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„Lenin, nicht Masaryk“

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Am 24. Mai 1934 schritt die tschechoslowakische Nationalversammlung im Wladi-slawschen Saal der Prager Burg zum viertenmal seit Bestand der Republik zur Wahl des Staatsoberhauptes. Von den 418 abgegebenen Stimmzetteln waren 53 leer, 327 lauteten auf den Namen Thomas Garrigue Masaryk und 38 auf den Namen des Führers der Kommunistischen Partei, Klement Gottwald. Die Wahl war ein eindeutiger Sieg Masaryks und eine eindeutige Niederlage Gottwalds. „Masaryk, nicht Lenin“, hätte über dieser Wahl stehen können.

Der unterlegene Kandidat konnte dem Sieger, wie es in demokratischen Ländern Brauch ist, nicht einmal gratulieren, denn er weilte außerhalb des Landes, und ein Haftbefehl, der hinter ihm herlief, verhinderte seine Rückkehr. Knapp vor der Präsidentenwahl hatte die Kommunistische Partei ein Flugblatt herausgegeben, das die Ueberschrift trug: „Lenin, nicht Masaryk“. Auf Grund des Republikschutzgesetzes hatte die Staatsanwaltschaft gegen den Urheber dieses Flugblattes, den Vorstand der Kommunistischen Partei, die Anklage erhoben, das Parlament hatte die Immunität des Abgeordneten Gottwald aufgehoben, aber die Polizei, die den Haftbefehl ausführen wollte, fand seine Wohnung leer. Er war nach Moskau geflohen.

Die Leitung der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei nahm ein junger Abgeordneter namens Sverma in die Hand. Er sprach für einen Kommunisten seltsame Worte. So erklärte er, daß die bürgerliche Demokratie solange die beste Staatsform sei, als der Kapitalismus bestehe. Auch versicherte er, daß die Kommunisten für die Verteidigung der Republik gegen jeden faschistischen Angreifer sein würden. Unter seiner Leitung stimmte die Partei für das Expose1 des Außenministers Benesch und die Budgetpost des Sozialministers Necas, schließlich, Dezember 1935, sogar für die Präsidentschaft des Schul :rs Masaryks, für Dr. Benesch. »Masaryk, nicht Lenin“, schien auch als

Wahlspruch über der Kommunistischen Partei der Republik zu stehen.

Am 14. Dezember 1935 hatte Masaryk seinen letzten Akt als Präsident unterzeichnet. Es war ein Amnestieerlaß, unter den auch Gottwald fiel. Er kehrte zurück und übernahm wieder die Führung der Partei. Eine radikale Säuberung begann. Alle Parteimitglieder, die den versöhnlichen Kurs Sver-mas mitgemacht hatten, wurden entfernt. Sverma selbst bekannte im Jahre 1936, am VII. Parteikongreß in öffentlicher „Beichte“ seine „Verfehlungen“ und konnte noch in der Partei bleiben. Der Spruch „Lenin, nicht Masaryk“ galt wenigstens wieder in der Partei. Gottwald hatte gesiegt. Nicht zum erstenmal.

1929 schon hatte er seinen ersten Sieg errungen: als der Sozialdemokrat Tusar im Jahre 1920 die linksradikalen Elemente aus der Sozialistischen Partei ausgeschlossen hatte, konstituierte sich diese „Linke der Linken“ als Kommunistische Partei. Ihr führender Kopf wurde Dr. Smeral. Er hatte als Mitglied des Wiener Reichsrates immer eine gemäßigte Rolle gespielt, war ein unbedingter Anhänger der alten Monarchie gewesen, ein „k. k. Sozialdemokrat“, der während des Krieges sich nicht scheute zu sagen, daß die Politik' Masaryks ein Unglück für die tschechische Nation darstelle, die Böhmen nur einen neuen „Weißen Berg“ bescheren werde. Auch als Führer der neuen Kommunistischen Partei blieb er ein Gemäßigter, der erklärte, daß er den Parlamentarismus nicht ablehne, sondern sich verpflichtet fühle, konstruktive Opposition zu treiben. Eine Ansicht, die ihm von den radikalen Elementen der Partei den Vorwurf einbrachte, daß er nicht „Leninismus“, sondern „Smeralismus“ betreibe. Bis 1929 konnte er sich halten, dann stürzten ihn endgültig die radikalen Elemente innerhalb der Partei. Der neue führende Kopf wurde Klement Gottwald, ein ehemaliger Tischlergehilfe, der nach dem ersten Weltkrieg sich gleich der neuen Kommunistischen Partei angeschlossen hatte und langsam die Stufenleiter hinaufgeklettert war. Es war der erste Sieg des bisher Unbekannten.

Nach 1929 und 1936 erfolgte 1946 Gottwalds dritter Sieg: Dr. Benesch war nach seiner Abdankung im Oktober 1938 nach London ins Exil gegangen. Gottwald selbst wandte sich nach Moskau. Nach Abschluß des deutsch-russischen Freundschaftspaktes gingen die tschechischen Kommunisten zu scharfen Angriffen gegen Benesch über. Nach Ausbruch des deutsch-russischen Krieges kam es zu einem Waffenstillstand zwischen den beiden Emigrationen. Als Benesch im Dezember 1943 in Moskau weilte und seine Zusammenarbeit mit Rußland vertiefte, wurde der Waffenstillstand zwischen beiden Emigrationen zu einem „Modus vivendi“ erweitert. Beide Richtungen beschlossen, zusammenzuarbeiten, Neuwahlen sollten, sobald die Heimat befreit sei, die Lage klären. „Masarvk und Lenin“ stand als Parole über dieser Zusammenkunft. Als Folge des Moskauer Aufenthaltes von Dr. Benesch trat der bisherige Ministerpräsident Monsignore Sramek ab und der bisherige Gesandte in Moskau, Fierlinger, trat an seine Stelle.

Fierlinger blieb Ministerpräsident bis 1946. Dann fanden die ersten Wahlen in der befreiten Heimat statt. Wahlen in einem Land, das die Deutschen ausgetrieben hatte, teilweise auch seine Magyaren, die Besitzenden enteignet und alte politische Parteien, wie die Agrarier, ausgeschaltet hatte. Die Wahl fiel entsprechend aus, 37,9 Prozent der Stimmen erhielten die Kommunisten. Sie waren die stärkste Partei und ihr Führer Klement Gottwald wurde Ministerpräsident.

Dann begann ein zähes Ringen, über dem die Parole „Lenin oder Masaryk“ stand. Es dauerte zwei Jahre. Im Februar 1948 fiel die Entscheidung: ein Teil der bürgerlichen Minister des Kabinettes Gottwald trat zurück, in der Hoffnung, dadurch eine Gesamtdemission der Regierung Gottwald zu erzwingen und die ständig wachsende Macht der Kommunisten zu brechen. Der Streich mißlang, denn Gottwald trat nicht zurück, er hielt sich nicht an die demokratischen Spielregeln. Er mobilisierte die Arbeiter und verlangte vom Präsidenten die Ernennung neuer, „verläßlicher“ Minister. Benesch, müde, erschöpft, von der Armee im Stich gelassen, gab nach. Als Gottwald einige Monate später eine neue Verfassung einführen wollte, verweigerte Benesch die Unterschrift. Es war der letzte Widerstand eines Ohnmächtigen, dem nur die Konsequenz blieb, auf diesen Schritt zu gehen. Einsam starb er einige Monate später auf seinem Besitz in Südböhmen. Die Nationalversammlung aber wählte Klement Gottwa'd als neuen Präsidenten. Sein Sieg war vollkommen. „Lenin, nicht Masarvk“, stand endgültig über der Republik Masaryks.

Und noch einmal errang er einen großen Sieg: als sich innerhalb der eigenen Partei um die Person des Außenministers Clementis und die Person des Zentralsekretärs Slansky so etwas wie eine Opposition gegen Gottwald bildete. Erbarmungslos schlug er zu und brachte seine ehemals besten Freunde an den Galgen. Der erst 56jährige stand auf dem Gipfelpunkt seiner Macht. Doch da griff die Macht des Todes nach ihm, über den er, der oftmalige Sieger, nicht mehr Sieger bleiben sollte: am 7. März sprach er einen Nachruf für Stalin im Radio, am 9. März nahm er ant Begräbnis Stalins teil, am 11. schritt er nach seiner Rückkehr auf dem Prager Flugplatz die Front der Fhrenkompagnie ab, am 12. zeigte ein Bulletin seine Erkrankung an, am 14. März, um 11 Uhr vormittag, hörte sein Herz zu schlagen auf.

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