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Der Kampf um den Hradsdiin

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Im März verläßt der letzte Exponent des „Prager Frühlings“, Staatspräsident Ludvik Svoboda, die politische Bühne. Unter den Männern dieses „Frühlings“ war Svoboda — auch rein altersmäßig — ein Außenseiter. Sein ganzes Leben war eigentlich, ungewollt, ein risikoreicher Hürdenlauf gewesen. Auch rein persönlich war ihm nie etwas erspart geblieben, von der Liquidierung seines einzigen Sohnes durch die Nationalsozialisten bis zu jenen Kreml-Gesprächen im August 1968 nach der ersten Entfernung Dubceks, als Svoboda sich in die Gefühlswelt eines Zivilisten versetzen konnte, den er bislang aus tiefster Seele verachtet hatte, in die Seele eines seiner Vorgänger nämlich, des Staatspräsidenten Hacha, als dieser zu Hitler vorgeladen war.

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Im März verläßt der letzte Exponent des „Prager Frühlings“, Staatspräsident Ludvik Svoboda, die politische Bühne. Unter den Männern dieses „Frühlings“ war Svoboda — auch rein altersmäßig — ein Außenseiter. Sein ganzes Leben war eigentlich, ungewollt, ein risikoreicher Hürdenlauf gewesen. Auch rein persönlich war ihm nie etwas erspart geblieben, von der Liquidierung seines einzigen Sohnes durch die Nationalsozialisten bis zu jenen Kreml-Gesprächen im August 1968 nach der ersten Entfernung Dubceks, als Svoboda sich in die Gefühlswelt eines Zivilisten versetzen konnte, den er bislang aus tiefster Seele verachtet hatte, in die Seele eines seiner Vorgänger nämlich, des Staatspräsidenten Hacha, als dieser zu Hitler vorgeladen war.

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Aber das liegt nun schon fast fünf Jahre zurück und ein neues Blatt in der Geschichte der Tschechoslowakei wird in diesem März 1973 zweifellos aufgeschlagen.

Lassen wir einmal das simple politische Schachspiel, lassen wir die Namensspielereien beiseite. Tatsächlich geht es vorerst nicht um Personen, sondern um Prinzipien, die zur Diskussion stehen, und da ist ..die nicht , unwahrscheinlichsje Variante, daß es nach dem April 1973 überhaupt keinen Staatspräsidenten auf der Prager Burg mehr geben wird. Die Tschechoslowakei nimmt hier im Rahmen des Ostblocks tatsächlich eine Ausnahmestellung ein: die meisten anderen Länder des Ostblocks kennen und brauchen keinen Staatspräsidenten. Es wäre dies ein weiterer, starker Bruch mit der Vergangenheit der Tschechoslowakei, wäre eine weitere Maßnahme, künftig sowenig wie möglich auf Beneä oder Masaryk zurückkommen zu müssen. Es wäre gleichzeitig eine Beglaubigung dafür, daß die „Normalisierung“ als perfekt angesehen wird. In normalen Zeiten braucht man tatsächlich keinen Präsidenten und das Repräsentieren übernehmen auch andere. Ein Staatspräsident ist etwas für kritische Stunden, für Krisenzeiten; ist allerdings auch ein Halt für verzweifelte Einzelpersonen, die im Staatsgetriebe nicht mehr ein und aus wissen und in ihm den letzten Halt sehen; auch für Menschengruppen, die im Staatspräsidenten den letzten Hort für die Rechtsstaatlichkeit erblicken. Das soll ja nicht nur in der Tschechoslowakei so sein, Beispiele in anderen Ländern — auch in Österreichs jüngster Geschichte — gibt es ja zur Genüge.

Neben dieser völligen Abschaffung des Staatspräsidentenamtes gäbe es eine zweite Variante: seine Vereinigung mit dem Amt eines Parteisekretärs. Das ist nicht neu und nicht originell. Bezeichnendste Beispiele hiefür sind der erste kommunistische Präsident der Tschechoslowakei, Gottwald, und der vorletzte, der noch lebende Novotny. Die Gegner einer solchen Lösung sind zahlreich. Es sind die Feinde eines Personenkults — die in Moskau kaum dünner gesät sein dürften als in Prag; die Beispiele Gottwald und Novotny waren darüber hinaus solcher Art, daß ihre Nachahmung oder Fortsetzung kaum ratsam erscheint. Im vorliegenden Falle — wenn also Dr. Husäk neben seinem Amt als Generalsekretär auch noch jenes des Staatspräsidenten übernehmen sollte — würde damit der seit 1969 sehr genau genommene Nationalitätenproporz zwischen Tschechen und Slowaken ins Wanken geraten, denn der wichtigste und der repräsentativste Posten läge nun in der Hand eines Slowaken, während Tschechen die in Volksdemokratien eher risikoreichen Stellungen des Ministerpräsidenten und Parlamentspräsidenten bekleiden könnten.

Variante drei: das „Amt“ des Staatspräsidenten bleibt erhalten und wird nicht mit einem anderen hohen Amt gekoppelt. Für den relativ komplizierten Nationalitätenproporz der heutigen Tschechoslowakei, der in der Zeit allgemeiner Nivellierung allerdings eine gewisse Wettbewerbsfunktion zwischen beiden Nationen hat, wäre diese Lösung nicht die schlechteste. Erst recht nicht für einen gesunden Generationenwechsel. Nicht nur die Volksdemokratien, auch die wirklichen Demokratien haben zuwenig prominente Ämter für altgewordene, erfahrene Männer. Da ist die Wirtschaft mit ihren „Aufsichtsräten“ um Nasenlängen voraus. Für den vorliegenden Fall in der Tschechoslowakei: Dr. Husäk ist zwar erst eben 60 Jahre alt geworden, aber in unserer raschlebigen und komplizierten Zeit mit ihren vielfältigen Beanspruchungen ist dies kein Jünglingsalter mehr; darüber hinaus haben die „Kronprinzen“ auch schon das fünfzigste Lebensjahr überschritten und stehen in einem für Politiker guten Alter, allen voran natürlich der Chef der Bundesregierung, Strougal. Eine solche Variante würde erstmals einen Slowaken auf die „Burg“ bringen, die Tschechen hätten wieder den wichtigsten Posten, den des Parteisekretärs, in der Hand — bis zum nächsten Schachzug.

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