6546629-1947_19_02.jpg
Digital In Arbeit

Verloschenes Meteor

Werbung
Werbung
Werbung

Mit einem in der Öffentlichkeit wenig beachteten Prozeß schloß der Prager Volksgerichtshof seine durch die Retributions-dekrete begrenzte zweijährige Tätigkeit ab. Als letzter von 80 führenden Persönlichkeiten der ersten und zweiten tschechoslowakischen Republik saß ein unglaublich gealterter und verfallener Mann auf der Anklagebank, ein mit unzähligen Orden bedeckter früherer General, dessen Laufbahn als Soldat und als politischer Führer eine außergewöhnliche war. Sein Name hatte vor zwanzig Jahren gleich einem Meteor aufgeleuchtet — und war dann wieder im Dunkel versunken wie der des Feuerkreuzlerführers Colonel de la Rocque oder des russischen Admirals Koltschak.

Radola Gajda, 1892 in Cattaro geboren, war ein unbekannter österreichischer Soldat, als er während des ersten Weltkriegs mit seinem Regiment an die Balkanfront ging. — Er trug buchstäblich den Marschallstab im Tornister. Nach seiner Desertion in Montenegro steigt der bisherige Fähnrich zum Offizier in den neugebildeten tschechischen Legionen auf, wird 1917 in Rußland ihr Generalmajor und dann gegen Kriegsende ihr Führer in dem großen Abenteuer der sibirischen Anabasis. Schon in den Kämpfen zwischen Weiß und Rot hatte er eine große, wenn auch nicht ganz eindeutige Rolle gespielt; dann aber gelang es ihm, die kleine tschechische Armee mitten durch das brodelnde und von Revolutionsbränden überhitzte Rußland nach Wladiwostok und dann nach der Heimat zu bringen.

Seine Rolle in Rußland verschaffte ihm einen triumphalen Empfang. Er, der Legionenführer, ist nun der jüngste General der Republik und wird, knapp Dreißig, stellvertretender Chef des Generalstabs für General Syrovy. Er, der gar kein richtiger Tscheche ist. Der eigene Aufstieg und die Beispiele Mussolinis, Primo de Riveras und Pilsudskis lassen aber den Ehrgeizigen nicht schlafen und er wälzt Pläne, um das demokratische System zu stürzen und eine Militärdiktatur aufzurichten. Im Juni 1926 kommen seine dunklen Konspirationen ans Tageslicht, er wird auf Urlaub geschickt und noch im selben Jahr degradiert.

Damit ist die Staatskrise beseitigt — aber der gestürzte Kondottiere macht noch mehr als ein Jahrzehnt von sich reden. Er tritt nunmehr offiziell der neugegründeten Nationalen Faschistengemeinde“ (NOF) bei und wird ihr Führer. 1929 gelangte er mit Sribrny ins Abgeordnetenhaus und wird hier ein Querulant mit katilinarischen Anlagen. Doch dauert seine parlamentarische Tätigkeit nicht lange, denn schon ein Jahr später wird er wegen Mitwisserschaft bei einem politischen Einbruch zu zwei Monaten Kerker und Mandatsverlust verurteilt. Aber als im Jänner 1933 in Brünn der Kobzinek-Putsch stattfindet, ist Gajda schon wieder irgendwie mit im Spiel, er wird zwar in dem Prozeß gegen die Kasernenstürmer freigesprochen, doch wird das Urteil aufgehoben und eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten ausgesprochen.

Dann aber ist Hitler.Diktator in Deutschland. Welch ein faszinierender Geistesverwandter! Nach verschiedenen Versuchen, eine „Slawische Front“ zusammen mit den Slowaken und Dr. Kramaf herzustellen, kandidiert Gajdas NOF 1935 allein und erringt einen Erfolg: sechs Abgeordnete mit Gajda an der Spitze ziehen ins Rudolfinum ein. Aber der Parteichef kann zwar Verschwörungen stiften, aber nicht politisch führen, und selbst in seiner Faschistengemeinde meutern viele Unterführer und verlassen die Partei. Sicher hatte der frühere Ministerpräsident Beran recht, wenn er in dem jetzigen Prozeß als Zeuge sagte, Gajda habe sich in der Politik wie ein „Elefant im Porzellanladen“ benommen.

Die letzte Chance für seinen Flackergeist war der 15. März 1939. Als Vorsitzender des Nationalausschusses spielte er im politischen Leben des Protektorats allerdings nur eine kurze Rolle, zog sich dann aber völlig ins Privatleben zurück, nicht ohne daß ihm vorher die Protektoratsregierung seine Schulden bezahlt und eine Mühle gekauft hätte. Präsident Dr. Hacha antwortete später auf eine Frage Hitlers, Gajda sei ein „Abenteurer“, doch konnte selbst das Erachten des „Führers“, daß man gerade solche Leute jetzt am meisten brauche, in der Tschechoslowakei kein Verlangen nach mehr Gajda hervorrufen. Das Urteil des Gerichts, das ihm zwei Jahre Kerker zuerkannte, die Gajda durch seine Untersuchungshaft schon verbüßte, billigte ihm patriotische Gesinnung zu. Es ließ den zerbrochenen, erst Fünfund-fünfzigjährigen ziehen. Sein Land fürchtet ihn nicht mehr. Der Vorhang fällt wieder über eine der eigenartigsten Rebellengestalten unseres Zeitalters. Die Dichter werden seine Geschichte ausgraben und ein Trauerspiel daraus machen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung