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Wenn yolksdemokraten die Macht ergreifen...

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Die Genossen jubeln und schwingen rote Fahnen: „Ein Siegestag der Werktätigen!“ Die Städte der ÖSSR sind geschmückt mit Plakaten, Transparenten und Bildern... Auch hohe Genossen aus Moskau sind nach Prag zu den Feierlichkeiten gekommen ... Und das Volk?

30 Jahre kommunistische Herrschaß in der CSSR. Gegen den Willen der überwiegenden Mehrheit des Volkes installierten vor drei Jahrzehnten Klement Gottwald und seine „Getreuen“ durch einen Staatsstreich ein totalitäres Regime nach Moskauer Vorbild in der Tschechoslowakei. Die Demokraten aller Schattierungen flüchteten, wurden eingekerkert, hingerichtet oder verjagt. Die „Volksdemokraten“ waren an der Macht und liquidierten jeglichen Widerstand.

Die Machtergreifung der KPC darf nicht nur als lokales Ereignis der Tschechoslowakei angesehen werden. Zwar bedeutete es eine weitere Station auf dem Leidensweg der Völker Böhmens, Mährens und der Slowakei, doch wurde durch die Prager Februarvorkommnisse ganz Europa in den Strudel einer neuerlichen Konfrontation gerissen, die bis zum heutigen Tag anhält: die Konfrontation zwischen dem östlichen und dem westlichen Machtsystem! Gerade aus diesem Februar 1948 hat der Westen seine Lektionen gelernt, und auch heute noch kann er als Musterbeispiel für kommunistische Taktik und für rücksichtslose Machtergreifung einer kommunistischen Partei - die sich ständig zur Demokratie bekennt - angesehen werden.

Lektion eins: Die KPC hatte 38 Prozent der tschechoslowakischen Bevölkerung hinter sich, der Großteil der Arbeiterschaft stand auf ihrer Seite, ebenso die Polizei, die innerhalb kürzester Zeit total kommunistisch unterwandert war. Fazit: Den Kommunisten genügten offenbar diese Ordnungsmacht und die bewaffneten Arbeitermilizen im Rücken, um den demokratischen Rechtsstaat nach ihren Vorstellungen umzuwandeln.

Lektion zwei: Die KPC bekannte sich nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu ihrer Machtergreifung zum parlamentarischen System und zur Demokratie. Was sie darunter verstand, erwies sich kurz nach dem Februar 1948: Vertreibungen, Entlassungen, Verhaftungen, Hinrichtungen, Schauprozesse. Die Prager Ereignisse zerstörten endgültig die Illusion, daß eine KP als Parteibewegung parlamentarischen und demokratischen Charakter haben könnte. Seit dem Februar 1948 be-. trachtet man die kommunistischen Parteien im Westen mit kritischen Augen, und bei der Einschätzung der Eurokommunisten von heute, besonders des französischen KP-Chefs Georges Marchais, ist ein Blick auf die Prager Ereignisse klärend. Marchais kann unter den eurokommunistischen Führern am ehesten mit dem damaligen KPC-Chef Gottwald verglichen werden, vor allem was die politische Taktik betrifft. Weshalb besteht Marchais wohl so vehement auf der Übernahme des Innenministeriums durch seine Partei, falls die Linke bei den kommenden Wahlen den Sieg davontragen sollte? Ein Eurokommunist? Oder eher ein „Gottwald-Kommunist“?

Lektion drei: Spätestens seit der Machtergreifung der KPC ist im Westen klargeworden, wer im sowjetischen Herrschaftsbereich das Sagen (und nicht nur das Sagen) hat. Die erst später entwickelte chinesische These vom „Moskauer Sozialimperialismus“ hatte schon in jenem Februar ihre Gültigkeit. Damals galt und heute gilt in Prag kein „Selbstbestimmungsrecht der Völker“. Es galt nur, was Moskau nützlich war. Damals waren es ein angereister „Umsturz-Experte“ und „zufällige“ Truppenmanöver an der tschechisch-sowjetischen Grenze, die den Umsturz ermöglichten. Heute sind es Militärberater und gigantische Waffenlieferungen, die ein moskautreues Regime - in Äthiopien - stützen oder ein vom Westen abhängiges - in Somalia - stürzen sollen.

Mit diesen Lektionen aus dem Februar 1948 wurde im Westen ein Mythos zerstört: der Mythos vom demokratischen Kommunismus. Können wir heute zulassen, daß Kommunisten - welcher Richtung sie immer angehören - diesen Mythos wieder aufbauen und wir ihm glauben?

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