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Das Ende eines Tribunen

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Um die Jahrhundertwende erschien in Wien ein junger Mann, der hier als Redakteur einer tschechischen Zeitung in die politische Arena trat. Sein kurzer Wiener Aufenthalt genügte, um seine Partei auf ihn aufmerksam zu machen. Sie berief ihn in die Redaktion ihres Prager Hauptorgans und entsandte ihn — da er sich bewährte — 1911 in den Wiener Reichstag. Niemand ahnte damals, daß der junge J i r { Stf ibrny später eine bedeutende Rolle in der tschechischen Politik spielen werde, und kaum einer hätte es für möglich gehalten, daß dieser begabte und energische Patriot in lebenslangem Kerker enden werde.

Stribrn^ war einer der Quadrumvirn des 28. Oktober 1918 — des Gründungstages der Tschechoslowakei — und bekleidete in den folgenden Jahren fast ununterbrochen hone Ministerämter: zunächst das Post-, dann das Eisenbahn- und schließlich das Verteidigungsministerium. Eine Zeitlang war er sogar Stellvertreter des Minister-“ Präsidenten Svehla und jahrelang Vertreter der Volkssozialistischen Partei in der „Pitka“, dem Koalitionsfünferausschuß, der in der ersten Zeit die Politik des jungen Staates maßgebend beeinflußte. 1925 aber mußte er im Zusammenhang mit der Affäre des päpstlichen Nuntius Marmaggi das Kabinett verlassen, da sein Treiben auf Suspendierung der diplomatischen Beziehungen zum Vatikan auf Widerstand stieß. Damit begann sein politischer Abstieg. Im September 1926 erfolgte nach dem nie ganz aufgeklärten Gajda-Skandal sein Ausschluß aus der Volkssozialistischen Partei.

Die folgenden Jahre sehen den chauvinistischen- Tribunen als erbitterten Gegner von Dr. Benesch -t— aber auch des Präsidenten Masaryk. Er ist gegen Sudeten-^eutsche und Juden, sympathisiert aber zugleich mit Mussolini — später auch mit 'Eitler — und träumt von einer panslawischen Front, die gegen die kommunistische Internationale gerichtet sei. Seine neue Partei — die „Liga“ — hat freilich hur in Prag nenr.enswerteen Anhang gewinnen können. Es waren das die Gassenjungen Prags, dieselben, die im September 1930 skandalöse Krawalle gegen den deutschsprachigen Film „Zwei Herzen im Dreivierteltakt“ veranstalteten.

Zweimal versuchte der heutige Unterrichtsminister Dr. Stransky den Feind des Außenministers Dr. Benesch zur Strecke zu bringen, mit nichts geringerem als der Anschuldigung, sich bei Lieferungen von Waggons und Kohle persönlich bereichert zu haben. Beide Male wurde der frühere Eisenbahnminister freigesprochen — aber nur „mangels an Beweisen“. Eine Zeitlang schien es, als ob die Vereinigung Dr. Kramafs mit StKbrny dem nationaldiauvinistischen Lager starken Auftrieb veVleihen würde — aber nach dem Tode des großen Partners zerfällt der uneinheitliche, Wahlblock.

Während der deutschen Besetzung Böhmens ist Stnbrny nicht hervorgetreten. Er schwieg und versagte sich auch den Nazis. Aber seine Vergangenheit wurde ihm nicht vergessen. Nachdem er monatelang unbehelligt in Prag gelebt hatte, wurde er im Vorjahr verhaftet und unter Anklage gestellt. Sein Hinweis, daß er allein auf der Anklagebank sitze, während viele andere Politiker das gleiche wie er getan hätten, konnte ihn nicht vor der Verurteilung retten.

Als ein zu lebenslänglichem Kerker verurteilter Mann von 67 Jahren verließ er den Gerichtssaaal. Ein Entrüstungssturm des Auditoriums brauste gegen das strenge

Urteil auf. Gerade 15 Jahre waren es her, seit der Prager Volkstribun vom Schwurgericht am Karlsplatz freigesprochen worden wir, um — damals von seinen Anhängern mit einer Dornenkrone geschmückt —x als Märtyrer durch die Prager Gassen zu ziehen . . . Sic transit...

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