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Titos Thesen

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Unter den mißbilligenden Augen der Sowjetunion und aller orthodoxdogmatischer Marxisten bereitet sich Jugoslawien vor, einen neuen Sprung auf dem Wege der Demokratisierung seines sozialistischen Systems zu wagen. Im Zusammenhang mit der Ranfkovic-Affäre war schon vor einem halben Jahr die Struktur der Parteispitze umgewandelt worden, um es in Zukunft einem einzelnen zu verunmöglichen, sich innerhalb von Staat und Partei eine gefährliche Machtstellung zu erobern. Schon damals erhoben die besorgten sowjetischen Genossen, die wohl wissen, wie stark das jugoslawische Experiment auf den ganzen europäischen Osten ausstrahlt, starke Einwände, denn die Reform hob — welche Revolution! — die Monopolstellung des bisher in illen kommunistischen Parteien allerin-herrschenden und faktisch unkontrollierbaren Politbüros auf. Dieses wurde zu einem ausführenden Organ des Zentralkomitees erniedrigt, dessen Verantwortung und Einflußmöglichkeiten dadurch erheblich erhöht wurden. Außerdem wurde bestimmt daß in Zukunft niemand gleichzeitig ein hohes Parteiamt und ein hohes Staatsamt ausüben dürfe.

Aber das war erst der Beginn der Reform. Das Zentralkomitee bildete eine besondere Kommission, die die Aufgabe erhielt, Thesen über die Weiterentwicklung und Umorgani-sierung der jugoslawischen Kommunistischen Partei — des „Bundes der Kommunisten Jugoslawiens“ — auszuarbeiten. Dieser Thesenentwurf liegt nun vor und soll in den nächsten Monaten von der jugoslawischen Öffentlichkeit ausgiebig diskutiert werden, um dann auf der nächsten Sitzung des Zentralkomitees die endgültige Fassung zu erhalten.

Obgleich manches etwas verklausuliert erscheint, entpuppt sich dieser Thesenentwurf bei genauerem Studium doch als ein revolutionäres Dokument. So wird von der Notwendigkeit radikaler Veränderungen der Methoden, der Rolle und der Struktur der Partei gesprochen, die „immer weniger ein Faktor der Macht und dafür immer mehr ein Faktor der ideel-politischen Ausrichtung sein soll“. Die Arbeiter sollen „von der Vormundschaft der verselbständigten politischen Gewalt befreit“ und das System der Arbeitenselbstverwaltung soll weiter ausgebaut werden. So sollen die Organe der Selbstverwaltung ihre Entscheidungen „souverän“ treffen können.

Der eigentliche revolutionäre Sprung besteht darin, daß die Partei in Zukunft nicht mehr als ein selbständiges Machtorgan, eine Diktatur über Staat und Gesellschaft ausüben, sondern versuchen soll, ihre Ideen und ihre Politik auf demokratischere Weise zu verwirklichen: Dadurch, daß sie ihre Mitglieder in alle Selbstverwaltungsorgane entsendet, wo diese sich auf der Ebene demokratischer Gleichberechtigung und nur durch die Kraft ihrer Ideen wirkend an der Willensbildung beteiligen. Die Partei soll also aus einem „äußeren Faktor“, einer hierarchisch gegliederten bürokratischen Befehlszentrale und Managerorganisation zu einem „inneren Faktor“ werden, „welcher mit Hilfe von Ideen und.Argumenten sich dafür einsetzt, daß die von den Selbstverwaltungsorganen souverän getroffenen Entscheidungen auf den weiteren Fortschritt der sozialistischen Gesellschaft ausgerichtet sind“. Mit anderen Worten: Die der Partei angehörenden Mitglieder dieser Selbstverwaltungsorgane müssen aus eigener Verantwortung in demokratischer Diskussion — und nicht durch Machtspruch — dafür sorgen, daß die Politik dieser Selbstver-waltungsorgane den Weg des Sozialismus nicht verläßt. Daß dieses „System der unmittelbaren sozialistischen Demokratie“ einige Mühe haben wird, sich einzuspielen, läßt der Thesenentwurf selbst durchblicken. Es ist beinahe so kompliziert wie die Lösung der Quadratur des Zirkels: Die jugoslawischen Kommunisten suchen einen Weg, der sie vom Einparteienstaat weg, aber nicht zum Mehrparteienstaat führt, und es ist denn auch bereits das Wort vom „Keinparteienstaat“ geprägt worden.

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