, dal; wir ein undemokratischer Staat wären."

DR. JAROMIR DOLANSKY, früheres Mitglied des ZK-Präsidiums der KPC:

„Für Fehler, die geschehen sind, können nicht Tausende jener ehrlichen und aufopfernden Parteimitglieder verantwortlich gemacht werden, die im täglichen Leben uneigennützig und klassenbewufjt, diszipliniert und manchmal auch mit inneren Zweifeln die Beschlüsse des Zentralkomitees durchsetzten und verteidigten. Hinter sie muff sich die Partei mit ihrem ganzen Gewicht stellen. Die Verantwortung lag nicht auf ihnen, sondern auf der Leitung."

OLDRICH RÄKOSNlK, Vorsitzender des KPC-Ausschusses im Betrieb Spojenė ocelärny, Kladno:

„Ich möchte sagen — und ich übermittle' auch die Ansichten der überwiegenden Mehrheit der Werkstätten unseres Unternehmens und Bezirks —, dal; sie den Masseninformationsmitfein dankbar sind für das weite Ausmai; von Informationen. Es ist absolut richtig, dafj es zur Aufhebung der Zensur und jeder Art von Einschränkung der Pressefreiheit kam. Keineswegs kann jedoch die gesellschaftliche und politische Verantwortlichkeit außer acht gelassen werden. Ich verweise darauf, was von unseren Werktätigen stark kritisiert wurde, dafj man nicht rechtzeitig gegen extreme Ansichten aufgetreten ist, die, wenn auch in der Minderheit, dennoch zutage traten.”

OTA ŠIK, Stellvertreter des Regierungsvorsifzenden:

„Ich habe mich persönlich im Kampf für die Überwindung unnötiger Fehler nicht nur in der Ökonomik, sondern auch in der Politik sehr engagiert und weif;, daf; ich nun auch die konkrete Verantwortung für deren Beseitigung übernehmen muß. Ich bin darauf vorbereitet. Ich glaube, dafj wir heute jedoch in allen Partei- und Staatsorganen werden so arbeiten müssen, daf; es jederzeit und ohne jegliche Phrase das Licht der öffentlichen Kontrolle verträgt."

VLADIMIR KABRNA, Vorsitzender des Parteiausschusses der KPČ im Betrieb J.-Fucik-Werk, Prag

„Es gibt Arbeitsstätten, in denen die Kommunisten nicht an der Spitze stehen, wo man ihnen in den Rücken gefallen ist oder wo sich der ganze Erneuerungsprozeß ohne Einfluß der Organisationen und Funktionäre entwickelt, Insbesondere in der revolutionären Gewerkschaftsbewegung und im Tschechoslowakischen Jugendverband ČSM. Es gibt Betriebe, in denen die Parteiorgane die Lösung der berechtigten Forderungen, der kritischen Anregungen und Werktätigen unterschätzen. Sie vergegenwärtigen sich nicht, dafj deren Lösung die örtliche politische Situation bildet."

FRANTISEK PENC, Minister für Bergbau:

„Solange sich die ökonomischen Systeme der Leitung und Organisation in den sozialistischen Ländern nicht einander annähern werden, müssen wir an die Wertung der Aussichten einer weiteren Vertiefung der sozialistischen Integrierung nüchtern herangehen, um so geduldiger allerdings sowohl an einer zielbewußten Lösung der konkreten Aufgaben, als auch sich mit der Schaffung von besseren, allgemeinen Bedingungen der Zusammenarbeit befassen."

JOZEF LENÄRT, Kandidat des Präsidiums und Sekretär des ZK der KPČ:

„In den Diskussionen erklingen Töne, die mit dem Sozialismus nichts gemein haben — die Idealisierung der Verhältnisse in der Ersten Republik, des bourgeoisen Parlamentarismus und anderer westlicher Vorbilder. Dies sind Erscheinungen, die dem sozialistischen Patriotismus fremd sind, die alt und konservativ sind, selbst wenn sie einen Hauch der westlichen Reklame aufweisen. Gegen sie müssen wir als Kommunisten offen kämpfen."

FRANTIŠEK HAMOUTZ, Stellvertreter des Regierungsvorsitzenden:

„Bei den Betrachtungen über eine Anleihe aus den kapitalistischen Staaten ist es notwendig, sehr ernsthaft zu verfolgen, inwieweit sie ohne jegliche Bedingungen gewährt wird und die Aufnahme von solchen Krediten abzulehnen, die unmittelbar oder mittelbar mit politischen Bedingungen gekoppelt sind. Es geht uns allen um den Aufbau einer hochentwickelten sozialistischen Gesellschaft, die wir uns nicht antasten lassen."

FRANTIŠEK VLXSÄK, Minister und Vorsitzender der Planungskommission:

„Das Gebiet, in dem wir die Hände freibekommen müssen, ist die Sphäre des Außenhandels. Wir befinden uns nach immer in der Situation, daß wir eine hoch uneffektive Ausfuhr realisieren müssen, um die unbedingt erforderlichen Wünsche unserer Einfuhr, insbesondere der aus den westlichen Märkten, decken zu können. Die Erhaltung des Exports dieser uneffektiven Erzeugnisse schafft die Konservierung dieser Produktion, die Erhaltung unseres unökonomischen Nutzeffekts, die Ausfuhr unseres Volkseinkommens.”

JOSEF ŠPAČEK, Mitglied des Präsidiums der KPČ:

„Wir verfügen meiner Meinung nach über genug Mittel, um durch Mobilisierung der gesunden Kräfte der Gesellschaft den antisozialistischen und antikommunistischen Tendenzen Einhalt zu gebieten, gleich ob sie ihren Ursprung in der liquidierten städtischen oder agrarischen Bourgeoisie, in einem Teil des Klerus oder in den Repräsentanten der reaktionären Parteien aus der Zeit vor dem Februar 1948 haben."

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