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Ein besonderer Fall

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An die Geschichte des Einmarsches der Truppen des War-schauer Paktes in die CSSR vor 25 Jahren wurde in diesen Tagen wieder erinnert (FURCHE 32, 33 und diese Ausgabe Seite 6). Als der tschechische Literat Ota Filip, der seit 1977 deutscher Staatsbürger ist, gefragt wurde, was er Alexander Dubcek verdanke, meinte Filip trocken: „Nichts. Oder nur wenig.” Für den Schriftsteller ist Frantisek Kriegel die große Figur des Widerstandes: Er hat als einziges Präsidiumsmitglied im Kreml die demütigenden Moskauer Okkupationsverträge nicht unterschrieben und war bis zu seinem Tod 1979 einer der aktivsten Kämpfer gegen die „Normalisierung”.

Ota Filip wirft Dubcek vor, die Charta 77 nicht unterschrieben zu haben und nicht für die Bürgerrechte gekämpft zu haben: „Er war ein braver Rentner... Für die junge Generation zu Hause war es eher peinlich, daß Dubcek sich nach 1990 als Kämpfer der Menschenrechte feiern ließ. Er hat Ehrungen und Doktorhüte im Westen angenommen - ohne zu erröten.”

Frantisek Kriegel war eines der elf Präsidiumsmitglieder des ZK und Vorsitzender der Nationalen Front. In der Zeit des ,.Prager Frühlings” war er 60 Jahre alt und der einzige Kommunist der Vorkriegsgeneration in der Parteiführung unter Dubcek. Dennoch oder vielleicht deshalb litt er, laut ZK-Sekretär Zdenek Mlynäf, am wenigsten an kommunistisch-ideologischen Illusionen. Er sei gebildet und kultiviert gewesen - mit einem weiten Horizont.

Für einige der Kreml-Herrn, etwa für Kossygin, war Kriegel „der galizische Jude”. Der aus Rußland in die Tschechoslowakei emigrierte Kriegel war während des Spanischen Bürgerkrieges Arzt bei den Internationalen Brigaden, als Arzt nahm er auch am chinesischen Bürgerkrieg (1945-1949) teil und von 1960-1963 war er Berater für das Gesundheitswesen bei der Regierung Fidel Castros in Cuba. „Ein guter Mensch”, nennt ihn Mlynäf in seinen Erinnerungen „Nachtfrost”.

Alexander Dubcek schreibt in seiner Autobiographie „Leben für die Freiheit”, Kriegel, der Unterschriftverweigerer, sei „ein besonderer Fall” gewesen. Dubcek beruft sich auf seine persönliche Verantwortung: Wenn er die „Übereinkunft” von Moskau nicht unterzeichnet hätte, wäre das daheim als Ermutigung zum aktiven Widerstand aufgefaßt worden. Dazu, so meint Dubcek, habe er kein Recht gehabt, denn ein Blutbad wäre die Folge gewesen.

Der Pragmatiker Dubcek verstand Frantisek Kriegel nicht, den Ota Filip „einen Anarchisten im besten Sinne” nennt.

An die Geschichte des Einmarsches in der CSSR vor 25 Jahren wurde in diesen Tagen wieder erinnert. Geschrieben muß diese Geschichte erst werden.

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