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Kommunist der letzten Stunde

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Unter den Schlagstöcken der Polizei, im Donnern der Panzerketten und im giftigen Nebel des Tränengases wurde die vorläufig letzte Darbietung auf der tschechoslowakischen Schaubühne gegeben. Alles andere, was dann kam, hatte kein Publikum mehr, die Akteure waren unter sich. Am 21. August 1969 aber waren die Plätze von Reichenberg bis Preßburg, von Prag bis Pilsen, von Brünn bis Mährisch-Ostrau noch einmal der Ort, wo ein ganzes Volk nach Freiheit rief. Dieser Ruf war identisch noch immer mit jenem anderen: Nech zije Dubcek. Lang lebe Dubcek. Er wollte die Freiheit. Wollte er Unmögliches?

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Unter den Schlagstöcken der Polizei, im Donnern der Panzerketten und im giftigen Nebel des Tränengases wurde die vorläufig letzte Darbietung auf der tschechoslowakischen Schaubühne gegeben. Alles andere, was dann kam, hatte kein Publikum mehr, die Akteure waren unter sich. Am 21. August 1969 aber waren die Plätze von Reichenberg bis Preßburg, von Prag bis Pilsen, von Brünn bis Mährisch-Ostrau noch einmal der Ort, wo ein ganzes Volk nach Freiheit rief. Dieser Ruf war identisch noch immer mit jenem anderen: Nech zije Dubcek. Lang lebe Dubcek. Er wollte die Freiheit. Wollte er Unmögliches?

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William Shawcross, der junge englische Diplomat, war allen Journalisten, die in diesen bedrohlichen Augusttagen und nachher die CSSR besuchten, kein Fremder. Wo er mit seinem gewaltigen Kopfschmuck auftauchte, war er Mittelpunkt, stets voller Neuigkeiten, stets aber auch bereit, sich mit englischer Kühle von seiner eigenen leidenschaftlichen Engagiertheit zu distanzieren. Schon damals sezierte er, um später analysieren zu können. Das ist ihm in seinem nun vorliegenden Buch in hervorragender Weise gelungen. Die Distanzierung geht dabei eher einen Schritt zu weit, sein „anständiger“ Held färbt sichtlich auch den Autor, dessen Urteile lieber einmal vor lauter Objektivität unscharf als verletzend oder herausfordernd sind. Es ist hier nicht der Ort und Platz, um die Frage zu beantworten, welche Nachwirkungen die kurze Phase Dubcek in seinem Volk haben wird. Die Meinungen darüber gehen auch unter Kennern des Landes und seiner jetzigen Machthaber auseinander. Wichtiger ist, ob die Popularität des Erzkommunisten Dubcek, der doch die gesamte kommunistische Hierarchie der Welt vor den Kopf stieß, für ein Comeback reicht. Shawcross stellt diese Frage erstaunlicherweise nicht. Sie ist aber unumgänglich, will man begreifen, wie ein Volk von Individualisten und allenfalls kommunistischen Mitläufern diesem schüchternen slovaki-schen Funktionär zujubeln konnte. Die Antwort muß lauten: ohne Einschränkung. Nach Husdk noch mehr als vor ihm. Gäbe es eine Meinungsumfrage, das Ergebnis wäre eindeutig. Dubcek ist nicht tot. Es ist erst ein halbes Jahr her, da hat er es selbst erfahren — Shawcross beschreibt die Szene eindrücklich. Im Dezember vorigen Jahres, nach seiner Ernennung zum Botschafter in Ankara, war er im Auto von Prag nach Preßburg gefahren. Bei einem kurzen Zwischenhalt in Tschaslau war das Cafe in wenigen Minuten von 150 Personen bevölkert, die den Sicherheitsbeamten kurzerhand herausbeförderten, die Tür verriegelten und zwei Stunden mit Dubcek tranken und plauderten. Wenige Wochen später, auf dem Flugplatz von Prag, sah man ihn zum letztenmal zugleich lächeln und sich der Tränen erwehren, als eine Frau ihm nacheilte und ihm einen Strauß roter Rosen in die Hand drückte. Dann kam das große Schweigen in der Kette von Demütigungen, deren letzte Stufe nun wohl erreicht ist.

