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Der neue Gottwald-Kult

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Glänzender Schein soll die düstere Wirklichkeit in Prag verschleiern. Laut Parteipropaganda war die Wiederwahl des 77jährigen Präsidenten, General Ludvik Svoboda, „das wichtigste politische Ereignis“ der letzten Wochen. Insofern stimmt das, als Svobodas Ausharren an der Staatsspitze dem Regime einen Schein von Stabilität und Kon-tWfelrttbveteiht. “E: klingt' 'Jedoch recht übertrieben, wenn dabei von einem „triumphalen Sieg des Parteiführers Husäk“ gesprochen wird.

Hinter der frisch gestrichenen Fassade brodelt es. Wichtige Änderungen werden vorbereitet. So soll die Regierungsexekutive in einen „Staatsrat“ umgemodelt werden.

Erwähnenswerte Personaländerungen fanden statt: das ZK-Plenum vom März ernannte das Mitglied des Sekretariats, Jan Baryl, an Stelle des verstorbenen Vaclav Svoboda zum Leiter der Landwirtschaftsund Lebensmittelabteilung des Zentralkomitees. Kein leichter Posten, wenn man weiß, daß die CSSR unter großem Getreidemangel leidet und dringend westliche Importe benötigt. Miroslav Hruskovic und der ewige Phönix, der immer wieder aus seiner eigenen politischen Asche aufersteht, Josef Lenart, sollen bald andere Aufgaben erhalten.

Der hohe Politoffizier mit wissenschaftlichen und literarischen Ambitionen und buntester Vergangenheit, Jaromir Obzina, wurde zum neuen

Innenminister ernannt und auf Gegner und Kritiker des russischen Satellitendaseins warten schwere Tage.

Eine Rehabilitierung des ersten kommunistischen Präsidenten, Kle-ment Gottwald, wurde groß inszeniert. Nach ihm wurde eine neue Brücke benannt und er erhielt ein Denkmal vor dem Parteihaus.

Die KP braucht nach den Säuberungen der vergangenen drei Jahre, denen nicht weniger als 230.000 Mitglieder zum Opfer fielen, eine Bluttransfusion. Deshalb wurden in diesen Tagen 80.000 junge Leute als Kandidaten in die Partei aufgenommen. Nur 50 Prozent von ihnen sind Arbeiter.

Zu Ehren des „triumphalen Februars“ (1948) wurde eine Amnestie erlassen, die hauptsächlich kleinen Verbrechern ohne politische Straftaten zugute kam. Auch „illegalen Emigranten“ soll die Rückkehr erleichtert und schmackhaft gemacht werden, vorausgesetzt, daß sie von der „großzügigen Amnestie“ des Präsidenten Gebrauch machen und bis spätestens 31. Dezember 1973 heimkehren. Die Amnestie bezieht sich nicht auf „politische Verbrecher“ und auf Leute, die im Ausland den Interessen des Landes „Schaden zugefügt“ haben.

Mit der „Normalisierung der Beziehungen zur katholischen Kirche“ steht es ähnlich wie mit der Amnestie. Eine große Geste, aber wenig

Substanz dahinter. Ohne Moskauer Ermutigung wäre jedoch nicht einmal der kleinste konziliante Schritt Prags möglich gewesen. Der Kreml empfiehlt gegenwärtig außenpolitische „Entspannung“. Rom seinerseits erhofft Erleichterung der pastoralen Aktivitäten. In der „Konfrontation mit der Kirche“ erfolgte allerdings eher eine Änderung der Strategie als eine wirkliche Verbesserung.

Auch in der Kultursphäre wird derzeit eine „Normalisierung“ angestrebt, wie dies vom tschechischen Kulturminister, Miroslav Bruzek, oft hervorgehoben wurde. Tatsächlich aber hat die Partei ihre Kontrolle über die neugegründeten Künstler-

verbände gefestigt. Auch Künstler müssen leben und am Schreibtisch fühlt man sich immer noch besser als in einem Steinbruch. Einige Schriftsteller wagten es noch im Dezember 1972, eine Petition an Svoboda einzureichen und um Gnade für verbannte und eingekerkerte Kollegen zu bitten. Sogar Mitglieder des hundertmal durchsiebten neuen Schriftstellerverbandes hatten diese Petition unterzeichnet. Dem Chefredakteur der linientreuen Tvorba, Jifi Hajek, fiel dann die nicht gerade ehrenvolle Rolle zu, die kollegiale Petition öffentlich zu brandmarken und zurückzuweisen. „Normalisierung“ an der literarischen Front bedeutet weiterhin Diskriminisrung und Diffamierung für alle Literaten, die die militärische Okkupation nicht als den Höhepunkt der nationalen Unabhängigkeit und der Freiheit anzusehen und zu loben bereit waren.

liehen flammenden Appellen zur Einheit der kommunistischen Welt. Der unermüdliche Vermittler zwischen Moskau und Peking berührt diese Frage kaum am Rande.

Die Versicherungen der Solidarität mit allen unterdrückten Völkern, die um ihre Freiheit kämpfen, sind echt und insgeheim aufrichtig gemeint. Wenn Ceausescu ausruft: „Es ist an der Zeit, daß jedes Überbleibsel des schändlichen Kolonalsystems auf unserem Planeten für immer verschwinde!“ und wenn er hervorhebt, „wir schätzen die Tatsache als besonders positiv ein, daß die Vollversammlung der Organisation der vereinten Nationen im vorigen Herbst... das unabdingbare Recht der Völker auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit neuerlich bestätigt hat“, so verbirgt sich hinter diesen für den Kreml unverdächtigen Sätzen die eigene Not.

Im Hinblick auf das Abrüstungsproblem fordert Ceausescu wie immer „die Rücknahme der fremden Truppen von den Territorien anderer Staaten hinter ihre nationalen Grenzen“. Nach kommunistischer Leseart war bisher darunter hauptsächlich der Abzug der Amerikaner aus Vietnam zu verstehen. Woran aber soll man heute denken? Da Ceausescu diese Forderung nach einem Blick auf die „Truppen, Waffen und militärischen Anlagen, die auf unserem Kontinent zusammengeballt sind und in der Welt einzigartig dastehen“, erhebt, meint er einerseits wohl die Beendigung des direkten militärischen Engagements der Amerikaner in Europa, anderseits aber gewiß auch die dann fällige billige, ja allzu billige Gegenleistung des Verschwindens der sowjetischen Truppen aus allen Satellitenstaaten.

Die igroße Hoffnung der Rumänen ist die Sicherheitskonferenz in Helsinki. Von ihr erwartet Ceausescu, „daß jede europäische Nation die Garantie erhält, daß sie sich frei und unabhängig, geschützt vor jeder

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