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Prager Frühling 1972

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Gewisse Sektoren der westeuropäischen kommunistischen Parteien und parteilose Linksintellektuelle bemühen sich, die Intellektuellen des „Prager Frühlings 1968“, die jetzt dutzendweise eingekerkert sind, zu befreien. Sie möchten auch verhindern, daß in der CSSR weitere politische Prozesse gegen Intellektuelle, die Moskaus Intervention und Vorherrschaft abgelehnt haben, vorbereitet und durchgeführt werden. „L'Humanite“, das offizielle Organ der französischen KP, hat eine offiziöse Erklärung veröffentlicht, wonach die KPF weiterhin auf der Basis des 19. Parteikongresses stehe und die Militärische Intervention vom 21. August 1968 in der CSSR verurteile. Sie nehme daher mit Genugtuung die Erklärung des Generalsekretärs der tschechoslowakischen KP zur Kenntnis, derzufolge in Hinkunft „keine politischen Prozesse stattfinden werden“.

Die Wochenzeitschrift der Italienischen KP, „Rinascita“, schrieb von „traurigen Nachrichten aus Prag“ über Liquidierungen, Säuberungen in der Partei, in den Gewerkschaften, unter den Professoren, an den Universitäten, in der Presse und unter den Intellektuellen. „Die italienischen Kommunisten, die Internationalisten, die Revolutionäre fühlen sich tief verletzt angesichts der Prager Ereignisse.“ Bekanntlich wurden mehrere italienische Journalisten aus Prag ausgewiesen, darunter die Berichterstatter Ferdi-nando Zidar und Valerio Ochetto.

Ein Aufruf von französischen Linksintellektuellen erschien in der Pariser Zeitung „Le Monde“ unter dem Titel: „Aufruf zugunsten der Opfer der tschechoslowakischen Repression.“ Das Schriftstück trug 144 Unterschriften, darunter jene von Jean-Paul Sartre, Arthur London (ehemals tschechoslowakischer Stellvertretender Außenminister, dessen verfilmtes Buch „Das Geständnis“ ein Welterfolg wurde), Simone de Beauvoir, Roger Garaudy (er wurde wegen seiner antirussischen, kritischen Haltung im Jahre

1970 aus der kommunistischen Partei ausgeschlossen) und vom griechischen Komponisten Mikis Theodorakis.

Passive Resistenz

Die Erklärung für die neuerliche Verhaftungswelle in der CSSR besteht darin, daß Husäk von den neo-stalinistischen Repräsentanten der „harten Parteilinie“, namentlich und in erster Linie von Vasil Bilak und Alois Indra, die nur darauf warten, daß der greise Präsident Svoboda sich zurückzieht, hart bedrängt wird. In Kreisen der Pariser Links- und KP-Intellektuellen hört man: „Husäk handelt deswegen so, well die Sowjetpistolen an seine Schläfe gesetzt sind.“ In Paris und Rom sind übrigens hohe Parteikreise der Ansicht, daß Husäk, falls er den Druck der Hardliners überleben kann, manche wirtschaftliche Methoden der Reformer von 1968 verwirklichen werde müssen.

Trotz 37monatiger systematischer „Normalisierung des Kulturlebens“ ist der zuständige Ressortminister in Prag, Miloslav Bruzek, höchst unzufrieden, weil die passive Resistenz der tschechischen Autoren, Schauspieler und Kritiker an der Theaterfront stärker und wirksamer ist als je zuvor! Säuberung, administrative Maßnahmen und Gefängnis gegen Künstler gössen Öl ins Feuer, obwohl diese Kategorie von Künstlern nicht einmal ein Publikationsorgan besitzt, seitdem 1970 „Divadeini No-viny“ und „Divadlo“ verboten wurden. Premierenberichte und Kritiken werden in den Tageszeitungen derzeit von Analphabeten geschrieben, die nicht die geringste Qualifikation für ihre Tätigkeit besitzen. Niemand nimmt sie ernst und die Krise in den Theatern bleibt latent. Kein Wunder, daß Vladimir Hrouda die Geduld verlor und in den Spalten der parteiamtlichen „Rüde Prävo“ eine Windmühlenattacke gegen Schauspieler, Autoren, Producers, Übersetzer, die ganze „dramaturgische Sippschaft“, ja sogar gegen die zuständigen Parteifunktionäre ritt. Eine Delegation, bestehend aus elf namhaften französischen Künstlern, besuchte auf Einladung der Tschechoslowakisch-Französischen Gesellschaft unter Führung des weltberühmten Karikaturisten Jean Effel, ihres Präsidenten, kürzlich Prag und sie wurde auch vom berüchtigten Säuberer, dem Minister Bruzek, empfangen. Ohne auf Einzelheiten einzugehen, versprach der Kulturminister, daß er das Ensemble des „Theaters hinter dem Tor“ nicht auflösen und das Theater nicht schließen werde. Der Preis dafür ist allerdings ein hoher — die Aufgabe nämlich der bisherigen gesellschafts-und parteikritischen Linie. Nach ihrer Rückkehr haben die Franzosen aus ihren Befürchtungen kein Hehl gemacht.

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