Der Kommunist Dubcek hat sein ganzes Leben in vertrauensvoller, aber nicht kritikloser Verehrung zu der UdSSR gehalten. Doch er war zugleich Slowake und damit Angehöriger eines Volkes, das sowohl in der Habsburgerzeit wie in der ersten Republik als auch unter dem kommunistischen Dirigismus nach 1948 zu kurz kam. Alle namhaften bürg, der die Sache der Slowaken Parteiführer waren Tschechen oder tschechisierte Slowaken. Dubcek war der erste Parteisekretär von Preß-gleichrangig neben die Sache der Partei stellte. Das machte seine zunehmende Stärke in diesem knappen Drittel der Republik aus, von dem er dann langsam und schließlich meteorhaft schnell die höchste Macht des Staates eroberte — das mußte aber in dem Augenblick unweigerlich zum Konflikt mit dem großen Bruder führen, wo dieser der alten, fast ausnahmslos tschechischen Hausmacht Novotnys mehr Gehör schenkte. Daß Dubcks Nachfolger ausgerechnet sein alter Kampfgenosse von 1944 aus der Partisanenzeit und viel glühendere Slowake, Husdk, wurde, ist ein Treppenwitz der Geschichte, der nicht ohne Folgen bleiben kann.

Weder die Preßburger Hausmacht noch sein slowakischer Nationalstolz haben Dubcek aber schließlich zum widerstrebenden Volkstribun werden lassen, sondern sein Übereinstimmen mit der überwiegenden Mehrheit des Volkes, wo es um Recht und Würde des Menschen ging. Jahrelang hat er ohne viel Aufhebens die Kenntnis von den ungeheuren Justizskandalen, die nach dem Slansky-Prozeß das Land in ein Gefängnis verwandelten, ertragen. Er blieb Funktionär und hielt sich trotzdem die Hände sauber, in der Stille wartete er auf eine bessere Zukunft. Das war seine Grenze und Größe zugleich. Auch Shawcross bemäntelt da nichts, was nur aus der hundertprozentigen Gläubigkeit Dubceks an den schließlichen Sieg eines gerechten Sozialismus erklärbar ist. Seine Stunde kam,als dieser Sieg bereits im vollen Gang war.

Dann aber war Dubcek selbst durch die verletzendsten Angriffe der Russen, wie auch durch die erschreckendste Emanzipation der Presse, nicht mehr zu bewegen, den Wagen auf seiner rasenden Fahrt in eine Zukunft der Freiheit und Menschenwürde zu bremsen. Das wurde ihm zum Verhängnis. Sein Vertrauen, daß die Kremlherren, seine alten Kampfgefährten, schließlich die Wendung zum Guten in der CSSR erkennen würden, war unerschütterlich. Noch konnte er nicht glauben, daß sich die Bilak und Kolder, die Strougal und schließlich sogar auch Husdk und Cernik, alte Mitstreiter gegen Novotnys Stalinismus, lieber auf die sichere Seite schlagen würden. Die Tränen des Mannes, der sein Leben lang die Vorzüge der Sowjetunion pries, in der er die Jugendjahre und später noch einmal drei intensive Studienjahre verbrachte, waren echt, als ihm die Nachricht von der Invasion überbracht wurde. Er litt tiefer als sein Volk, dem der Kommunismus weitgehend zuwider war — beider Leiden aber vereinte sich dann so unisono, wie es die Weltgeschichte noch nicht erlebt hat, wenn die Majorität sich zwei Jahrzehnte von einer Minorität beherrscht sah und dann plötzlich deren Kampfgefährte wurde.

„Wir verstehen unsere Arbeit nicht anders denn als Dienst an unserem Volke, an unserer teschechoslowaki-schen sozialistischen Heimat“. Das sagte Dubcek am 27. August 1968, unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Moskau. Der Satz war von einer langen Pause unterbrochen, in der man den Erschöpften schwer atmen und schluchzen hörte. Der Leser dieser ersten Dubcek-Biographie wird sich nicht schämen, wenn ihm gleiches widerfährt. Vielleicht kommt er mit dem Rezensenten zu dem durch nichts zu beweisenden, aber auch durch nichts zu widerlegenden Schluß, daß der Titel dieses Buches heißen müßte: Dubcek — der Mann, der die Freiheit will. Denn Dubcek gehört trotz allem nicht zur Vergangenheit, auch wenn ihm im Augenblick keine Zukunft gehört.

DUBCEK. Der Mann, der die Freiheit wollte. Von William Shawcross. Droemer-Knaur, München/ Zürich 1970, 368 Seiten, DM 26.—.

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