Von den Leichen im böhmischen Keller ens 40 jähriger Leichenzug

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Ota Filips neues Buch: Anstoß zur überfälligen Vergangenheitsbewältigung der Tschechen?

Seit 1974 lebt der tschechische Schriftsteller Ota Filip in Bayern. Seine Bücher, die Erfahrungen in der Heimat als Realsatiren beschrieben, gehören zum Besten, was die tschechische Literatur in den Jahren der Unterdrückung hervorbrachte. Anfang 1998, also lange nach der "Wende" in Prag, veröffentlichte der "Spiegel" eine " Enthüllung", die behauptete, Filip habe jahrelang für den tschechischen Geheimdienst gearbeitet. Sein Sohn, damals immerhin schon 43 und Professor für Mathematik in Bochum, beging kurz danach Selbstmord.

Durch diesen Schock angeregt, hat Ota Filip einen "autobiographischen Roman" geschrieben, eine Abrechnung nicht nur mit heimtückischen Intrigen gegen ihn, sondern mit dem Versagen der Tschechen in der Zeit der deutschen Besetzung seit 1939, der kurzen Scheindemokratie von 1945 bis 1948 und den ersten Jahren der kommunistischen Diktatur bis 1953. Das Buch (die Fortsetzung ist in Arbeit) ist der Erlebnisbericht eines Menschen, der von den "großen" und weniger großen Zeiten drangsaliert wurde. Es könnte der Anstoß zu einer längst fälligen Vergangenheitsbewältigung der Tschechen sein.

Filip wurde vom tschechischen Vater (mit deutscher Staatsbürgerschaft) zu Beginn der Protektoratszeit in eine deutsche Schule geschleppt, obwohl er kaum ein paar Worte Deutsch verstand. Immerhin hat ihm die aufgezwungene Sprache viel später große Möglichkeiten verschafft. Der Vierzehnjährige erlebte die Bemühungen der Tschechen, aus der angepassten Lethargie zu patriotischem Heldentum zu wechseln. Das Attentat auf den Reichsprotektor Heydrich, 1942 von der tschechischen Exilregierung in London als Initialzündung zum Widerstand organisiert, blieb ohne die beabsichtigten Folgen, nur die Slowaken leisteten Widerstand. Erst als die letzten deutschen Truppen abzogen, rafften sich nicht gerade die edelsten Kräfte der Nation zu Rache-aktionen gegen Soldaten und Zivilisten auf. Filip schildert eine kleine Auswahl der Grausamkeiten. Er zeigt, wie der Abschaum nach oben kommt, während wirkliche Widerstandskämpfer oder die tapferen tschechischen Legionen, die an der Seite der West-Alliierten wie der Russen gekämpft hatten, sehr bald an den gesellschaftlichen Rand gedrängt oder liquidiert wurden.

Wir wissen längst, wie es rund um den "Siegreichen Februar" zuging (am 25. Februar 1948 kamen die Kommunisten unter Gottwald an die alleinige Macht). Aber wie Filip die Verdrängung aller demokratischen Kräfte und sogar der altmodisch gewordenen "ehrlichen Kommunisten" schildert, bringt er eine neue Plastizität in die Überlieferung. Ein Höhepunkt ist sein Augenzeugenbericht vom Trauerzug für den ermordeten Außenminister Jan Masaryk, an dem noch einmal die ganze Nation teilnahm: die Kämpfer für Freiheit und Demokratie, die soeben etablierten neuen Machthaber, die sich bald auch gegenseitig liquidieren sollten, die Feiglinge und die Wandelbaren: "Masaryks Tod - ob Selbstmord oder Mord - mit einer tschechoslowakischen Fahne auf einer Lafette verdeckt, war der Anfang eines vierzig Jahre langen böhmischen Leichenzuges. In den kommenden vier Jahrzehnten wurde in diesem Land immer wieder etwas zu Grabe getragen, am häufigsten Träume von der Freiheit ... Ein Jahr später waren die meisten Helden und Patrioten, Angehörige der tschechoslowakischen Exilarmeen im Ersten und Zweiten Weltkrieg, als Agenten des Imperialismus oder als staatsfeindliche Elemente hinter Gittern. Ihr Auftritt bei Jan Masaryks Begräbnis im März 1948 war ihr letztes Defilee."

Vaclav Nosek, Innenminister, und Rudolf Slansky, Generalsekretär der KP, brachten in den folgenden Monaten etliche der hier Marschierenden an den Galgen. Slansky selbst sollte etwas später mit einer Reihe anderer "Verschwörer" sterben.

Ota Filip schlug sich durch in Schule und Militärzeit (in einer Zwangsarbeitseinheit für Söhne der Bourgoisie), in verschiedenen Berufen, verfolgt von Spitzeln und einem Geheimdienst-Obersten, der schon in k.u.k.-Zeiten Dienst getan und dann allen Regimen gedient hatte. Die Verfolgungen und Drangsalierungen sind nicht nachzuerzählen und wären für den Leser kaum zu ertragen ohne den satirischen Humor, mit dem Filip die Ereignisse zuspitzt und in absurde Zusammenhänge bringt. So erzählt er, wie er an jenem 25. Februar 1948 bei einer wesentlich älteren, sexuell unterversorgten Frau seine Unschuld verlor oder wie er im Verlagsgebäude, wo er eine Zeitlang als Journalist arbeiten durfte, nächtliche Liebesstunden ausgerechnet auf der Couch erlebte, auf der seinerzeit das berühmte "Prager Tagblatt" seine prominenten Besucher empfangen hatte.

Bibliothek und Archiv der Zeitung, für die vor 1939 die Elite der deutschsprachigen Autoren Prags schrieb, waren ihm für kurze Zeit zugänglich. Später wurde die Bibliothek abtransportiert mit unbekanntem Ziel, das Archiv mit kostbaren Originalbriefen und Manuskripten kam gleich ins Altpapier. Juden waren eben auch Deutsche.

Mag sein, dass Filip zu viel wusste über die Prominenten der Neuen Klasse (etwa über die Charaktermängel des Laufwunders Emil Zatopek), über die Konflikte, in die alle getrieben wurden, die anständig sein und doch ihre Haut retten wollten. Er schont sich dabei selbst nicht. Schon als Zwanzigjähriger wurde er ohne jede Grundlage als britischer Agent verfolgt. Und er suchte einen Ausweg, der sein Gewissen belastete. Der Geheimdienst-Oberst, der mit altösterreichischer Akribie seinen "Fall" konstruierte, wird zum Erfinder seines "siebenten Lebenslaufs", nachdem Filip ja schon in früheren Büchern Autobiographisches erzählt hatte. Den achten Lebenslauf haben ihm jene angedichtet, die ihn noch ein halbes Jahrhundert nach dem "Siegreichen Februar" verleumdeten.

DER SIEBENTE LEBENSLAUF

Autobiographischer Roman

von Ota Filip

Verlag Herbig, München 2001

448 Seiten, geb., e 13,21 / öS 182,-

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