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Kampf der Worte, halb vergessen

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I s gibt Tabus, die in allen /kommunistischen Ländern als unantastbar gelten: an erster Stelle stehen die „führende Rolle der Partei" und die Zugehörigkeit zum „sozialistischen Lager" unter sowjetischer Hegemonie. Uber das Ausmaß der Freiheit der Kultur in den verschiedenen kommunistischen Ländern entscheidet dann die Interpretation dieser Tabus durch die zuständigen Behörden der Staats- und Parteiaufsicht.

In der Tschechoslowakei, besonders in den tschechischen Ländern, wo die Literatur während der letzten zwei Jahrhunderte die Aufgaben der Politik übernahm und diese praktisch oft vertrat, ist der Konflikt zwischen der Macht und Kultur noch schärfer als anderswo.

Die praktischen Folgen dieser Lage sind gut bekannt. Es gibt eine schwarze Liste der tschechischen Schriftsteller — von nicht weniger als 150 Autoren darf seit einem Jahrzehnt nicht einmal eine Zeitungsanzeige mit Namensnennung veröffentlicht werden. Manche Schriftsteller sitzen in den Kerkern von Bory, Mirov oder Ruzyne, während die anderen „freiwillig" im Exil leben.

Diese Lage ist in der Geschichte der Tschechoslowakei nichts Neues. Die heutige kommunistische Unterdrückung der nonkonformistischen Autoren wiederholt das Vorbild der kommunistischen „Kulturrevolution" nach dem Staatsstreich von 1948. Der kommunistischen Partei fällt etwas Neues eben nur selten ein.

Die sogenannte „Normalisierung" des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens in der Tschechoslowakei — nach der Machtergreifung durch die heute regie>rende Husak-Führung hat seltsame Früchte hervorgebracht. Um zu verstehen, was in der Tschechoslowakei vor sich geht, muß man nur Alexej Pludeks Roman „Va banque" (Vabank) lesen, einen Roman, der ganz gut auch in Streichers „Stürmer" hätte erscheinen können, weil er die ganze Entwicklung in der Tschechoslowakei während des,.Prager Frühlings" als Folge einer „Zionistischen Verschwörung" interpretiert

Pludeks Roman gehört bestimmt in den Bereich der literarischen Pathologie. Obwohl er eine außergewöhnliche Ausnahme ist, wurde er aber auch zum Symptom der gegenwärtigen pathologischen Lage der tschechischen Kultur und Literatur.

Jifi Sotola, der ehemalige Reformkommunist, stellt mit seinem Roman „Das Huhn am Spieß" Kufe na rozni — Kure, das heißt Huhn, ist auch der Name des Romanhelden, ein Beispiel der zugelassenen Freiheit vor. Sein Buch ist eine ganz angenehme, aber völlig problemlose Erzählung, die niemanden verletzt und nichts berührt.

Pludek und Sotola mit ihren obengenannten Werken wurden zu Musterbeispielen der gegenwärtigen Situation der offiziellen tschechischen Literatur, abgesehen von wirklich seltenen Ausnahmen, wie sie die Fast-Klassi-ker Vladimir Neff und Bohumil Hrabal bedeuten. Die Mehrheit der offiziell herausgegebenen Literatur ist wie Sotolas Roman; Pludek hat bisher nur wenige Nachfolger gehabt.

Die jungen Autoren, die offiziell publizieren wollen, üben Selbstzensur, die alle—eventuell — zweideutigen oder fragwürdigen Figuren, Motive und Dialoge präventiv entfernt.

In derselben Zeit schreibt der katholische Dichter Zdenek Ro-trekl, ein ehemaliger politischer Gefangener des Regimes, der mehr als 15 Jahre in Lagern und Kerkern verbracht hat, seine Gedichte und Essays, erstaunlich klar und ohne Haß, ganz in der Tradition seines seligen Kollegen und Schicksalsgenossen Jan Zah-radnicek.

Ein anderer Absolvent der Knastuniversität, Petr Kopta, hat als Hilfsarbeiter seine komplette Ubersetzung der Werke von Apollinaire beendet. Karel Pecka, dessen Roman „Dickicht der Angst" (Horecka) vor einem Jahrzehnt in Österreich erschien, ebenso ein Häftling von damals, erreichte in seinem letzten Roman „Die Kassiber an einen Vermißten" (Motd-ky nezvestnemu) einen Höhepunkt der gegenwärtigen tschechischen Prosa.

Diese Bücher aber sind in der Tschechoslowakei nur in maschinengeschriebenen Kopien bekannt, oder in Ausgaben der tschechischen Exil Verlage (wie „8 Publishers" in Toronto, „Acade-mia Christiana" in Rom, „Konfrontation" in Zürich oder „Index" in Köln), deren Produkte in die Tschechoslowakei geschmuggelt werden.

Dieses Schicksal teilen Rotrekl, Kopta und Pecka mit dem katholischen Theologen Josef Zverina (15 Jahre in Lagern und Gefängnissen), dem Autor der Essays „Uber den Mut, eine Kirche zu sein" (Odvaha byt cirkvi), und dem Sprecher der Menschenrechtsbewegung Charta 77, dem evangelischen Philosophen La-dislav Hejdänek „Briefe an einen Freund" (Dopisy pfiteli).

Es genügte eigentlich, die lange Liste der verbotenen Autoren aufzuzählen; nur die Exilverlage veröffentlichten jährlich etwa hundert Neuerscheinungen, während die inoffiziellen Verlage in der CSSR („Edice Petlice", „Ex-pedice", usw.) immer neue Texte von Autoren wie des Dramatikers Vaclav Havel oder einem unter dem Decknamen „Slädecek" schreibenden Historiker illegal herausbringen.

Vor kurzem wurde der französische Philosoph Jacques Derrida während eines Seminars der inoffiziellen Jan-Patocka-Universi-tät (Prof. Patocka war einer der ersten drei Sprecher der Charta 77) verhaftet Erst nachträglich haben ihn die kommunistischen Behörden fälschlich des Schmuggels von Narkotika beschuldigt.

Das Seminar hat in der Wohnung von Nachtwächter Dr. phil. Ladislav Hejdänek stattgefunden.

Diese parteipolizeiliche Aktion ist keine Ausnahme und kein Zufall - vom Standpunkt des kommunistischen Regimes in der „normalisierten" Tschechoslowakei aus sind Bücher und Gedanken wesentlich gefährlicher als jedes Rauschgift

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